Österreich verliert an Boden
Drei Meter hoch stand das Wasser im Sommer im Keller von Ulrike Böker. Das Donau-Hochwasser 2013 war für die Bürgermeisterin des 4500-Einwohner-Ortes Ottensheim ein Schock, aber er traf die Bevölkerung nicht unvorbereitet: „Wir sind schließlich eine Donau-Gemeinde!“ Viele der alten Fischerhäuser an der Donaulände sind so gebaut, dass die Wohnräume im 1. Stock liegen.“ Dass es für die Mühlviertler nicht schlimmer gekommen ist, verdanken sie – das ist die Ironie der Geschichte – der Natur.
Ottensheim verfügt über viel unverbautes Land, Streuobstwiesen statt Parkflächen und Gewerbegebiete beherrschen die Landschaft. Auf dem offenen, nicht mit Asphalt versiegelten Gelände kann sich das Wasser verteilen und in den Boden eindringen. „Der Wert des Bodens wird einem erst dann bewusst, wenn man sieht, wie schnell ein Hochwasser auf Flächen ansteigen, auf denen Einkaufszentren mit 1000 Parkplätzen stehen.“
Boden, auf dem man etwas (an)bauen kann, ist eine unterschätzte Ressource – es gibt ihn nämlich nicht unendlich. Jedes Jahr verschwindet eine Fläche so groß wie die Stadt Salzburg unter Parkplätzen, Gewerbezentren oder Siedlungen. Bei einem gleichbleibenden Flächenverbrauch wie heute käme in 20 Jahren eine Fläche so groß wie das Burgenland zusammen. In 166 Jahren wäre die gesamte Ackerfläche Österreichs verbaut, sagt Mario Winkler von der Hagelversicherung.
Der Trend zur Verschwendung ist ein globaler. Jedes Jahr gehen auf der Erde 24 Milliarden Tonnen Boden verloren. Immer weniger fruchtbares Ackerland steht zur Verfügung. Dafür wird sich in 20 Jahren die Stadtfläche weltweit verdoppelt haben, laut einer Studie der Yale School of Forestry and Environmental Studies aus dem Jahr 2013. Böden sind nicht nur wichtig für die Nahrungsproduktion, sondern auch für die Aufnahme und Filterung von Wasser, die Speicherung von Kohlenstoff sowie die Filterung von Schadstoffen aus der Luft. Bei einer zunehmenden Versiegelung verliert der Boden all diese biologischen Funktionen, sagt Gundula Prokop, Bodenschutz-Expertin vom Österreichischen Umweltbundesamt.
Orte wie Ottensheim, die sich der Zersiedelung der Landschaft widersetzen, sind Kandidaten für den Bodenschutzpreis der Hagelversicherung, der heuer erstmals vergeben wird. Gesucht wird die Gemeinde, die den Boden am schonendsten behandelt (Preis: 10.000 €).
Ottensheim profitiert von der Nähe zu Linz und erfreut sich starken Zuzugs, baut aber keine neuen Siedlungen am Ortsrand. Wohnraum schaffen Gemeinden wie Silz in Tirol, Mistelbach oder St. Johann im Pongau, in dem sie Lücken im Ortskern nutzen, alte Gebäude sanieren, Bauverbote zum Schutz von Kulturland und Naturresten erlassen.
Wenn man Gundula Prokop um ein Beispiel für eine Gemeinde bittet, wo manches im Argen liege, fällt ihr Horn ein. Dort wurde „ein Gewerbezentrum nach dem anderen hingebaut, amerikanische Verhältnisse“. Gerade in strukturschwachen Regionen werde aus Hilflosigkeit wie „wild gebaut, in der Hoffnung, die Wirtschaft zu beleben und Jobs zu schaffen“.
Österreich ist Spitzenreiter in Europa, was die Supermarktfläche anbelangt. Auf einen Österreicher kommen 1,75 Einkaufsfläche, der absolut höchste Wert in Europa, erläutert Winkler. Dafür werden beste Ackerböden geopfert, kritisiert Stephan Pernkopf vom Ökosozialen Forum, dessen Bodencharta heute im Beisein von Monique Barbut von der UNO unterzeichnet wird. Hierzulande werden 0,5 Prozent der potenziellen Ackerfläche verbaut, in Bayern sind es nur 0,25 Prozent pro Jahr.
Unbedachte Eingriffe in die Natur sind keine Erfindung unserer Tage, das verheerende Magdalenenhochwasser von 1342 zum Beispiel war eine Folge großflächiger Rodungen in den Jahrzehnten davor. Die einfachste Lösung ist aber offenbar auch die, die am schwersten umzusetzen ist. Umwelthistorikerin Verena Winiwarter: „Die Vermeidung weiterer Versiegelung von Grund und Boden und der Rückbau versiegelter Flächen. Umdenken ist dringend erforderlich.“
Bodenschutzpreis Bewerbungen bis 30.4. an die Hagelversicherung: bodenschutz@hagel.at; 01 / 403168142.
Boden entsteht aus der Verwitterung des Untergrunds und der Verwesung organischer Stoffe. Von deren Güte hängt die Bodenfruchtbarkeit ab. Wächst die Siedlungsfläche, wird immer mehr Boden dichtgemacht. Der Boden verliert seine biologischen Funktionen: Wasserhaushalt, Grundwasserbildung, Luftfeuchtigkeit und damit das örtliche Klima werden schlechter.
Charta ’14Monique Barbut, Chefin der UN-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung, Josef Ober, Obmann des Steirischen Vulkanlandes und Stephan Pernkopf, Präsident des Ökosozialen Forums, unterzeichnen am 27. 3. in Wien die "Bodencharta", die den Erhalt der landwirtschaftlichen Fläche in Österreich garantieren soll.
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