1967: Musik, Sex und Drogen im Summer of Love
Die große Sehnsucht. Blumen gegen Waffen, Freiheit gegen Traditionen, Liebe gegen bigotte Moralvorstellungen – der Wille, alles besser, schöner, friedlicher zu machen als die Altvorderen. Bunter auch. Ende der 1960er gerieten unverrückbar scheinende Wertvorstellungen und Hierarchien der konservativen Aufbau- und Leistungsgesellschaft gehörig ins Wanken.
Und vor allem ein Sommer schien die nicht nur in Österreich herrschende Des-hamma-immer-scho-so-gmacht-Mentalität der breiten Masse geradezu auszuhebeln. Nein, nicht der mit Woodstock im Jahr 1969. Da sang Jimi Hendrix bereits desillusioniert „if all the hippies cut off all their hair, I don't care, I don't care“, Janis Joplin war schon gezeichnet von ihrem Kollisionskurs mit der Welt, auf dem ihr Jahrzehnte später Amy Winehouse folgen sollte und Ilja „Disco“ Richter bekam im ZDF seine erste Musiksendung.
Janis Joplin, auf Kollisionskurs mit der Welt
Auch nicht das viel zitierte Jahr der sogenannten 68er-Generation mit seinen Protesten, Tragödien und Revolutionen. Nein, es war der „Summer of Love“ des Jahres 1967, in dem alles begann.
Am 1. Juni veröffentlichen die Beatles ihr epochales Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, das Monterey Pop Festival eröffnet die Ära der Mega-Events, Pink Floyd bringen mit „The Piper at the Gates of Dawn“ ihre erste Platte auf den Markt und Mick Jagger schockt die Welt mit „Let’s Spend the Night Together“.
Sexuelle Eskapaden
Im Film „Die Reifeprüfung“ werden die sexuellen Eskapaden des jungen Dustin Hoffman und der nicht ganz so jungen Anne Bancroft zum Skandal, Warren Beatty und Faye Dunaway sind als Bonnie und Clyde die coolsten Outlaws der Geschichte, und in Disneys „Dschungelbuch“ tanzen sich ein hippiesker Bär und ein kleiner Bub in die Herzen von Kindern und Erwachsenen. Cassius Clay, der bereits seit zwei Jahren Muhammad Ali heißt, was von vielen Sportmoderatoren einfach ignoriert wird, weigert sich, seinem Einberufungsbefehl nachzukommen, verliert den Titel des Boxweltmeisters und wird zur Symbolfigur der US-Jugend, die gegen den Vietnamkrieg protestiert.
Hair: Im Zeitalter des Wassermanns gegen das Establishment
Mit „Hair“ kommen die Jugendbewegung, der Kampf gegen das Establishment und das „Wassermannzeitalter“ (Age of Aquarius) auf die große Musicalbühne, und sogar die eher biedere F. Blumhoffer Nachfolger GmbH aus Köln wird richtig locker und bewirbt ihre koffeinhaltige Limo in sehenswerten TV-Spots mit „Sexy-mini-super-flower-pop-op-cola – Alles ist in afri-cola …“
Und die mystischen Ouija Boards verdrängen das als Spiel getarnte Kapitalismustraining Monopoly vom Rang des beliebtesten Brettspiels, jeder trägt Batik-Shirts, wenn er nicht gerade in einem zu engen Rollkragenpulli feststeckt, Freundschaftsbänder werden getauscht, man hört von sogenannten Schlüsselpartys in den Villengegenden, während Lavalampen ein wenig Exotikhauch in die grauen Wirtschaftswunderwohnungen bringen und spektakuläres Schwarzlicht in Clubs für Atmosphäre – und strahlende Zähne – sorgt.
Freiheit und Freizügigkeit
Dass auch in der nicht unbedingt für ihre revolutionäre Kraft berühmten österreichischen Provinz einiges los war, kann unter anderem der mittlerweile als Opernregisseur und Entwickler von Mega-Events weltweit gefragte Siegwulf Turek bezeugen: „Es war eine traumhafte Zeit. Und alles andere als verschlafen, auch wenn man das heute vielleicht glauben möchte. Überall spielten Live-Bands – der Spirit des Summer of Love war deutlich spürbar.“ Und wenn Musiker und Autor Hannes Stiegler in seinem Buch „We rocked Salzburg“ beschreibt, wie Bands zwischen Gnigl, Lend und Eugendorf „tourten“, in einem vorstädtischen Gasthaus als Gammler nach nur drei Songs hinausgeschmissen wurden, um schließlich irgendwo in Untereching vor begeisterten Jugendlichen die ganze Nacht zu rocken, könnten sich die Szenen genauso gut in England oder eben in Kalifornien abgespielt haben. Andere Ortsnamen vorausgesetzt halt.
Ernst Grissemann (am Steuer) und seine Crew feiern die Geburt von Ö3. Im Auto von links nach rechts: André Heller, Dieter Dorner, Evamaria Kaiser, Peter Rapp (stehend) und Alfred Komarek
Am 1. Oktober fing dann schließlich österreichweit ein neues Zeitalter an. Mit dem Jugendradio Ö3 veränderte der ORF unter „Tiger“ Gerd Bacher tatsächlich die europäische Rundfunklandschaft. Ein Sender, der „den ganzen Tag Beat-Musik und ohrenbetäubenden Krach von Langhaarigen spielt“, wie besorgte Eltern und Lehrer beklagten, war über die Grenzen des Landes hinweg ungewöhnlich. Sogar im Mutterland des Pop, in England, sorgte damals nicht die öffentlich rechtliche BBC, sondern die halb legalen „Pirate Radios“, die von Schiffen vor der Küste aus sendeten, für frischen musikalischen Wind. Unter anderem mit den Sendungen des legendären John Peel. In Österreich war es ein gewisser DJ Andreas, der über den unerträglichen Schmalzpop der Bee Gees schimpfte und den Jugendlichen Jimi Hendrix und The Cream näherbrachte. Später sollte er als André Heller eine eigene, nicht zu knappe Karriere machen ...
Lebensgefühl eines Sommers
Dieser magische Sommer des Jahres 1967 begann früh. Sehr früh sogar, genaugenommen am 14. Jänner, als sich im idyllischen Golden Gate Park 30.000 Menschen zum großen „Human Be-In“ trafen. Ein bunter Haufen aus Beatniks und Hipstern, Poeten, Philosophen und Performance-Künstlern. Jerry Rubin schimpfte über die Moral der Mittelklasse, der 47-jährige Psychologe Timothy Leary pries die Wirkung bewusstseinserweiternder Drogen und sorgte für das Schlagwort einer ganzen Generation: „Turn on, tune in, drop out“. Dichter und Philosoph Allen Ginsberg sang stundenlang buddhistische Mantras, da wurde sogar die Musik von Grateful Dead, Jefferson Airplane und der blutjungen Janis Joplin beinahe zur Nebensache.
VW-Bulli: Er war das Kultauto der damaligen Zeit
Es war der Startschuss für eine Bewegung im wahrsten Sinn des Wortes. 100.000 Menschen strömten im Verlauf des Frühlings nach San Francisco, lebten in WGs in den viktorianischen Häusern des Stadtteils Haight-Ashbury, in Zelten und improvisierten Unterkünften. Eine Gegenkultur, die in sogenannten „Free Stores“ freie Verpflegung für mittellose Hippies anbot, in einer „Free Clinic“ für kostenlose medizinische Betreuung sorgte und mit dem „San Francisco Oracle“ eine eigene Zeitung herausbrachte. Finanziert wurde das meiste durch Spenden und Benefizkonzerte. Und John Phillips von den The Mamas and the Papas schrieb für seinen Freund Scott McKenzie mit „If you’re going to San Francisco“ die Hymne dieses Sommers.
Auf die Straße gegen den Vietnamkrieg: Demos weltweit
Doch das Ende war absehbar. Die politische Führung der USA dachte nicht daran, auf die Forderungen der Kriegsgegner und Bürgerrechtler einzugehen, sondern griff zu härteren Maßnahmen. Joan Baez wird bei einer Demo im benachbarten Oakland verhaftet, in Florida, Detroit, New Jersey, Atlanta, Boston, Chicago, Milwaukee kommt es zu blutigen Rassenunruhen. In Bolivien wird Che Guevara von einem Feldwebel des bolivianischen Regimes, das er stürzen wollte, getötet. Bei einer Demonstration gegen Shah Reza Pahlavi von Persien erschießt ein Polizist in Berlin den Studenten Benno Ohnesorg. Am 6. Oktober 1967 wurde der „Summer of Love“ mit der symbolischen Beerdigung des letzten Hippies offiziell für beendet erklärt. Die weltweite Wirkung hielt noch Jahre an.
Rudi Klausnitzer
„Lasst die Liebe siegen!“
Ich bin nicht sehr in der Vergangenheit zuhause, eher in der Zukunft. Aber aus dem Sommer 1967 hab ich doch ein lebenslang haltendes Gefühl mitgenommen: Es war im Jahr davor, dass ein Mädchen unserer Clique in Linz ein Album einer Gruppe aus Kalifornien mitbrachte, von der ich keine Ahnung hatte (es gab damals keine internationalen Hitparade, kein Popradio und keine Videoclips): „The Mamas And The Papas“, und da war ein Song, der bei mir eine Sehnsucht nach einer Stimmung wachrief, die ich nicht wirklich beschreiben konnte – aber in diesem Song war diese Sehnsucht irgendwie ausgedrückt. „California Dreaming“. Weg mit Winter und Kälte und her mit Wärme und Sonne.
Und damit war nicht das Klima gemeint, sondern der Umgang der Menschen miteinander. Und dann Peng! 1967 – auch von John Phillips geschrieben – war plötzlich die Hymne für dieses Gefühl da, die genau das beschrieb, wonach ich Sehnsucht hatte: For those who come to San Francisco / Summertime will be a love-in there / In the streets of San Francisco / Gentle people with flowers in their hair / All across the nation such a strange vibration / People in motion / There's a whole generation with a new explanation / People in motion people in motion
Plötzlich begann die Jugend ihre Vorstellungen von der Welt und wie sie sein sollte zu artikulieren und in einer neuen, friedlichen Form, der Hippiebewegung, global zu verbreiten. Schluss mit Gewalt und Krieg. Lasst die Liebe siegen. Klingt kitschig, war aber ehrlich gemeint. Das war das „Summer-Love“-Feeling pur, und wer es erahnen will, der soll sich einfach Scott McKenzies „San Francisco“ anhören. Mir hat diese Stimmung irgendwie auch den Mut gegeben, mich an das Stuzzi-Tonbandgerät meines Onkels in Linz zu setzen und mit ein paar Platten, einer Geräusche-LP (da war der Hahnenschrei von Otto dem Studiohahn drauf) und einem Mikrofon ein 10-Minuten-Demo einer Sendung namens „Ö3-Wecker“ zu basteln und sie an Gerd Bacher zu schicken. Echter Geburtstag des Ö3-Weckers also „The Summer of 67“ – der Rest ist Geschichte ;)
Und so wie San Francisco damals einer der zentralen Ausgangspunkte einer weltweiten Jugendbewegung war, ist es mit Silicon Valley heute der Ausgangspunkt einer ganz anderen Revolution, nämlich der digitalen …
Dagmar Koller
"Räucherstäbchen und Tee"
Damals war ich in San Francisco. Gemeinsam mit Giuseppe Di Stefano hab ich ein Monat lang am Garry Theatre „Land des Lächelns“ gespielt. Wenn wir damals nach der Vorstellung aus dem Theater kamen, saßen die jungen Leute in der Garry Street, Räucherstäbchen brannten und ich hab mich manchmal dazugesetzt und hab Tee mit ihnen getrunken. Es war wirklich die Stimmung „Make love, not war“ zu spüren. Heute habe ich noch Ohrringe und Ketterln aus der Zeit, die jeder bewundert. Alle waren so richtig romantisch. BHs hat niemand getragen, obwohl große Busen sehr gefragt waren – meiner war leider sehr klein. Es war eine freie, wirklich schöne Zeit, in der noch keiner gewusst hat, was HIV ist. Ich hab das aber nicht miterlebt, denn dazu war ich zu streng erzogen. Die Hippies gibt es heute noch. Als ich das letzte Mal in San Francisco war, gab es dort noch immer die Buden mit Schmuck wie damals. Nur die Standler sahen ziemlich alt aus ...
Hans Peter Haselsteiner
"Girls on pills"
1967 war ich in Perugia, um an der Università per Stranieri Italienisch zu lernen. Leider haben die Studenten alle miteinander englisch gesprochen. Nachher konnten jedenfalls alle besser Englisch. Es war auch der Sommer, wo die Amerikaner erstmals das Enrolling praktizierten. Die jungen Männer, die in den Vietnamkrieg gehen mussten, wurden per Los gezogen. Das waren riesige Rollen, wer gezogen wurde, musste einrücken. Für viele ein Todesurteil per Losentscheid. In den USA gab es damals schon die Antibaby-Pille, und die US-Girls in Perugia waren „on pills“. Das machte alles deutlich entspannter. Auch das Musikfestival „Un disco per l’estate“, und wir hörten Musik von Bobby Solo, Adriano Celentano und Elvis Presley.
Marianne Mendt
"Für mich gab's nur Musik"
Es klingt wahrscheinlich merkwürdig, aber ich war zu der Zeit viel zu sehr mit Musik beschäftigt, um vom Drumherum, also San Francisco, dem Summer of Love, allzuviel mitzubekommen. Ich spielte damals in einer Band, den „The Internationals“, Tanzmusik, Jazz Standards und was an Beat und Pop gerade so gefragt war. Von Strangers In The Night über Hanky Panky bis Son Of A Preacher Man. Von 1965 bis 1969 waren wir praktisch das ganze Jahr auf Tour: Schweden, Deutschland, Frankreich – und in der Sommersaison dann in Pörtschach am Wörthersee. Jeden Tag im Hotel Werzer’s, von 17-19 Uhr zum Fünf-Uhr-Tee und dann von 21-02 Uhr früh das Abendprogramm. Dorthin haben sich nicht viele Hippies verirrt! Nur Urlauber, die unterhalten werden wollten, ein harter Job. So ab 1 Uhr haben wir dann meistens angefangen, seriöser zu jazzen. Dann sind die Leut eher heim – zu den Hits hätten sie wahrscheinlich getanzt bis in die Früh.
Willi Resetarits
"Scott McKenzie war mir zu kommerziell"