Rudi Gernreichs berühmteste Erfindung blieb gleichzeitig seine erfolgloseste. Nur 3.000 Exemplare seines „Monokini“ wurden in den Jahren nach dessen Präsentation im Juni 1964 verkauft, die Schau am Strand von Chicago geriet zum Skandal-Event inklusive Polizei-Einsatz. Kein Wunder: Mit ihrer knappen Hose und den schmalen Trägern, die Bauch und Brüste komplett freiließen, war die revolutionäre Kreation für Frauen alles andere als alltagstauglich.
Dabei hatte der österreichische Modeschöpfer – am 8. August jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal – durchaus Größeres im Sinn als die bloße Provokation. Gernreich, der als Jugendlicher mit seiner Wiener Mutter vor den Nationalsozialisten nach Los Angeles fliehen musste, hatte genug vom prüden Amerika der 1950er- und -60er-Jahre. Genug vom korsettartigen Badeanzug, der Frauenkörper in eine absurde Idealform mit üppiger Brust und Wespentaille presste.
Sein radikaler Einteiler sollte die weibliche Brust entsexualisieren und die Grenzen zwischen den Geschlechtern aufbrechen. Oben ohne für alle, nicht nur für Männer. „Gernreichs Mode war sexuell befreit und ungebändigt“, sagt Yella Hassel von der Modeschule Hetzendorf. „Da ging es um Feminismus, Selbstbestimmtheit, Freiheit – für Frauen, aber auch für die LGBTQ-Gemeinschaft. Das war nicht nur polarisierend, sondern Sprengstoff.“
Doch empörte Stimmen konnten Gernreich nicht von seiner Vision abbringen. 1974 meldete er den Tanga zum Patent an, auch der bügellose BH geht auf Gernreich zurück. Nur wenige Jahre zuvor hatte der Schwulenaktivist mit einem Unisex-Projekt bei der Weltausstellung in Osaka für Aufsehen gesorgt: Zwei Models, eine Frau und ein Mann, führten komplett enthaart und kahl geschoren Mode vor, die von Männern und Frauen gleichermaßen getragen werden sollte. „Er antizipierte wie kaum ein anderer den heutigen Zeitgeist“, sagt Hassel. „Das war ein Aufruf zum Ungehorsam, ein Ruf nach Veränderung und der Gleichheit der Geschlechter.“
Heute, 37 Jahre nach Gernreichs Tod, kommt kaum eine Designer-Kollektion ohne Unisex-Entwürfe aus. Der Tanga feiert an Stilikonen wie Bella Hadid ein schillerndes Comeback und der bügellose „No Bra Bra“ avancierte zum feministischen Symbol einer neuen Frauen-Generation.
Und was wurde aus dem Monokini? 2014 sicherte sich ein Berliner Modeunternehmer die Markenrechte und gründete einen Online-Shop (www.rudigernreich.com), in dem auch der barbusige Original-Einteiler – leicht adaptiert – erhältlich ist.
Leider sei die aktuelle Bademode wieder sehr konservativ, beklagt Yella Hassel, „größtenteils von Influencer-Idealen geprägt und absolut humorlos“. Junge Frauen sieht man im Bad und am Strand heute kaum noch oben ohne. Und auch jüngste Aufregungen um sichtbare Nippel – etwa am Rande der Salzburger Festspiele – haben gezeigt, dass Rudi Gernreichs Mission wohl noch lange nicht vollendet ist.
Kommentare