Wer lieben will, muss lügen können

Wer lieben will, muss lügen können
Darf man dem Partner einen Seitensprung verschweigen? Ja, sagen die Autoren Margot und Michael Schmitz.

Lügen gehören zur Beziehungspflege. Wer eine Affäre will, sollte sie verheimlichen. Lügen ist eine Beziehungskompetenz.

Diese Sätze provozieren, stammen sie doch ausgerechnet aus einem Liebesratgeber. Margot und Michael Schmitz, miteinander verheiratete Paartherapeuten und Autoren, erklären in ihrem neuen Buch nicht nur Ehrlichkeit, Vertrauen und Treue zum Schlüssel für ewiges Beziehungsglück. Sondern auch die Fähigkeit, im richtigen Moment den Mund zu halten – und gegebenenfalls die Unwahrheit zu sagen.

Dass der Mensch mit der Monogamie so seine Probleme hat, ist bekannt, auch im Hause Schmitz. "Affären entstehen aus vielen Gründen, aber nicht unbedingt, weil die Beziehung schlecht läuft", sagt Michael Schmitz. Falls es – wegen des Wunsches nach Bestätigung, einer beruflichen Krise oder einer verlockenden Gelegenheit – zu einem amourösen Auswärtsspiel kommt, sollte der "Seitenspringer" Stillschweigen bewahren. "Ein Geständnis würde zu einer Verletzung führen und wäre nicht produktiv für die Beziehung", sind sich der Psychologe und die Psychiaterin einig.

Schuldgefühle können plagend sein, rechtfertigen jedoch keine beziehungsinterne Beichte, sagt Michael Schmitz. "Es ist ein Dilemma: Wenn man einen Partner hintergeht, ist das eine Verletzung. Umgekehrt ist es rücksichtslos, deswegen die Wahrheit zu sagen, um das eigene schlechte Gewissen loszuwerden. Und dann auch noch zu erwarten, dass der Partner einen tröstet. Manchmal lebt man mit einer Lüge besser als mit der Wahrheit."

Die "Schweigepflicht" endet dann, wenn Gefühle entstehen. "Wenn sich das Verhältnis zu einer heimlichen Liebe entwickelt, ist das was anderes. Dann fängt man an, ein Doppelleben zu führen."

Kein Freibrief

Ein Freibrief fürs Fremdgehen soll der Schmitz’sche Ratgeber nicht sein – vielmehr eine Erklärung, warum ein Seitensprung kein Grund zur Trennung sein muss. Er kann ein Anstoß sein – für ein Hinterfragen, ein Gespräch, eine (positive) Veränderung. Margot Schmitz: "Eine Affäre soll man nicht über Moral bewerten. Wenn es passiert, sollte man verantwortungsvoll damit umgehen und sich fragen: Warum suche ich das Abenteuer? Warum widme ich meine Zeit lieber jemand anderem?" Statt über Schuld und Unschuld zu urteilen, sollte man kommunizieren – aber bitte nicht mit Freunden, rät die Expertin: "Entweder wird man bewundert oder hört, dass man ein Schwein ist." Das Geheimnis sei bei einem Außenstehenden besser aufgehoben. Kommt die Affäre doch ans Licht und man möchte die Beziehung weiterführen, ist Arbeit angesagt: Zeit freischaufeln, achtsam bleiben. "Zusammenhalt entsteht, wenn man an der Entwicklung des anderen teilhat", weiß Schmitz.

Eine Regel möchten sie nicht aufstellen – jedes Paar müsse selber festlegen, was für sie tolerabel ist. "Wir fordern die Leute nicht dazu auf, wie die Karnickel durch die Gegend zu vögeln." Natürlich gebe es Menschen, die in monogamen Beziehungen glücklich werden – "aber die sind eher die Ausnahme".

Wer lieben will, muss lügen können
Liebe, Lust und Ehebett

Die bittere Wahrheit: Es gibt keine Wahrheit. Nichts ist individueller als die Beziehung zweier Menschen zueinander. Weil jeder in diese Beziehung mehr mitbringt als "nur" sich selbst: sein Familiensystem, die Erfahrungen darin, die Geschichten von Omas, Opas, Müttern und Vätern. In diesem Licht sollte man auch das Thema "Affäre" betrachten. Ein Thema, das viele Menschen als Störfaktor völlig ausschließen – Motto: "Uns passiert das nicht". Ein wenig naiv, wie ich meine. Die Scheidungszahlen sprechen eine andere Sprache und glaubt man den damit gut beschäftigten Anwälten, liegt der Treuebruch in der Hitparade der Trennungsgründe sehr weit oben. Genau genommen muss man eigentlich fragen: Wer hatte noch keine? Da hilft dann das empfohlene Lügen – langfristig betrachtet – nicht sehr viel weiter. Aber auch ich bin kein Fan, dem anderen mit aller Offenheit eines "reinzuwürgen", um sich freizusprechen. Was passiert ist, ist passiert, da muss niemand nach Hause taumeln und dem Ehepartner ins Ohr raunen: "Ui Schatz, ich habe mit dem Kollegen/der Kollegin gevögelt. Sorry, das tut mir sehr leid, wird nicht mehr wieder vorkommen. Doch jetzt, Darling, sei so lieb und komm damit zurecht." Wozu das bitte? Wiederholt sich die Amour fou nicht mehr, dann besser schweigen.

War da was???

Heikel wird’s allerdings, wenn der/die "Betrogene" spürt, dass etwas nicht stimmt. Und misstrauisch wird, unsicher, aus den Angeln gehoben, quasi. Das kann auch im Falle einer rein sexuellen Affäre passieren, jenen üblichen "Rein-Raus"-Geschichten, die nach Abenteuer und Bestätigung riechen und sich kurzfristig in die Zweisamkeit drängeln, um bald wieder zu verdunsten wie heißes Wasser. Wer sich in so einem Fall mit der Frage "War da was, ist da was – und wenn ja: was genau?" konfrontiert sieht, sollte die Wahrheit sagen und dringend aufhören zu lügen. Weil’s ein Zeichen von Respekt ist, weil man den anderen nicht in Unklarheit lassen sollte, weil der andere es nicht verdient hat, mit seinen Zweifeln zu leben (und irgendwann deppert zu sterben). Vor allem aber: Weil vermutlich genau jetzt der Moment gekommen ist, etwas zu "zerstören", um es - in neuem Licht - wieder frisch zusammenzubauen. Ich bin überzeugt: Ein Seitensprung des Partners birgt unglaubliche Entwicklungschancen – sich neu zu orientieren, sich anders zu definieren, und sich in eigene und andere Tiefen zu vertiefen.

Margot & Michael Schmitz

Die Fachärztin für Psychiatrie und der Psychologe sind seit 20 Jahren verheiratet. Sie haben vier Kinder aus früheren Beziehungen (Margot ist die Mutter von Markus Rogan) und eine gemeinsame Tochter. Zusammen beraten sie Paare in Krisen (www.schmitz.at).

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honorarfrei, Margot & Michael Schmitz

Online-Forum

Auf der Facebook-Seite "Liebe, Lust und Ehebett" beantworten die Autoren (anonyme) Fragen zum Thema. Es soll ein offener Austausch entstehen.

Termine

8. Juni, 19.30 Uhr: Buchvorstellung mit Margot und Michael Schmitz in der Buchhandlung Morawa, Wollzeile 11

11. Juni, 18.00 Uhr: Die Autoren im Gespräch mit Alfred Pritz, Rektor der Sigmund-Freud-Universität

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