Erotisch und lebensfroh: Wilde, weise Frauen

Sie ist 65, und sie pfeift auf Vorurteile. Die Lebensberaterin und Autorin Renate Daimler winkt aus ihrem weißen Cabriolet mit knallroten Sitzen und lässt ihre von vielen zarten Fältchen umringten blauen Augen funkeln. Ihr Kennzeichen "BOW" steht für "Beautiful Old Woman". Die Abkürzung für die deutsche Version "Schöne Alte Frau" (SCHAF) hat sie dann doch verworfen. Das Kopfschütteln einiger männlicher Passanten, die sich vielleicht klischeehaft denken, ob die Alte einen Knall hat, ignoriert sie. Die meisten Frauen würden über ihren Auftritt jubeln, versichert Daimler.

Trendwende

Dass die Attraktivität reiferer Frauen so gesehen wird, wie die älterer Männer, gibt es nur in Einzelfällen. Die Trendwende lässt auf sich warten. Auch wenn Kosmetikhersteller Dove "Silver Models" jenseits der 50 ins rechte Licht rückt und als einer der Vorreiter in der Werbebranche gilt, sind ältere Frauen in der Werbung immer noch deutlich unterrepräsentiert. "Es gibt schon Männer, die in einer älteren Frau die Schönheit sehen, "aber im Wesentlichen haben wir diese Umkehr noch nicht geschafft", meint Daimler. "Unsere Urgroßmütter wurden statistisch gesehen nur 38,4 Jahre alt. Heute werden wir Frauen im Schnitt 80. Heißt es, dass wir die Hälfte unseres Lebens hässlich sind, weil sich die meisten Frauen ab 40 überlegen, was sie gegen Falten, Fett und graue Haare machen sollen?" In ihrem neuen Buch "Wir wilden weisen Frauen ", fordert sie auf, die zweite Lebenshälfte selbstbewusst, glücklich und erotisch wie in jungen Jahren zu genießen. Die Autorin erzählt von Frauen, die ganz individuell ihre innere und äußere Freiheit gefunden haben.

Selbstliebe

Erst müssen Frauen lernen – und das unabhängig von ihrem Alter – sich selbst zu lieben. Daimler: "Wenn ich selber nicht glaube, dass mein Körper schön ist, wie soll ihn dann ein Mann schön finden? Die Lebensfreude beginnt im Kopf und führt zu einer vitalen Ausstrahlung." Damit "der dritte Akt des Lebens", wie ihn Jane Fonda (76) nennt, eine Bühne wird, die den 40-, 50-, 60-, 70- und 80-Jährigen gehört, muss die Gesellschaft, "das Alter nicht als Diagnose, sondern als Potenzial" sehen, meint die Schauspielerin. "Es wird Zeit, dass wir nicht nur alte Städte und Kunstwerke schön finden, sondern auch alte Menschen", lautet das Plädoyer der selbstbewussten Renate Daimler. Den Satz "Dafür bin ich zu alt" sollten wir aus unserem Sprachschatz verbannen. Das wusste schon der Arzt und Philosoph Albert Schweitzer: "Mit den Jahren runzelt die Haut, mit dem Verzicht auf Träume aber runzelt die Seele."