Natürlich kann man eine Kreuzfahrt auf dem Nil buchen und sich in den Strom Tausender anderer Touristen einreihen. Natürlich kann man zwischen riesigen Containerschiffen und schnittigen Segelbooten wählen. Natürlich könnte man aber auch ein Stück weiter südlich an Bord gehen – dort, wo der Touristenstrom zu einem kümmerlichen Rinnsal von Individualisten und der Strom zum Stausee geworden ist.
Wer es außergewöhnlich mag, bucht eine der sechs Kabinen auf der Saï, einem kleinen Motorboot, das regelmäßig über den Nassersee fährt.
Diese surreale Landschaft im Grenzgebiet Ägyptens zum Sudan ist menschengemacht. Ein Großteil Nubiens wurde dem technischen Fortschritt geopfert. 165 Milliarden Kubikmeter Wasser mitten in der Wüste als Folge des Staudamms südlich von Assuan, eröffnet 1970. Auf dessen Grund liegt eine ganze Kultur ertränkt.
In dieser Geschichte erfahren Sie...
wie es den Nubiern heute damit geht
welche wunderbaren Monumente es am Ufer zu entdecken gibt
und wie entschleunigt und schön die Tour auf dem MotorbootSaï verläuft.
Heute tuckern einige wenige Touristenboote über den See. „Kultur ist vorbei! Und das tut weh.“ Guide Khaled Khalous ist schwarz, rund, unaufgeregt und Nubier wie die Crew der Saï, die die Gäste auf dem Weg über den Nassersee begleitet, bekocht, beschützt. Vom Kapitän abwärts sind alle Nubier, die ihrem Ruf, besonders zuvorkommend und freundlich zu sein, gerecht werden. Am Montag geht es Richtung Abu Simbel, am Freitag mit einer neuen Touristengruppe retour.
Von Assuan nach Abu Simbel schippern
Das Boot ist ausgebucht – eine Schweizer Familie und ein Paar aus Australien sind auch mit dabei. Alle wollen die Tempel am Ufer des Sees sehen, die in den 1960ern durch eine weltweite Rettungsaktion vor dem Untergang bewahrt wurden.
Das großartigste Monument darunter: Der Doppeltempel von Abu Simbel, der der krönende Abschluss unserer Reise werden soll. Pharao Ramses II. hatte die Felsentempel vor 3.300 Jahren erbauen lassen – den größeren für sich, den kleineren für seine Lieblingsfrau Nefertari.
Am ersten Nachmittag aber gibt es ganz andere, unbekanntere Tempel zu sehen: Kalabsha, Beit El Wali und den Kiosk von Kertassi. Noch sind wir nahe Assuan, noch kommen Tagesausflügler, um wie wir die fast untergegangenen Tempel zu bewundern. Kalabsha heißt Riesenstein erfahren wir. „Natürlich ein nubisches Wort“, sagt Khaled. Schautafeln erzählen vom Versetzen des ptolemäischen Tempels 1961 bis 1963 um 58 Kilometer (siehe Grafik oben).
Dreiundzwanzig Tempel wurden damals mithilfe von fünfzig Ländern ab- und an anderer Stelle wieder aufgebaut.
Der See liegt ruhig da, nichts erinnert daran, dass tief unten Häuser, Hausrat, Dattelplantagen liegen. Der Preis für 25 Prozent mehr Anbaufläche.
Man weiß nicht genau, wie viele Nubier wegmussten.
von Khaled Khalous
Touristenguide
„10.000, 50.000? Es wurde nicht dokumentiert.“ Eines der nubischen Dörfer wurde nach Esna verlegt, die Einwohner des zweiten mussten nach Assuan, in Kom Ombo entstand Neu-Nubien. Gut vierzig Dörfer wurden umgesiedelt. Glücklich und heimisch wurden die Flüchtlinge dort nie.
Dorf unter Wasser
Nach dem Abendessen gibt es im Salon der Saï eine (fade) Filmvorführung über die Rettung der Monumente. Als wir zwei Tage später mit Abdul, unserem freundlichen und aufmerksamen Kellner, ins Gespräch kommen, verstehen wir, was der Bau des Stausees für die Nubier tatsächlich bedeutet hat. Der 46-Jährige deutet mitten auf dem See nach unten: „Da liegt mein Dorf. Dakka.“ Sein Dorf, das er, der erst 1976 geboren wurde, nie gesehen hat.
Abdul holt einen zerfledderten Bildband: Fotos zeigen das Leben der Nubier vor und nach der großen Flut, fröhliche Schulkinder, Abu Simbel wie es mit der Säge zerlegt wird, bunte nubische Häuser. Überflutetes Land – nur die Wedel der Dattelpalmen ragen noch aus dem Wasser. Und eine traurige alte Frau, die auf ihrer Türschwelle neben drei Koffern sitzt und darauf wartet, zwangsumgesiedelt zu werden. „Das ist meine Großmutter Hanum“, sagt Abdul.
„In Dakka hatte sie ein großes Haus und einen Garten mit Bananen und Dattelpalmen. In Neu-Dakka gab es nur ein kleines Haus.“ Mir steigen Tränen in die Augen.
Fast still
An Tag zwei changiert das Wasser des Nassersees zwischen nachtblau und schwarz. Das Schilf in der winzigen Bucht, in der wir die Nacht verbracht haben, wiegt sich in der frischen Morgenbrise. Es wäre vollkommen still, wäre da nicht das Vogelgezwitscher. Wäre! Hätte der Kapitän nicht den Generator (fürs warme Duschwasser) angeworfen. Im Laufe des Tages verändern sich die Farben des aufgestauten Nils immer wieder: Silbergrau, silbergrün, hellblau, ja sogar eisblau und türkis. Nichtstun ... einfach das Wasser beobachten, ein paar Fischer auf ihren Booten auftauchen sehen und die Wüste, die ganz nahe ans Ufer herankriecht.
Total entschleunigt
Fladenbrot, Eier, Schafskäse, Palatschinken, Joghurt, Honig. Danach sonnen, dösen, schauen, lesen. Auffällig oft an Bord: Agatha Christies Tod auf dem Nil und Schwimmer in der Wüste von Ladislaus Almásy. Alles total entschleunigt.
Als der angeschwollene Fluss wieder schmäler wird, halten wir auf den Sebua-Tempel zu. Touristen sucht man vergeblich, die Mini-Sphingen-Allee mit den zwei Ramses-Statuen gehört uns alleine. Die schöne Lagune mit ihren Reihern und Wildeseln ebenso.
Zum nächsten Tempel auf einem Hügel – den von Maharraqa – geht es mit dem Motorrad.
Hinten haben die findigen Tempelwächter eine Sitzfläche aufgebaut und kutschieren die fröhlich johlenden Touristen bergan. Ein Spaß.
Der dicke Nil
Tag drei auf dem einsamen See und jetzt gibt es auch kein Handynetz mehr. Als uns ein anderes Safariboot begegnet, gibt es ein Hallo – das erste Lebenszeichen seit Langem, abgesehen von den Wächtern, die bei den Sehenswürdigkeiten ausharren. Etwa beim unfassbar schönen Ramses-Tempel von El-Derr mit seinen gut erhaltenen Wandgemälden.
Der Tag bringt die Erkenntnis, dass die Monumente in Nubien bunt sind, wie nirgendwo sonst in Ägypten. Wenn Sie mich nicht verraten: Sofern ich wählen müsste, würde ich eher die Tempel am Nassersee anschauen als jene am Nil.
Beste Reisezeit: Ende Oktober bis Ende März. Im Sommer ist es mit fast fünfzig Grad zu heiß. In Abu Simbel bietet sich abends die Gelegenheit, die Tempel während einer pathetischen Sound-and-Light-Show zu sehen.
Beste Art zu reisen: Fünf Touristenschiffe befahren derzeit den Nassersee und bieten geführte Fahrten an: zwei große Kreuzfahrtschiffe (etwa die Steigenberger Omar El Khayam, Preis für die Kreuzfahrt: ab ca. 1.000 € p. P.) und drei Safariboote. Das kleine Motorboot Saï sei empfohlen: Assuan nach Abu Simbel (4 Nächte), Abu Simbel nach Assuan (3 Nächte), Preis: ab 205 € p. P./N im DZ (VP an Bord, alle Eintritte und Transfers) saisafariboat.com
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