Märchen-Geschichte: Die Bremer Stadtmusikanten werden 200 Jahre

Das akrobatische Quartett besteht aus Esel, Hund, Katze und Hahn.
Die Brüder Grimm nahmen das Tiermärchen vor 200 Jahren in ihre Sammlung auf. Im Reality-Check wäre der Hahn in Gefahr.

Mit dem Mut der Verzweiflung, atemberaubender Akrobatik und tierischem Taktgefühl schreiben die Bremer Stadtmusikanten Geschichte – seit 200 Jahren; in mittlerweile 180 Sprachen: Der ausgediente Esel triff den arbeitslosen Jagdhund, trifft die senile Katze, trifft den heiseren Hahn, der in die Suppe soll. Gemeinsam sind die Schwachen stark; ziehen lieber fort, denn etwas besseres als den Tod finden sie überall. Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie immer noch im Räuberhaus nahe der norddeutschen Hansestadt. Diese vermarktet den runden Geburtstag ab März mit zahlreichen Veranstaltungen. Tatsächlich nahmen Jacob und Wilhelm Grimm, „Gründungsväter“ der Germanistik, die Tiermär 1819 als Kapitel 27 in die zweite Auflage ihrer Kinder- und Hausmärchen auf. Das Vorwort datiert vom Juli, erschienen ist das dicke Druckwerk wohl im Spätsommer.

Ideologisch passend

„Von den 200 Märchentexten ist ein gutes Duzend in aller Welt bekannt“, sagt Bernhard Lauer, Geschäftsführer der Brüder Grimm-Gesellschaft in Kassel. Das Quartett der Guten, das klassisch über das Böse siegt, erzählte sich – seit Anbeginn nahezu unverändert – auch in sozialistischen Ländern vortrefflich. „Es passt zur Ideologie. Wer mit Klugheit und Witz durchs Leben geht, kann es zu etwas bringen“, sagt der Literaturkenner. Bremenskie musykanty flimmerte 1969 in Russland, als Bremenes pilsetas muzikanti türmen sich die fantastischen Vier in Riga/Lettland zu einer Skulptur. Auch Japan hat Esel & Co. in Stein gemeißelt.

Selten verortet

„Märchen sind überall zu Hause“, zitiert Lauer die Hanauer Geschichten-Sammler, die ihre Ohren weit über Deutschland hinaus spitzten. Oft verpassten erst Illustrationen den Figuren – z.B. in Volkstracht – Lokalkolorit. „Bei den Brüdern Grimm sind nur drei, vier Texte verortet“, weiß der Philologe. Der Gestiefelte Kater spielt in Nürnberg. Das Reiseziel, das die Musikanten nie erreichten, war durch die mündliche Überlieferung des Adelsgeschlechts Haxthausen bekannt. Ältere Fassungen des Motivs gehen irgendwohin ins Mittelalter zurück.

„Alles, was die Grimms in der romantischen Periode international erfassen konnten, haben sie gesammelt“, rühmt Lauer den Wendepunkt in der Literaturgeschichte. Die Sprachwissenschafter von einst waren bestrebt, die Volkspoesie vor dem Vergessen zu retten; inklusive Quellendokumentation. Später wollten sie auch zur Kindererziehung beitragen.

Lange Tradition mit wunderbarem Moment

Moral und Werte verpackt in Tiergestalt haben lange Tradition. Schon in der Antike fabulierte Aesop über den Adler und die Schildkröte, Fuchs und Raben. „Es liegt in der Natur des Märchen, dass auch Tiere wie selbstverständlich zu handelnden und sprechenden Personen werden“, betont Heidi Lexe, Leiterin der Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur STUBE in Wien. Tiere zeigten das Wunderbare im Märchen – „jenes Moment, mit dem die Märchen über das hinausgehen, was dem Menschen rational erklärbar ist“. Die Besetzung der Bremer Stadtmusikanten sieht der deutsche Kollege pragmatisch: „Alle vier waren damals gängige Haustiere.“

Außenseiterrolle für den Hahn

KURIER-Tiercoach Katharina Reitl unterzieht das märchenhafte Team, das mit geteiltem Leid durch die Lande zieht und die Räuber lautstark und listig vertreibt, einem Reality-Check: „Bei Tierfreundschaften gibt es alles“, sagt die Tierärztin aus der Ordination Tiergarten Schönbrunn. Die geselligen Esel freunden sich durchaus mit Katze oder Hund an. Hund und Katze sind sehr sozial, sie können die Sprache des jeweils anderen schnell lernen. Das Geflügel passt am wenigsten in die Truppe. Reitl: „Hähne sind meist triebgesteuert und aggressiv. Außerdem haben sie ordentliche Krallen. Die Katze würde nicht nett mit dem Hahn umgehen, wenn er auf ihrem Rücken zu stehen versucht.“

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