Lässt sich Liebe messen?

Lässt sich Liebe messen?
Vertrauen, Liebe, Untreue: Ein neues Rechenmodell vermisst das Liebesglück.

Beziehung berechnen, Paarglück in Formeln gießen: Immer wieder haben sich daran Mathematiker und andere kluge Köpfe versucht. Etwa James D. Murray, der im Jahr 2010 von der Royal Academy in London ausgezeichnet wurde. Für seine Überlegungen und Forschungen zur „Beziehungsmathematik“. Gemeinsam mit dem US-Psychologen John Gottman hatte er ein Rechenmodell zur Stabilität einer Ehe entwickelt.

Lässt sich Liebe messen?
Nun hat Gottman, emeritierter Psychologieprofessor an der Universität von Washington, zu diesem Thema ein Buch geschrieben. Gemeinsam mit der Journalistin und Bloggerin Nan Silver hat er in „Die Vermessung der Liebe“ die Erkenntnisse aus seinem berühmten „Love Lab“ zusammengefasst. Im „Love Lab“, also einer Art Liebeslabor, beobachtet der Psychologe seit Jahren Paare – via Video. Die Paare verbringen dort einen ganzen Tag oder ein ganzes Wochenende in einem Einzimmerappartment mit Seeblick. Dort ist alles, was man zum Leben (und Lieben) braucht: eine Schlafcouch, ein kleines Sofa, ein Fernseher, eine Küchenzeile – und Videokameras an den Wänden, die jeden Moment der Paarinteraktionen aufzeichnen. Nur das Bad ist Tabuzone. Dabei untersucht er den Kommunikationsstil der Paare, bestimmt ihren Biorhythmus und misst den Puls. Auch Körpersprache, Mimik und Worte werden miteinbezogen. Ein, wie er meint, „ehrlicher Blick auf die Beziehung“, zu dem er schreibt: „Hier werden langjährige Liebesbeziehungen einer wissenschaftlichen Prüfung unterzogen.“

Tiefe Verbundenheit

Eines der häufigsten Experimente ist das „Konfliktgespräch“: 15 Minuten lang sprechen Frau und Mann zu einem Streitthema. Zwar wird unter Laborbedingungen etwas anders gestritten als daheim – doch Gottman ist überzeugt: „Unsere Sensoren können niemanden täuschen, ihnen entgeht nichts.“ Auf Basis dieser Beobachtungen an über 3000 Paarbeziehungen entstand sein erstes Buch „Die sieben Geheimnisse der glücklichen Ehe“ – darin wurde gezeigt, wie wichtig eine tiefe, freundschaftliche Verbundenheit zwischen den Partnern ist. In seinem neuen Buch beschäftigt er sich aber vor allem mit dem Thema Vertrauen. Und dessen Gegenpart: dem Betrug bzw. der Untreue. Die beginnt für Gottman aber lange vor dem sexuellen Ausrutscher: „Es gibt einen guten Grund, weshalb ich Untreue als heimlichen Beziehungskiller bezeichne. Untreue äußert sich nicht nur in Form eines Seitensprungs oder einer sexuellen Affäre. Viel häufiger nimmt sie Formen an, welche die Partner gar nicht als Untreue erkennen. Die Paare in meinem Labor beteuern, dass sie einander immer treu gewesen seien. Da täuschen sie sich aber. Jeder scheiternden Beziehung liegt insgeheim eine Form von Treulosigkeit zugrunde, selbst wenn das Paar sich dessen gar nicht bewusst ist.“

Lässt sich Liebe messen?
Für Gottman beginnt Untreue bereits da, wo zum Beispiel ein Ehemann seine Karriere über die Beziehung stellt. Weitere Ingredienzien der Untreue sind Gefühlskälte, Egoismus, Ungerechtigkeit. Doch der Wissenschaftler macht Hoffnung, indem er behauptet, dass er die Formel dieses Giftes analysiert und damit ein Gegengift gefunden hätte. Es ist ein Wort mit sieben Buchstaben und heißt: VERTRAUEN. Klingt nach „eh klar“, doch der Forscher hat herausgefunden, dass die meisten unglücklichen Paare genau diese Zutat in ihrer Verbindung fehlt. Vertrauen kann vieles: Es vertieft die Liebe und die Freundschaft, aber auch die sexuelle Intimität. Und es wirkt stressreduzierend.

Der Weg zur Untreue ist durch die Realität gepflastert. Menschen sind heute öfter mit ihren Smartphones, Verpflichtungen und E-Mails verbunden als mit ihrem Partner. Gottman analysiert: „In einer Beziehung mit einem hohen Potential für Untreue verschwenden Paare Zeit und emotionale Energie.“

Die Metrik des Vertrauens

Also hat Gottman eine „Vertrauensmetrik“ erfunden, mit dessen Hilfe Paare ihr Vertrauensniveau bestimmen können. Der Beziehungsguru in seinem Buch dazu: „Ich konnte eine Gleichung entwickeln, mit der sich das Vertrauensniveau einer jeder Beziehung errechnen lässt. Mithilfe dieser Vertrauensmetrik kann ich jetzt jedem Paar einen Vertrauenswert zwischen 0 und 100 Prozent zuordnen, nachdem ich es in meinem Love Lab analysiert habe.“ Dieser Wert zeige, wie stark Partner miteinander verbunden sind und sich gegenseitig unterstützen.

Gottmans Metrik basiert auf Spieltheorie: Die meisten Szenarien dieser Theorie gehen davon aus, dass die eine Seite das Verhalten der anderen beeinflussen muss, um den eigenen Payoff zu maximieren. Anhand eines Paares kann das so aussehen: Jenny und Alwin sind gerade in eine Wohnung in der Stadt gezogen und versuchen nun, die unliebsame Hausarbeit aufzuteilen. Die Spieltheorie setzt voraus, dass Jenny und Alwin einander ebenso wenig trauen wie die USA und die UdSSR im Kalten Krieg. Der Psychologe schreibt: „Als rationale Spieler wissen Jenny und Alwin, dass es nur vier Möglichkeiten gibt, um die Hausarbeit, zum Beispiel Putzen, aufzuteilen: Entweder putzt keiner von beiden, oder es putzen alle beide oder je einer putzt und der andere nicht. Beide wollen das bestmögliche Ergebnis für sich selbst erreichen, die Interessen des anderen sind nachrangig. Beide wissen, dass sie ihren Payoff maximieren, wenn sie den anderen dazu bringen, zu putzen.“

Lässt sich Liebe messen?
Conceptual portrait of a young couple gentle kissing
Packt man alle Möglichkeiten (Jenny putzt, Alwin auch/Jenny putzt nicht, Alwin putzt/Jenny putzt nicht, Alwin putzt auch nicht etc) in eine Punkte-Matrix, die sich in „Jennys Payoff“ und „Alwins Payoff“ teilt, dann ergibt sich eine bestimmte Punktezahl für jede Konstellation und jeden der beiden Partner. Und damit entsteht ein Blick auf den Vertrauenslevel der Beziehung. Ja, das klingt kompliziert, lässt sich aber auf eine schlichte Erkenntnis subsumieren: Je mehr das Vertrauen fehlt, desto eher ist man auf seinen persönlichen Payoff aus und so weiter. Daraus ergibt sich eine Definition für Vertrauen: „Vertrauen ist nicht irgendein undefinierbares Etwas, das zwischen zwei Menschen wächst. Es ist ein ganz bestimmter Zustand, bei dem beide Seiten bereit sind, zum Wohl des Partners das eigene Verhalten zu ändern.“ Je mehr Vertrauen in einer Beziehung steckt, umso mehr achten die Partner aufeinander. Das führt zu mehr Rückhalt, Empathie und positiver Zuwendung. In deren Rahmen man sich über die Erfolge des anderen freut. Fazit: „Wenn der eigene größtmögliche Payoff den anderen unglücklich macht, kann man darüber nicht glücklich sein.“

Funktioniert auch für Sex

Erstaunlich: Der spieltheoretische Ansatz kann auch auf das Sexleben umgelegt werden. Die Kurzzusammenfassung: Damit ein Paar häufiger Sex hat, muss es für die Partner wirklich in Ordnung sein, wenn der andere Sex ablehnt. Mehr noch: Sie müssen diese Ablehnung sogar in gewisser Weise belohnen. „Nein“ sagen, muss also einen positiven Payoff nach sich ziehen. Gottman konkretisiert: „Die spieltheoretische Analyse führt zu einer simplen Strategie für alle Paare, denen sexuelle Unlust zu schaffen macht. Wenn Sie dafür sorgen, dass es für beide Partner in Ordnung ist, „heute nicht“ zu sagen, wird es mehr Gelegenheiten geben, bei denen Sie beide „ja“ sagen werden. Es braucht also kein Viagra für die Frau – lediglich ein klein wenig Feingefühl.“

Mag sein, dass das mehr nach Mathematik denn nach Erotik klingt, aber wenn’s hilft: bitte sehr.

Lässt sich Liebe messen?

Buchtipp: "Die Vermessung der Liebe" von John Gottman und Nan Silver, Verlag Klett Cotta

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