Lässt sich Liebe messen?
Beziehung berechnen, Paarglück in Formeln gießen: Immer wieder haben sich daran Mathematiker und andere kluge Köpfe versucht. Etwa James D. Murray, der im Jahr 2010 von der Royal Academy in London ausgezeichnet wurde. Für seine Überlegungen und Forschungen zur „Beziehungsmathematik“. Gemeinsam mit dem US-Psychologen John Gottman hatte er ein Rechenmodell zur Stabilität einer Ehe entwickelt.
Tiefe Verbundenheit
Eines der häufigsten Experimente ist das „Konfliktgespräch“: 15 Minuten lang sprechen Frau und Mann zu einem Streitthema. Zwar wird unter Laborbedingungen etwas anders gestritten als daheim – doch Gottman ist überzeugt: „Unsere Sensoren können niemanden täuschen, ihnen entgeht nichts.“ Auf Basis dieser Beobachtungen an über 3000 Paarbeziehungen entstand sein erstes Buch „Die sieben Geheimnisse der glücklichen Ehe“ – darin wurde gezeigt, wie wichtig eine tiefe, freundschaftliche Verbundenheit zwischen den Partnern ist. In seinem neuen Buch beschäftigt er sich aber vor allem mit dem Thema Vertrauen. Und dessen Gegenpart: dem Betrug bzw. der Untreue. Die beginnt für Gottman aber lange vor dem sexuellen Ausrutscher: „Es gibt einen guten Grund, weshalb ich Untreue als heimlichen Beziehungskiller bezeichne. Untreue äußert sich nicht nur in Form eines Seitensprungs oder einer sexuellen Affäre. Viel häufiger nimmt sie Formen an, welche die Partner gar nicht als Untreue erkennen. Die Paare in meinem Labor beteuern, dass sie einander immer treu gewesen seien. Da täuschen sie sich aber. Jeder scheiternden Beziehung liegt insgeheim eine Form von Treulosigkeit zugrunde, selbst wenn das Paar sich dessen gar nicht bewusst ist.“
Der Weg zur Untreue ist durch die Realität gepflastert. Menschen sind heute öfter mit ihren Smartphones, Verpflichtungen und E-Mails verbunden als mit ihrem Partner. Gottman analysiert: „In einer Beziehung mit einem hohen Potential für Untreue verschwenden Paare Zeit und emotionale Energie.“
Die Metrik des Vertrauens
Also hat Gottman eine „Vertrauensmetrik“ erfunden, mit dessen Hilfe Paare ihr Vertrauensniveau bestimmen können. Der Beziehungsguru in seinem Buch dazu: „Ich konnte eine Gleichung entwickeln, mit der sich das Vertrauensniveau einer jeder Beziehung errechnen lässt. Mithilfe dieser Vertrauensmetrik kann ich jetzt jedem Paar einen Vertrauenswert zwischen 0 und 100 Prozent zuordnen, nachdem ich es in meinem Love Lab analysiert habe.“ Dieser Wert zeige, wie stark Partner miteinander verbunden sind und sich gegenseitig unterstützen.
Gottmans Metrik basiert auf Spieltheorie: Die meisten Szenarien dieser Theorie gehen davon aus, dass die eine Seite das Verhalten der anderen beeinflussen muss, um den eigenen Payoff zu maximieren. Anhand eines Paares kann das so aussehen: Jenny und Alwin sind gerade in eine Wohnung in der Stadt gezogen und versuchen nun, die unliebsame Hausarbeit aufzuteilen. Die Spieltheorie setzt voraus, dass Jenny und Alwin einander ebenso wenig trauen wie die USA und die UdSSR im Kalten Krieg. Der Psychologe schreibt: „Als rationale Spieler wissen Jenny und Alwin, dass es nur vier Möglichkeiten gibt, um die Hausarbeit, zum Beispiel Putzen, aufzuteilen: Entweder putzt keiner von beiden, oder es putzen alle beide oder je einer putzt und der andere nicht. Beide wollen das bestmögliche Ergebnis für sich selbst erreichen, die Interessen des anderen sind nachrangig. Beide wissen, dass sie ihren Payoff maximieren, wenn sie den anderen dazu bringen, zu putzen.“
Funktioniert auch für Sex
Erstaunlich: Der spieltheoretische Ansatz kann auch auf das Sexleben umgelegt werden. Die Kurzzusammenfassung: Damit ein Paar häufiger Sex hat, muss es für die Partner wirklich in Ordnung sein, wenn der andere Sex ablehnt. Mehr noch: Sie müssen diese Ablehnung sogar in gewisser Weise belohnen. „Nein“ sagen, muss also einen positiven Payoff nach sich ziehen. Gottman konkretisiert: „Die spieltheoretische Analyse führt zu einer simplen Strategie für alle Paare, denen sexuelle Unlust zu schaffen macht. Wenn Sie dafür sorgen, dass es für beide Partner in Ordnung ist, „heute nicht“ zu sagen, wird es mehr Gelegenheiten geben, bei denen Sie beide „ja“ sagen werden. Es braucht also kein Viagra für die Frau – lediglich ein klein wenig Feingefühl.“
Mag sein, dass das mehr nach Mathematik denn nach Erotik klingt, aber wenn’s hilft: bitte sehr.
Buchtipp: "Die Vermessung der Liebe" von John Gottman und Nan Silver, Verlag Klett Cotta
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