Muss ich meiner Freundin sagen, dass ihr Mann sie betrügt?

Wann sollte man besser den Mund halten und wann nicht?
Eine psychologische Beraterin gibt Tipps, was man in einer solchen Situation bedenken sollte.

Es ist einige Jahre her, da brachte ein Skiurlaub – geplanterweise unter Männern – Kollegen A. in die Bredouille. Freund P. hatte sein Gspusi in einem nahe gelegenen Hotel einquartiert. Während er schöne Tage mit seiner Affäre verbrachte, überkam A. zusehends ein schlechtes Gefühl – denn P.s fixe Lebenspartnerin war Teil des gemeinsamen Freundeskreises.

Zum einen war A. verärgert, weil P. seine Untreue offen vor den Freunden zur Schau stellte; zum anderen beschäftigte ihn die Frage, ob er als Freund von dessen Lebensgefährtin dazu verpflichtet ist, sie darüber in Kenntnis zu setzen. Letztlich entschied er sich dagegen, bis heute ist er sich nicht sicher, korrekt gehandelt zu haben.

Eigene Motive

Für Lisa Vesely, psychologische Beraterin mit Schwerpunkt auf Paar- und Sexualberatung bei „Beziehung bewegt“, gibt es in einer solchen Situation kein richtig oder falsch. „Es ist immer ein zweischneidiges Schwert“, sagt Vesely. Wenn man den Betrug aufdecken möchte, sei es wichtig, sich über die eigenen Motive klar zu werden. „Man sollte sich die Frage stellen, ob man vielleicht mit seinen eigenen Gefühlen zur Situation schwer umgehen kann – und sich durch die Offenlegung erleichtern möchte.“

Etwas zu wissen und damit vor anderen zu prahlen, könne ebenfalls ein Motiv sein. Während Letzteres nicht unbedingt ein Zeichen für eine loyale Freundschaft ist, sieht die Lebensberaterin andere Beweggründe differenzierter.

Wenn man seine Beobachtungen unbedingt mitteilen möchte, gehe es manchmal darum, eigene Moralvorstellungen der anderen Person überzustülpen. Es könne aber auch sein, dass man die eigene Freundin schützen will. Doch auch hier lohne sich die Frage, inwiefern man dadurch nicht vielleicht zwei Menschen ihre Eigenverantwortung innerhalb ihrer Paarbeziehung abspricht.

Verzwickte Situation

Laut Vesely macht es einen Unterschied, ob man einen Flirt an der Bar beobachtet oder den Mann der Freundin mit einer anderen Frau bei einem Doppelleben ertappt. „Wenn man sich dazu entschließt, etwas zu sagen, muss man sich zu 100 Prozent sicher sein, dass die Vorwürfe stimmen“, sagt sie. Man könne auch nie ausschließen, dass man als Überbringer der schlechten Botschaft am Ende selbst als der oder die Böse dasteht. Wenn die Betrogene als Letzte davon erfährt, könne es aber auch sein, dass sie sich so gedemütigt fühlt, dass sie die Freundschaft zu Mitwissern aufkündigt.

Zuerst ein Gespräch mit dem betrügenden Partner zu suchen, gibt dem Paar die Möglichkeit, die Untreue im intimen Rahmen für sich zu behandeln. Noch besser findet Vesely das Modell von Kollegin D.: Sie hat ihre Freundinnen gefragt, ob sie informiert werden wollen, wenn ihr Mann eine Affäre hat. Die Antworten fielen unterschiedlich aus. „Das ist eine gute Vereinbarung, weil man dann nicht aufgrund der eigenen Moralvorstellung handelt. So zwingt man auch niemanden, die Augen zu öffnen, der vielleicht bewusst oder unbewusst versucht, sie vor dem Betrug zu verschließen.“

Für jedes Handeln würde man immer auch einen Preis bezahlen, so Vesely. Besonders hoch kann dieser werden, wenn man selbst mit dem Mann die Freundin betrügt. „Es wird wenige Freundschaften geben, die das überstehen können.“ Auch, wenn man nicht beichtet. Man zieht sich eventuell zurück, weil „man ihr nicht mehr in die Augen schauen kann“.

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