Michael Chalupka: "Da ist mehr Mut gefragt"

Michael Chalupka (Direktor Diakonie Österreich) möchte von Innenministerin Mikl-Leitner gerne wissen, ob sie mit ihrer Drohung, Österreich stehe vor einem Asylnotstand, die Republik mit Griechenalnd und Italien vergleiche.
Der Leiter der Diakonie, Michael Chalupka, wünscht sich ein Österreich, das mehr integriert als ausgrenzt.
Von Uwe Mauch

Nach seinem Wunsch für das Jahr 2015 gefragt, antwortet Michael Chalupka: "Dass sich die Politiker anstecken lassen, von der Welle der Hilfsbereitschaft, die ich in den vergangenen Wochen in Österreich feststellen konnte." Ein frommer Wunsch: Denn Chalupka ist Theologe, evangelischer Pfarrer und Leiter der Diakonie Österreich, einer der größten Sozialorganisationen des Landes.

KURIER: Herr Chalupka, was steht denn auf Ihrem Wunschzettel für das Jahr 2015 ganz oben?
Michael Chalupka:
Beginnen wir vielleicht mit einem Thema, das sich relativ leicht umsetzen ließe: Die Öffnung des Arbeitsmarktes für Asylwerber. Wir wissen heute, dass es aufgrund der geringen Zahl an Menschen, die um Asyl ansuchen, nicht zu einer Überflutung des Arbeitsmarktes käme. Dass man damit aber den Betroffenen enorm helfen würde. Sie wären nicht zur Untätigkeit verdammt, könnten zeigen, was in ihnen steckt, könnten damit auch einen Beitrag zu ihrer Selbsterhaltung leisten. Noch dazu, wo die Hälfte der Antragsteller aufgrund eines positiven Asylbescheids sowieso das Recht bekommt, hier zu arbeiten. Je früher sie mit Arbeit und Ausbildung beginnen können, desto besser für alle Seiten.

Sehen Sie für Ihre Forderung eine reale Chance?
Ich bin davon überzeugt, dass noch 2015 eine dementsprechende Regelung gelingen wird.

Bleiben wir noch kurz beim Thema Asyl: Was wäre da aus Ihrer Sicht noch wünschenswert?
Ich habe in den vergangenen Wochen und Monaten in vielen Gesprächen und bei vielen Begegnungen bemerkt, dass die Bereitschaft in der Bevölkerung steigt, ihre Herzen und ihre Häuser zu öffnen. Weil viele Österreicher erkannt haben, dass es viele Menschen auf dieser Welt gibt, die alles verloren haben. Kriege und Krisen sind sehr konkret geworden. Syrien können sie sich vorstellen. Und da ist jetzt auch mehr Mut von den Landeshauptleuten, Bürgermeistern und Gemeindevertretern gefragt. Die Evangelische Kirche mit ihren bescheidenen Mitteln will mit gutem Beispiel vorangehen: Wir werden 2015 eigene Ehrenamtskoordinatoren einsetzen, um all die Freiwilligen besser koordinieren und betreuen zu können.

Stichwort Armut, die ein ebenso zentrales Thema für die Diakonie ist.
Ja, da würde ich mir wünschen, dass die Armutsindikatoren in Europa genauso ernst genommen werden wie die Zahlen zum Budget und zur Kapitaldeckung der österreichischen Banken.

Konkret fordern Sie seit Jahren mehr Chancengleichheit.
Wir müssen endlich damit aufhören, die Chancen für eine gute Bildung zu vererben. Es kann doch nicht sein, dass wir 15 bis 20 Prozent der jungen Menschen nur aufgrund ihrer sozialen Herkunft auf dem Weg zu einer guten Ausbildung verlieren. Das ist den Betroffenen gegenüber nicht fair. Und das werden wir uns auch aufgrund der demografischen Entwicklung nicht mehr lange leisten können. Wir werden schon bald jeden Einzelnen von den jungen Leuten auf dem Arbeitsmarkt brauchen.

Wie wollen Sie denn mehr Fairness gewährleisten?
Das kann nur ein Schulsystem, das nicht aussondert und aussortiert, sondern vielmehr fördert und begleitet. Da kann die Schule übrigens auch selbst lernen – von Ländern, wo das besser klappt.

Stichwort Alterspyramide: Was wünschen Sie sich für die alten Menschen, deren Gruppe laut Prognosen zunehmend größer wird?
Dass wir uns darüber freuen, dass die Lebenserwartung und auch ein Älterwerden in Gesundheit steigt. Und dass wir dabei nicht sofort an all die Krankheiten und Kosten denken. Dazu gehört für mich auch, dass die Demenz als Schreckgespenst enttabuisiert wird. Wir sind gut beraten, den alten Menschen nicht nur in professionellen Einrichtungen entgegenzukommen, sondern auch außerhalb. Da denke ich zum Beispiel auch an speziell ausgebildete Mitarbeiter bei Behörden, in Supermärkten, Apotheken und Gemeinden.

Zum Schluss bitte noch ein zweiter frommer Wunsch, der sich 2015 leicht umsetzen ließe?
Ja, da gibt es tatsächlich noch einen zweiten: Dass wir im Rahmen des Nationalen Aktionsplans für Menschen mit Behinderung in diesem Jahr eine zentrale Anlaufstelle schaffen, an die sich Menschen wenden können, die lautsprachlich stark eingeschränkt sind. Derzeit haben wir das Problem, dass es zwar wunderbare assistierende Technologien gibt, die ihnen helfen könnten, mit anderen Menschen zu kommunizieren, zu lernen und auch zu arbeiten, doch sie werden im Kreis geschickt. Diese Anlaufstelle kostet keine Milliarden. Und könnte viel Frustration ersparen.

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Info

Michael Chalupka wurde 1960 in Graz geboren, studierte evangelische Theologie in Wien und Zürich und ist seit bereits zwanzig Jahren der Direktor der Diakonie Österreich.

Diakonie Österreich
Die Diakonie Österreich ist der Dachverband aller diakonischen evangelischen Anbieter in Österreich und besteht aus 34 Mitgliedsorganisationen mit 7450 Mitarbeitern. Spendenkonto bei der Erste Bank: IBAN AT49 2011 1287 1196 6399, BIC GIBAATWWXXX.

Mehr Infos über die Hilfsangebote der Diakonie unter: www.diakonie.at

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