Kraft des Alters: Gedanken zu einem "Defizit"

Das Bild "Herlinde Koelbl, Louise Bourgeois, 2001" aus der Ausstellung "Kraft des Alters".
"Die Kraft des Alters" heißt eine neue Ausstellung im Wiener Belvedere. Gedanken zu einem "Defizit".

Kaum ein Monat, in dem nicht eine Schlagzeile wie diese geschrieben wird: "Forscher arbeiten an der Kontrolle des Alterns" oder "Für immer jung – schon 2050 möglich?" Nicht nur im Silicon Valley, vor allem aber dort, träumen die Menschen davon, das Altern zu besiegen. Und so mancher ist überzeugt: Der Mensch wird ewig leben.

Noch ist es nicht so weit. Noch sind die meisten Menschen einfach nur "besser beinander" denn je, man spricht von "Better Aging". Toll, aber die Falten kommen trotzdem. Genauso wie irgendwann der eine oder andere Bandscheibenschaden. Und ebenso "irgendwann" wacht der Mensch auf und denkt sich: 50 plus. War’s das jetzt? Sowie: "Wie geht’s jetzt weiter?" Man denkt daran, was Muttern so oft gemurmelt hat: "Kinderl, alt darf man nicht werden." Gleichzeitig ist da dieses leicht mulmige Gefühl eines "Wie lange noch?". Wie lange wird das Leben noch aus Möglichkeiten bestehen und nicht aus Gewesenem? Und nicht zuletzt ist da noch der Wert, den die Gesellschaft alternden Menschen zuordnet, irgendwo zwischen nichtig und mächtig. Da kann man schon einmal ein bisschen zornig auf die Zeit werden.

Negative Stereotype

"Der Altersprozess wird in der öffentlichen Wahrnehmung heute in erster Linie als Defizit angesehen", heißt es begleitend zu der sehenswerten Ausstellung "Die Kraft des Alters" im Wiener Belvedere. Altern sei etwas Pathologisches. Jenseits negativer Stereotype würde es im besten Fall aber auch für Macht, Erfahrung, Lebensweisheit oder Kontemplation stehen. Mag sein. Vor allem aber fehlt es dem alternden Menschen an einem würdigen Platz in der Mitte der Gesellschaft. Stattdessen wird er kategorisiert und in geschlossene Gruppen 50 plus oder 60 plus abgeschoben. Man darf zur Seniorenreise aufbrechen oder zum Seniorenturnen gehen. Die Tatsache, alt werden zu müssen, ist, genau betrachtet, eine unglaubliche Zumutung in einem Umfeld, das dem Begriff "Alter" ein Präfix zufügen möchte: "anti". Sämtliche Geschütze werden aufgefahren, um dem Rest der Menschheit den Begriff Anti-Aging nonstop einzuflüstern. Das heißt, was es heißt: gegen das Altern. Gegen die späten Jahre. Weg damit! "Iss gegen das Altern, schmiere gegen das Altern, arbeite gegen das Altern" – mach, dass das Altern ja nicht stattfindet.

Anti-Aging-Absurdität

Perfidie Nr. 1: Das Altern geht – heutzutage vielleicht anders und behutsamer – trotzdem voran, da nützen auch eine Tonne Pillen und sämtliche Photoshop-Pinsel dieser Welt nix. Perfidie Nr. 2: Wo Anti-Aging an seine Grenzen stößt, beginnt sich das No-Go zu entfalten – also der böse, unaufhaltbare und nach wie vor nicht besiegbare Prozess, der aus einst biegsamen Schönheiten Frauen mit Hüftarthrose und Pigmentflecken macht. Und heldenhafte Gentlemen in eh noch halbwegs rüstige Herren verwandelt, denen man gerne rät: "Zieh dir ein Westerl an, sonst hast du morgen wieder Kreuzweh." Wir schauen alte Menschen an und alles, was wir lesen, ist Verfall sowie die eigene Angst davor. Perfidie Nr. 3, und die ist noch viel bedrückender: Das Altern endet in zehn von zehn Fällen mit dem Tod.

Statt in Gesichtern, die das Leben schreibt, Geschichten zu suchen, die berühren, inspirieren oder weiterbringen, laufen die meisten Menschen lieber kreischend davon und kaufen Kaviarcreme, um die Panik zuzuspachteln. Nicht falsch verstehen. Es ist gut, dass es heutzutage immer mehr Möglichkeiten gibt, sanft in die späten Jahre zu gleiten. Das hier ist keine Brandrede für Witwenbuckel und Staubmantel. Kein älterer Mensch muss heute mehr aus den Fugen und der Form geraten. Es ist wunderbar, dass es möglich ist, immer länger gesünder zu bleiben, die guten, die wertvollen, die agilen und beweglichen Jahre verlängert werden können. Danke! Nervig ist nur die omnipräsente Botschaft, die mantraartig vermittelt wird: Altwerden ist so verdammt unschick!

Aber was hilft’s, wenn die angeblich so fitten und wirtschaftlich interessanten 50-Jährigen in der Arbeitswelt trotz "Jung samma"-Akklamationen zur Altlast werden, weil: "zu teuer, zu wenig flexibel, zu langsam"? Gleichzeitig werden wir mit Slogans wie "60 ist das neue 50" oder "55 ist das neue 45" geflutet. Gekündigt wird trotzdem. Nur so eine Idee: Es ginge auch Seite an Seite, wir brauchen einander nicht vom Brett zu kicken.

Immer wieder erklingt der Ruf nach "positiven Vorbildern", sogenannten Best Agern und Idealen, die dem Ticken der Uhr ein Schnippchen schlagen, unermüdlich lächeln und so tun, als wär’ nix. Einverstanden, das brauchen wir. Die Frage ist nur, wie. Was wenig bringt, sind Altersverdränger und "So-tun-al-sob-Jünger". Wünschen wir uns stattdessen in Schönheit, Freude und Sanftmut alternde Menschen, die sind, was sie sind, aber ihre Altersweisheit nicht wie eine Monstranz vor sich hertragen. Mit "Schönheit" ist übrigens Lebensschönheit, Weisheit, Gelassenheit gemeint. All das geht nicht ohne Menschen, die dem Anti-Aging ein Anti-Anti-Aging entgegensetzen und sagen: "Ich füge mich dem Lauf der Zeit. Ich mache was für mich, aber verdamme nicht das Unaufhaltbare. Um irgendwann zu sagen: Leben gelebt, danke, gut war’s, aber jetzt – ciao.

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