KURIER family-coach: Plötzlich ist das Nest leer
Ines steht, von Kisten umringt, im Vorzimmer der elterlichen Wohnung und ist aufgeregt. Heute zieht sie von daheim aus. „Du meldest dich doch, wenn du in deiner Wohnung angekommen bist? Und auch sonst, wenn du was von mir brauchst?“, fragt ihre Mutter mit Zittern in der Stimme.
Wenn Kinder erwachsen werden, leiden die Eltern meist sehr unter den damit verbundenen Veränderungen. „Für jeden Einzelnen der Beteiligten ist die neue Lebenssituation eine große Umstellung“, sagt KURIER Familycoach Martina Leibovici-Mühlberger. Früher wurde das Haus meist in mehreren Etappen leer, nicht Knall auf Fall wie heute. „Früher waren „Mehrgenerationenhaushalte“ üblich, die ganze Großfamilie lebte unter einem Dach“, erklärt Leibovici. Da man zusätzlich auch noch mehr Kinder hatte, konnten sich Mutter und Vater langsam darauf einstellen, dass irgendwann einmal alle Kinder aus dem Haus sein werden.
Was genau geht in Eltern nach dem Auszug ihres Kindes vor? „Das Gefühl ist vergleichbar mit jenem, das sich nach einem langen Urlaub breitmacht: Man braucht einige Zeit, um wieder richtig anzukommen“, analysiert der Familycoach. Es entstehen Zeiträume, die für das eigene Wohl genutzt werden könnten. Doch viele Eltern empfinden sie zu Beginn mehr als Lücke, die sie krampfhaft zu füllen versuchen. Die Situation kann also schnell zur Belastung werden anstatt zur Entlastung.
Paarlauf
Darüberhinaus bekommt die Beziehung zwischen Mutter und Vater einen neuen Stellenwert, der auch erst einmal wahrgenommen werden muss. „Missstände in der Paarbeziehung werden transparenter“, weiß die Expertin. Ehemalige Erklärungsmodelle fallen weg, dafür treten Konflikte auf. „Früher hieß es vielleicht: ,Da wir Kinder haben, bleibt nicht so viel Zeit für uns als Paar‘, doch die hat man dann plötzlich“, erklärt Leibovici.
Ist es also unumgänglich, dass Eltern automatisch in eine Beziehungskrise schlittern, wenn ihr Kind flügge wird? „Nein, in den meisten Fällen müssen die Partner nur bereit sein, an der Beziehung zu arbeiten, da die Umstellung in einen neuen, gemeinsamen Modus schwer fällt. Man ist nicht mehr nur Papa und Mama, sondern in erster Linie Mann und Frau“, sagt die Beraterin. Alles braucht seine Zeit – aus diesem Grund sollten die „einsamen“ Eltern bereit sein, sich auf das Neue einzulassen. Und einander Zeit schenken, um zum Beispiel alte gemeinsame Hobbys wieder zu entdecken. „Wer weiß, am Ende verliebt man sich vielleicht wieder ganz neu ineinander“, meint Leibovici.
Genauso wie mit dem Partner wird auch die Beziehung zu den Kindern neu definiert. „Trotz der räumlichen Trennung kann man etwas voneinander haben“, sagt Maria Neuberger-Schmidt, Leiterin der Beratungsstelle Elternwerkstatt in Wien. „Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ich es sehr genieße, wenn in meiner Familie einmal im Jahr ein paar Tage gemeinsam Urlaub gemacht wird“, erzählt die Sozialberaterin.
„Es ist auch für die Kinder schön zu merken, dass sie ein wichtiger Lebensinhalt für ihre Eltern sind. „Es kann jedoch bedrückend für sie werden, wenn das Gefühl aufkommt, die Eltern können nicht mehr glücklich sein, seit sie ausgezogen sind“, betont Neuburger-Schmidt. „Gegenseitige Einladungen oder Anrufe geben sowohl Eltern als auch Kind das Gefühl, nach wie vor zusammen zu gehören – auch wenn jeder sein Leben lebt. „Besonders wichtig ist, dass man zwar immer noch Ratschläge erteilen kann, aber dem Kind dann einfach einmal wertfrei zuhört“, rät die Expertin.
KURIER-Familycoach-Telefonsprechstunde:
Montag, 13 bis 15 Uhr, 01/526 57 60
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