Muslime in Österreich: Man ist "Terrorist" oder Musterbeispiel

Nour El-Houda Khelifi, Journalistin in Wien
Zwei Muslimas über die stereotype Islam-Debatte in Europa. Sie sehen Handlungsbedarf.

Erst in der vergangenen Woche hat der Verfassungsschutzbericht in Österreich aufgezeigt, dass das "asyl- und fremdenfeindliche Meinungsklima sowie rechtsextreme Aktivitäten eine demokratiegefährende Tatsache" darstellen. Und auch, dass der isalmistische Terror "die größte Bedrohung für Österreich ist."

„Die Islamdebatte ist eine Stellvertreterdiskussion für tiefere Probleme. Wir steuern auf eine Konfrontation zu, wenn wir uns nicht gemeinsam unserer Aufgaben in der Gesellschaft bewusst werden“, sagt Amira Hafner-Al Jabaji (47). Sie ist Journalistin und Islamwissenschaftlerin. Die Präsidentin des Schweizer interreligiösen Think-Tank wurde in Bern geboren. Sie hat irakisch-deutsche Wurzeln.

Muslime in Österreich: Man ist "Terrorist" oder Musterbeispiel

Amira Hafner-Al Jabaji

Rasche Digitalisierung und Individualisierung bewirken Verunsicherung. Ständige Optimierung erfordert große Anstrengung. „Spirituelle Verankerungen, die Europa christlich geprägt haben, sind abhanden gekommen.“ Das sei eine Absage an die eigene Religiosität. Christentum und Islam wurzeln im Judentum. Geschichten aus der Tora werden in Bibel und Koran erzählt. Gemeinsamkeiten zu Schöpfung und Umweltethik herauszuarbeiten brauche Zeit. „Ich sehe die Gefahr, dass die Säkularisierung uns die Gemeinsamkeiten nimmt.“

Nour El-Houda Khelifi (24) ist Studentin und freie Journalistin in Wien. Ihre Eltern haben tunesische Wurzeln. Tägliche Gebete, der Fastenmonat Ramadan und spirituelle Einkehr sind ihr wichtig. Als Muslimin sieht sie die Chance, andere „Menschen und Geschichten an die Öffentlichkeit zu tragen“.

Mitgestalten

Muslime können wesentlich zur Gesellschaft beitragen. Die Wirtschafts- und Soziallehre des Islam bietet laut Hafner-Al Jabaji Lösungsperspektiven. Im Diskurs Differenzen zu betonen nehme Muslime aber aus der Verantwortung, sich der Fragen anzunehmen. „Mein Glaube und der Islam sind zentraler Teil meines Lebens“, sagt sie. „Ich erlebe Muslimfeindlichkeit durch unausgewogene Berichterstattung.“

Khelifi wünscht sich mehr positive Berichte und Porträts aus der Mitte der Gesellschaft. „Man ist Terrorist oder Ausnahmebeispiel der Integration.“ Das fördert Angst, Hass und Vorurteile. Man müsse Muslime in die Entwicklung Österreichs und Europas einbeziehen. Handlungsbedarf sei in Redaktionen. „Sie bestehen mehrheitlich aus älteren, weißen Männern.“ Neben Maria und Peter sollen Nour, Coco, Esteban und junge Menschen repräsentiert werden. Die europäisch-muslimischen Lebensstile der drei Zuwanderergenerationen sind unterschiedlich. „Deswegen ist es falsch, mit Begriffen wie „der Islam“ und „die Muslime“ zu hantieren.“ Die Flüchtlingsthematik habe gezeigt, wie mächtig Sprache sein kann. „Wir müssen uns dieser Verantwortung bewusst sein und sensibler werden“, meint Khelifi.

Kopftuch-Frage

Milieu, Herkunft, Geschichte und Sozialisierung bestimmen für Hafner-Al Jabaji das Muslim-sein, nicht nur die Religion. „Viele traditionell lebende Muslime in Europa sehen in der Kleidungswahl eine Freiheit der Frau. Es gibt den Trend unter jungen Frauen, Kopftuch zu tragen, während ihre Mütter es nicht tun.“ Der Druck der Umwelt, der Kopftuch-Tragenden eine Tendenz zum Fundamentalismus, Islamismus, oder Unterdrückt-sein unterstellt, sei enorm. „Das richtige Muslima-sein steht und fällt heute mit dem Kopftuch, was verkehrt ist.“

Neutralität werde oft anhand des Kopftuchs diskutiert und das Aussehen über alles gestellt, meint Khelifi. Man legt aber mit dem Kopftuch nicht den Glauben ab. „Als sichtbare Muslimin ist es schwer, als Journalistin wahrgenommen zu werden.“ Sie war oft die erste Muslimin, mit der Kollegen Kontakt hatten. „Wir sehen dieses Land und Europa als unser Zuhause, in dem wir unsere Rechte geltend machen. Ich kann österreichisch sein und muslimisch leben.“

Wichtig für ein gutes Zusammenleben seien Verständnis, Information und Gespräche über Glauben und Nicht-glauben. Man solle die Vielfalt feiern und wertschätzen. Potenzial müsse besser genutzt werden. Es sei wichtig, gemeinsam auf die Schwächsten und Ärmsten zu achten und sich für eine Politik in diesem Sinne einzusetzen.

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