In diesem Museum ist Berühren erlaubt: Michelangelo zum Angreifen
Wer beim Anblick von Michelangelos David in der Accademia in Florenz den Wunsch verspürt, diese vollendete Figur zu berühren, der sollte in die Küstenstadt Ancona in den Marken fahren. Dort kann man sich den Wunsch im Museo Omero erfüllen. Eine Kulturstätte, die nicht zufällig den Namen des, den Überlieferungen zufolge, blinden Dichters Homer trägt. In diesem Museum darf man nicht nur, man sollte sogar die ausgestellten Kunstwerke anfassen, betasten, neben Michelangelos Werken auch die betörend schöne Venus von Milo.
„Diese Skulptur war die erste, die ich im Museum haben wollte“, sagt Herr Aldo Grassini, 84 Jahre alt. Er war es, der zusammen mit seiner Frau Daniela vor vierzig Jahren, den ersten Stein dieses Museums legte. Der Grund: Frau und Herr Grassini sind blind. „Wir haben Museen in ganz Europa besichtigt“, sagt Herr Grassini, „und immer wieder sind wir auf die frustrierende Verordnung „Berühren verboten“ gestoßen, mussten uns mit der Beschreibung des Begleiters begnügen. Bei einem Gemälde ergibt das Verbot Sinn, aber nicht bei einer Marmorstatue. Was kann ich dieser schon anhaben, wenn ich sie betaste?“
Über 200 Werke betasten
Es war nach einem frustrierenden Museumsbesuch, als Frau Grassini ihrem Mann vorschlug, ein Museum zu errichten, in dem man die Werke betasten durfte. Ein Museum, in dem man anhand der Skulpturen die Kunstgeschichte, von den alten Griechen bis in unsere Zeit, anfassen und erfassen konnte. Man suchte Rat bei Kunstexperten, sammelte die nötigen finanziellen Mittel, begnügte sich vorerst mit den Räumlichkeiten, die eine Schule dem Projekt zur Verfügung stellte, bis 2017 der Umzug in die Mole Vanvitelliana erfolgte, wo sich das Museum heute befindet, sowie die Eingliederung in die Museumsdirektion der Region Marken. Heute kann man im Museum über zweihundert Werke betasten, die aus den Original-Abdrucken gemacht wurden.
- Museum Omero: Banchina Giovanni da Chio 28, Ancona; Di.–Sa. 16–19 Uhr; Sonn-/Feiertage 10–13 Uhr; Eintritt frei
- Mole Vanvitelliana: Fünfeckiger Bau aus dem 18. Jahrhundert, auf einer künstlichen Insel errichtet und einst Lazarett
- Spiaggia del Passetto: Sehr beliebter Stadtstrand am Ende des Viale della Vittoria gelegen
Anders ist es beim Material, statt Bronze verwendete man Wachs, statt Marmor Gips. Denn für einen Blinden ist die Form, nicht das Material ausschlaggebend. Der Anblick der Skulpturen ist, obwohl es sich um Kopien handelt, so beeindruckend, dass man sich noch einmal vergewissert, wirklich den Diskobolos und den Poseidon aus Bronze anfassen zu dürfen. Die Antwort lautet ja. Und so gleiten die Hände behutsam über Gian Lorenzo Berninis „Verzückung der Heiligen Theresa“, dessen Original sich in der römischen Kirche Santa Maria della Vittoria befindet.
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