Demenztraining: eine neue berufliche Option

Bewegende Momente: Margit Wendelin stimmt im Pflegeheim das Gymnastiklied an
Positive Bilanz. Wie eine erfahrene Buchhalterin ihr berufliches Glück als Demenztrainerin fand
Von Uwe Mauch

Schön ist es, wenn sie ihre Zuhörer berühren kann und plötzlich eine 92-jährige Frau ein Gedicht aus ihrer Jugend fehlerfrei aufsagt. Oder wenn die Dame im Rollstuhl, die nicht mehr viel spricht, bei den Klängen des Donauwalzers mit ihrem Oberkörper im Takt zu wippen beginnt.

Schön ist es auch, der Demenztrainerin Margit Wendelin bei ihrer Arbeit zuzusehen. Weil sie mit ihrem ganzen Herzen bei der Sache ist. Und weil sich das auf die betagten Menschen überträgt.

Demenztraining: eine neue berufliche Option

Wenn Margit Wendelin am Dienstagvormittag ins Pflegeheim der Diakonie im nordburgenländischen Gols kommt, warten einige Bewohner schon auf sie. Zu Beginn der Trainingsstunde tragen sich alle Teilnehmer in eine vorbereitete Liste ein – mit ihrer Unterschrift oder einem Hakerl. Jeder wie er kann. Dann beginnen sie, gemeinsam das Gymnastiklied zu singen und dabei Hände und Köpfe rhythmisch zu bewegen. Anschließend lässt die Gruppe einen Luftballon durch den Raum zirkulieren.

Zu viele Zahlen

Demenztrainerin Wendelin hat ihre Berufung gefunden, und das in einem zunehmend mehr gefragten Beruf. Sie hat 33 Jahre lang in Steuerberatungskanzleien gearbeitet, immer sehr gerne, zuletzt als eine von allen geschätzte Bilanzbuchhalterin. Mit 52 hat sie jedoch ihrem alten Beruf Adieu gesagt: „Ich habe die Zahlen nicht mehr sehen können. Und ich habe entdeckt, dass ich mit alten Menschen arbeiten möchte.“

Ihre Entscheidung, den sicheren Finanzjob aufzugeben und sich in einem Sozialberuf selbstständig zu machen, hat in ihrer Firma, ihrer Familie und im Freundeskreis für Kopfschütteln gesorgt. Öfters hat man sie einbremsen wollen: „Du gibst einen gut bezahlten Job auf.“

Demenztraining: eine neue berufliche Option

Doch sie ließ sich davon nicht beirren. Immerhin ist Demenz eines der großen Themen unserer Zeit: In Österreich sind derzeit rund 100.000 Menschen betroffen, zwei Drittel davon sind Frauen. Und die Krankheit wird in näherer Zukunft noch viel mehr professionelle Hilfe erfordern. Experten gehen bereits von einer Verdreifachung der Erkrankten bis zum Jahr 2050 aus.

Heute sagt Margit Wendelin: „Man muss sich die Neugierde am Leben bewahren – und die kindliche Freude.“ Schon als freiwillige Helferin beim Roten Kreuz hatte sie ihre Fähigkeit, mit alten Menschen zu arbeiten, erkannt. Auf die Ausbildung zur Demenztrainerin ist sie dann im Internet gestoßen: „Ich habe mir immer gedacht, dass es nicht sein darf, dass Menschen dahinvegetieren und wir dabei tatenlos zusehen.“

Heute steht in Gols das Thema Pfingsten an. Die Trainerin fragt in die Runde, welche zusammengesetzten Wörter sich mit Pfingsten bilden lassen. Schnell ist man bei der Pfingstrose und beim Pfingstsonntag. Und mitten drinnen sagt eine Teilnehmerin freudestrahlend: „Margit, du bist unsere Lehrerin.“

Vier Mal pro Woche arbeitet die Trainerin mit Gruppen, dazu kommen mehrere Hausbesuche, bei denen sie demenzkranke Menschen einzeln betreut. „Von meinen Einkünften“, sagt die Mutter eines erwachsenen Sohns, „komme ich heute ganz gut über die Runden.“

Auf ihr Herz gehört

Ihren Berufswechsel hat sie bisher nicht bereut, erklärt Margit Wendelin nach der Stunde im Golser Diakoniezentrum. Sie lächelt und macht dabei nicht den Eindruck, unglücklich zu sein. Dann sagt sie: „Man muss auf sein Herz hören. Wir agieren heute viel zu oft mit dem Verstand. Bei mir ist es so, dass aus einer kleinen grauen Maus eine selbstbewusste Frau wurde, die noch viel Gutes bewirken möchte.“

Demenztraining: eine neue berufliche Option

Neues Betätigungsfeld

Mehr als 700 Demenztrainer: Die MAS Alzheimerhilfe offeriert seit 2002 eine Ausbildung zum/zur MAS Demenztrainer(in), und zwar in Linz, Bad Ischl, neuerdings in St. Pölten und Deutschlandsberg. Weil zwei Mal pro Jahr Kurse starten, gibt es heute mehr als 700 zertifizierte Demenztrainer in Österreich. Die meisten sind Frauen. Sie arbeiten entweder selbstständig oder in Institutionen im Pflege- und Gesundheitsbereich.

Ein 3/4 Jahr Ausbildung: Die Ausbildung dauert ein 3/4 Jahr und kann berufsbegleitend absolviert werden. Sie ist  durch den TÜV Austria zertifiziert. Infos: www.alzheimerakademie.at bzw. www.alzheimerhilfe.at

Info-Portale für Betroffene:

Diakonie: https://demenz.diakonie.at/

Volkshilfe: http://www.demenz-hilfe.at/cms/cms.php

Caritas: http://www.demenz-hilfe.at/cms/cms.php

Hilfswerk: https://www.hilfswerk.at/ich-bin-dann-mal-alt/ bzw. https://www.hilfswerk.at/mehr-als-vergesslich/

Spezialambulanz im Wiener AKH: https://www.akhwien.at/default.aspx?pid=209

Ein erster Überblick: https://www.sozialministerium.at/site/Pension_Pflege/Pflege_und_Betreuung/Demenz/#intertitle-1

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