Poltern nach Maß: Niveau ist rar
Unter allen Monaten hat es der Mai wirklich gut erwischt: Als Hochzeitsmonat klebt ihm ein liebliches Image an. Doch wo viel Licht, ist bekanntlich auch viel Schatten, und beim Heiraten heißt der Schatten Poltern.
Das oktroyierte Abschiednehmen von der Single-Freiheit treibt zukünftigen Eheleuten oft den Schweiß ins Gesicht. Sie wollen weder Unterwäsche an Fremde verkaufen noch den abgegriffenen Hintern einer Stripperin auf ihrem Schoß gewetzt wissen. Seit Jahren wächst daher die Sehnsucht nach dem neuen Polterabend. Nach dem originellen. Dem niveauvollen.
Manche besinnen sich dafür der alten Tradition: In Österreich feierten Bräute und Bräutigame zwar auch früher mit Freundinnen und Freunden durchaus ausgelassen, aber zu später Stunde fanden sich die Poltergruppen am gleichen Ort ein, in einem Lokal oder sogar zu Hause. In Teilen Deutschlands war es sogar Tradition, dass das künftige Paar alle Mitfeierer zu sich nach Hause einlädt, ganz ohne Getrennt-Sein.
Und dann kam Hangover.
Spätestens mit der Kino-Trilogie zog in Kontinental-Europa die angelsächsische Polter-Tradition Nordamerikas und Großbritanniens ein: Dort heißen die Junggesellen- und Junggesellinnenabschiede "stag" (wörtlich: "Hirsch") oder "hen" ("Henne") night und sind meistens mit der tatsächlichen Flucht aus dem Alltag verbunden. Wie im Film "Hangover" soll ein Ortswechsel die totale Gelassenheit garantieren, bis hin zum Sich-Fallenlassen, bis hin zum kapitalen Absturz.
Prag ist voll
Mit den gestiegenen Anforderungen betraten Organisationsprofis die Polterbühne. Zum Beispiel Pissup (www.pissup.de). Die Reiseagentur hat ihren Ursprung ebenfalls auf der britischen Insel (siehe Geschichte rechts), organisiert ausschließlich Junggesellenabschiede und Männertouren mit 300 Aktivitäten in 14 Städten. Und wirbt sogar mit Party "im Hangover-Stil". Franziska Falkenberg ist für Kunden im deutschsprachigen Raum zuständig: "In England ist das ein noch größeres Ritual, da kommt man zum Junggesellenabschied raus aus der Stadt, am besten runter von der Insel." In dieser Tradition bringt Pissup seit 2009 Deutsche, Österreicher und Schweizer meistens nach Bratislava, Budapest oder Prag.
Alleine in der tschechischen Hauptstadt feiern an diesem ersten Mai-Wochenende 20 organisierte Pissup-Gruppen. "Das Interesse, einmal rauszukommen, steigt auch bei uns. Die Jungs kennen sich lange und wollen zu diesem Anlass nicht wieder in der immer gleichen Bar stehen."
Die gebuchten Trips laufen dann aber doch meist dem Klischee entsprechend ab: 70 Prozent der Kunden wählen Prag mit Bar, Paintball, Gokart, Sightbeering, die meisten wollen nackte Busen, Schießstand-Adrenalin, Motorengeräusche und billige Drinks. Manchen müsse man sogar erklären, dass beim meistgebuchten "Geiz ist geil"-Paket in Prag um 99 Euro für zwei Tage kein Flug dabei ist und ja, der Preis versteht sich pro Person.
Niveau für Bräute
Auch in Wien wünschen sich viele das Klischee, erklärt Angelika Oswald, die vor einem Jahr www.poltergemeinde.at gegründet hat: "Natürlich organisiere ich auch den Stripper und die Stretch-Limo. Aber eigentlich kümmert sich meine Agentur um den niveauvollen Polterabend." Vor allem Frauen können aus mehreren Modulen, die auf der Website vorgeschlagen werden, den gediegenen Unterhaltungsevent zusammenstellen. Beispiel: Bei "Wilde Kräuter" werden gemeinsam aus Naturprodukten Hautcremes und Lippenstifte hergestellt, die dann sogar essbar sind. Kosten bis zehn Personen 39 Euro, Location auf Wunsch inklusive.
Angekündigte Exzesse
Enttäuschend sei es nicht, dass sogar vorsätzliche Partypeople dann so bieder sind. "Wenn man das mit dem Film vergleicht, ist es vielleicht enttäuschend. Aber wenn man es mit der Realität der Menschen vergleicht, sind die Wochenenden spannend."
Ähnliche Erfahrungen hat die Wienerin Angelika Oswald gemacht: "Bei mir melden sich aber ohnehin kaum Leute, die sich ins Koma saufen wollen. Meine Kunden wollen den Polterabend bewusst erleben. Das sind lustige Leute, auch sehr spontane." Und ja, ein paar langweilige gebe es auch, aber auch deswegen bucht man schließlich einen geführten Abend. "Ich springe dann als Moderatorin ein, hebe die Stimmung durch kleine Spiele. Nichts Peinliches, aber kleinere Trinkspielchen."
Und den nüchternen?
Oswald zögert.
Die Reiseagentur Pissup verspricht "einzigartige und unvergessliche Erlebnisse für den modernen Mann. Kurz: Den ultimative Junggesellenabschied."
Rasmus Aarup Christiansen kümmert sich vor allem um die juristische und finanzielle Verwaltung und das Marketing. Der Marketing-, Management- und Wirtschafts-Absolvent entwickelt mit seinem Partner gerade das Pissup-Pendant für Frauen (www.chamica.de).
KURIER: Sie erweitern Ihr Programm auffallend in Richtung Niveau. Wohin geht der Junggesellenabschied-Markt?
Rasmus Aarup Christiansen: Der Markt verändert sich nicht wirklich, er wächst nur. Wir erweitern die Liste in alle Richtungen, weil wir versuchen, alle Kundenwünsche zu bedienen – die Klassiker mit Schießstand, Bier und Striptease, und jene, die ein schönes Essen, guten Wein und einen sonnigen Bootstrip wollen. Klassische Junggesellenabende wird es immer geben, und die große Mehrzahl der Kunden will genau das. Aber sie suchen heute oft mehr Aktionen oder High-Class-Erfahrungen.
Wie viele Kunden bedienen Sie mittlerweile damit?
Seit dem Gründungsjahr 2001 hatte das Unternehmen mehr als 100.000 Kunden. Für 2015 erwarten wir 10.000 Kunden, gut die Hälfte davon aus deutschsprachigen Ländern.
Was ist der Profitipp für einen gelungenen Polterabend?
Am wichtigsten ist die Gruppe: Du musst die richtigen Leute zusammenbekommen. Gute Freunde, die gemeinsam etwas erleben wollen, vielleicht etwas Neues ausprobieren. Dadurch erleben Freundschaften neue Situationen, das kann richtig gut sein. In ein anderes Land zu fahren, macht aus einer betrunkenen Nacht eine Wochenend-Erfahrung mit fremder Kultur. Und man verhindert, dass man die gleichen Menschen und Lokale sieht wie im Alltag.
Ist Ihr perfekter Poltertrip im Firmenprogramm?
Ja. Ein cooler Trip nach Budapest oder Bratislava. Mit der fetten Hummer-Limousine mit Champagner vom Flughafen abgeholt werden, gutes Essen, coole Nachtclubs, vom sexy Stubenmädchen geweckt werden, zum Schießstand, ein Streich für den Bräutigam, Bootstrip zum Sonnenuntergang mit Oben-ohne-Bedienung.
... schon die alten Griechen den Abschied vom Junggesellendasein gefeiert haben? Die Freunde des Bräutigams haben das Fest organisiert und ausgerichtet. Wie auch im angelsächsischen Raum üblich, feierten Männer und Frauen getrennt. Die Brautleute hatten die Möglichkeit, nochmals ausgelassen zu sein, ohne an die späteren Verpflichtungen zu denken.
... der Begriff Junggeselle aus dem Zunftwesen kommt? Er war im Handwerksbetrieb der jüngste Geselle und stand in der Hierarchie ganz unten. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts ist damit zum Teil der Geselle auf Wanderschaft, auf der Walz, gemeint, der noch keine Familie gründen konnte.
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