"Micro-Cheating": Mini-Fremdgehen am Smartphone

Wer hinter dem Rücken des Partners regelmäßig Chat-Nachrichten mit anderen austauscht, betreibt Experten zufolge Micro-Cheating.
Moderne Technologien bieten etliche Austauschmöglichkeiten. Beziehungen kann das potenziell Schaden zufügen.

Ein vages Gedankenspiel, eine sexuelle Fantasie, eine schnelle Berührung, ein flüchtiger Kuss: Die Frage, wo Untreue beginnt, beschäftigt die allermeisten Paare. Darüber geredet wird selten.

Dennoch gibt es – allen voran in monogamen Partnerschaften – oft eine Art unausgesprochene Vereinbarung. Fremdgehen beginnt demnach dort, wo man sich anderweitig intim auslebt, sich auf einen anderen Menschen einlässt – und damit das Vertrauen innerhalb der Paarbeziehung bricht.

Moderner Mini-Betrug

In Zeiten allmächtiger Smartphones und ständigen Online-Seins ist – mehr oder minder unbemerkt – eine neue Techtelmechtel-Form aufgetaucht. "Micro-Cheating", zu Deutsch "Mini-Betrügen" oder "ein bisschen Betrügen", heißt jener Seitensprung, der (zumindest anfangs) nur in digitalen Sphären stattfindet. Ganz neu ist der Begriff nicht, erstmals geprägt wurde er bereits vor einigen Jahren von der australischen Paartherapeutin Melanie Schilling.

Die Online-Datingwebsite eHarmony definiert Micro-Cheating einem Yahoo-Artikel zufolge als "kleinere, jedoch fragwürdige Handlungen des Partners". Etwa, wenn dieser häufig und gezielt Social-Media-Inhalte einer bestimmten Person likt oder regelmäßig Privatnachrichten auf Instagram, Twitter und Co. mit ihr austauscht. "Durch den technologischen Fortschritt und die Vielzahl der verfügbaren Plattformen haben die Menschen oft das Gefühl, dass es eine endlose Auswahl gibt. Diese Wahl kann Leute manchmal dazu bringen, toxische Entscheidungen zu treffen", zitiert Yahoo dazu eHarmony-Datingexpertin Rachael Lloyd.

Doch wo liegt die Grenze zwischen einer Handvoll Facebook-Likes und dem Hintergehen des oder der Liebsten? Lloyd zufolge ist in der virtuellen Welt (wie auch im realen Alltag) die Absicht entscheidend. So könne Micro-Cheating durchaus eine Vorstufe zum tatsächlichen Fremdgehen sein – ebenso wie ein gänzlich unbedeutender, freundlich-beiläufiger Chat mit Kollegen oder Bekannten.

Wenn heimlich Chat-Konversationen geführt, Kontakte unter falschem Namen im Telefonbuch gespeichert oder trotz Beziehung Dating-Apps durchforstet werden, können kleinere Flirts zu digitalen Affären werden – und einer Partnerschaft ebenso schaden, wie eine klassische Außenbeziehung. "Es beginnt vielleicht mit einem kleinen Flirt im Internet und entwickelt sich zu einer richtigen Affäre im digitalen Umfeld. Der Zwist nach solchen Situationen kann genauso verheerend sein wie nach einer körperlichen Affäre."

Mysteriöse und geheime Aktivitäten in sozialen Netzwerken können in solchen Fällen auch ein erstes Indiz für die Untreue des Partners sein, schildert Beziehungsexpertin Louanne Ward im Interview mit Yahoo. "Die meisten Menschen spüren instinktiv, dass etwas nicht stimmt und können ihren Partner mit ihrem Verdacht konfrontieren."

Klare Kommunikation

Angesichts der immer vielfältigeren Austauschmöglichkeiten rät Lloyd, mit dem Partner über die individuellen digitalen Gepflogenheiten und Kontakte zu sprechen. Dies beuge Missverständnissen, Frustration, Eifersucht und Konflikten vor. "Die moderne Dating-Welt kann ein Minenfeld sein, aber klare Kommunikation kann wirklich helfen", betont Lloyd.

Dass Micro-Cheating in Beziehungen tatsächlich immer öfter zum Diskussionspunkt wird, weiß die Frankfurter Paartherapeutin Bettina Steingass: "In der paartherapeutischen Praxis bekomme ich hauptsächlich mit, dass Micro-Cheating Flirten im Netz ist", sagt sie im Interview mit dem Magazin Stern. Wie Lloyd ist auch Steingass überzeugt, dass Paare selbst Spielregeln aufstellen müssen: "Betrug wird von jedem Paar anders empfunden", erklärt die Therapeutin im Interview. Eine Faustregel fürs Fremdgehen gebe es nicht.

Nicht immer heikel

Gegen gelegentliches Flirten spricht grundsätzlich nichts. "Das ist erst mal nur ein Ausdruck von Lebendigkeit und ist auch eine Möglichkeit Spannung abzubauen", betont Paar- und Sexualtherapeut Robert Coordes vom Institut für Beziehungsdynamik in Berlin im Gespräch mit dem Stern. Es sei "weder eine Einstiegsdroge noch der Pfad ins Dunkle".

Allerdings könne einer unsicheren Beziehung auch ein an sich harmloser Flirt schaden, da dieser häufig mitunter aus Unzufriedenheit mit der bestehenden Beziehung heraus entstehe und außerdem Zweifel und Unsicherheiten – und damit Konfliktpotenzial – beim Partner schürt.

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