Moslems und Christen, Krieg und Konflikt?

Moslems und Christen, Krieg und Konflikt?
Viele Jahrhunderte lebte man in friedlicher Koexistenz. Ein neues Buch geht der gemeinsamen Geschichte nach.

Lady Mary Wortley Montagu war erstaunt. Die Frau des englischen Botschafters im Osmanischen Reich hatte im 18. Jahrhundert Zugang zum Harem des Sultans sowie zur weiblichen Oberschicht von Istanbul und stellte fest, dass die Damen ihre Kinder mit Lebend-Impfungen immunisierten. "Sie haben sie kleinen Mengen Pocken-Erregern ausgesetzt, was für einen Europäer eine völlig unerhörte Idee gewesen ist. Im Orient aber war das eine uralte Tradition. Darum gab es dort – anders als in Europa – auch keine großen Pocken-Probleme." Das erzählt Georg Mayrhofer, der die Anekdote im Zuge seiner Recherche für sein neues Buch Die Reise zum Goldenen Apfel. Die gemeinsame Geschichte von Orient und Okzident ausgegraben hat.

Moslems und Christen, Krieg und Konflikt?
"Zurück in England setzte sich Lady Montagu für die Einführung der Pockenimpfung ein, musste sich von den Ärzten aber anhören, dass sie nur ein dummes Weib sei. Doch dann kam es zu einer Pocken-Epidemie und man begann – wohl oder übel –, mit der Idee, die die Lady aus dem Orient mitgebracht hatte, zu experimentieren." Von England aus trat die Pockenimpfung schließlich ihren Siegeszug an. Erfunden aber wurde sie im Orient.

Abseits des Konfliktes

Diese und unzählige andere Geschichten hat Georg Mayrhofer in vielen Bibliotheken ausgegraben, "weil ich versuchen wollte, einen anderen Aspekt in den Beziehungen zwischen Orient und Okzident zu betonen – abseits des Konfliktes, der derzeit dominiert". Denn: "Unsere Moderne fußt sowohl auf orientalischen als auch auf westlichen Entwicklungen – und das weitaus mehr als ich vor den Recherchen geglaubt habe."

Am meisten verblüfft habe ihn die Tatsache, "dass der Minnesang, die gesamte Idee der romantischen Liebe und die Endreim-Dichtung eins zu eins aus dem Orient übernommen worden ist. Eine Frau zu überhöhen, ist eine orientalische Idee, die über das Kalifat von Cordoba in den Westen kam und sich innerhalb von einer Generation bis ins deutsche Reich verbreitete, wo der Minnesang in die höfische Dichtung Eingang fand", erzählt Autor Mayrhofer. Mehr noch: Die rückkehrenden Kreuzritter lösten in Europa eine Kulturrevolution aus, beginnend mit den Tischsitten.

Im frühen Mittelalter legte man Speisen bei uns schlicht in Vertiefungen des Tisches, nicht einmal Teller gab es. Durch den orientalischen Einfluss wurden plötzlich Tischtücher, Servietten und Tafelmusik modern.

Glaubensfrage

Auch das heute so heikle Thema Religion bekommt in Die Reise zum Goldenen Apfel Raum. Zur Zeit der Kreuzfahrer hätte es – anders als es uns das Klischee glauben macht – wenig Bedürfnis gegeben, großartig zu missionieren, erzählt Mayrhofer. "Die massive, religiöse Intoleranz kam erst mit der Neuzeit. Die Araber selbst waren religiös extrem tolerant."

Sie versuchten sogar zu verhindern, dass zu viele Christen zum Islam übertreten, weil sie eine Kopfsteuer eingeführt hatten: "Die Anhänger aller anderen Religionen mussten viel höhere Steuern zahlen und wurden deshalb gehegt und gepflegt."

Der Islam sei zwar die Religion der herrschenden Kaste gewesen, doch man legte keinen Wert darauf, dass alle übertreten. Das blieb so bis in die 1970er-Jahre. "Man hatte diesen Wahnsinnsgedanken, dass man irgendjemandem seine Religion aufzwingen kann, einfach nicht."

Anekdote

Die Verbindungen zwischen Ost und West waren von alters her vielfältig und – eng: So war beispielsweise der europäische Hochadel mit den Osmanen verwandt und verschwägert. Georg Mayrhofer: "Eine Cousine von Joséphine Bonaparte, der ersten Frau Napoleons, war – ursprünglich Kriegsbeute und Sklavin – später eine Sultansgattin. Sie führte einen Salon nach Pariser Vorbild in Istanbul ein."

Andererseits wurde in den Jahrhunderten davor so mancher Papst an arabischen Universitäten ausgebildet. Silvester II. etwa, hatte vor seiner Papst-Karriere sowohl in Cordoba als auch in Saragossa studiert. "Im 11. Jahrhundert war das eine Selbstverständlichkeit, denn die arabischen Universitäten waren die besten. Es war ein Elitestudium – so wie man heute nach Harvard und Cambridge geht, wenn man die Möglichkeit dazu hat."

Ein Blick in die Geschichte lehrt uns also, dass der Westen kein Monopol auf Elite-Unis hat.

Und wenn wir schon beim Thema Bildung sind, sei auch noch die Schlussfolgerung von Georg Mayrhofer erwähnt: "Es gibt heute eine Bruchlinie zwischen Menschen, die die Aufklärung verinnerlicht haben, und solchen, die sie nicht verinnerlicht haben. Und diese Bruchlinie geht quer durch die orientalischen Staaten."

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