Kinderkosten: Warum es neue Berechnungen braucht

Symbolbild
Was kosten Kinder? Die Berechnungen, auf die sich Politik und Justiz stützen, sind über 50 Jahre alt. Nun fordern Organisationen eine neue Analyse.

Fragt man drei Eltern, wie viel ein Kind kostet, wird man fünf Antworten bekommen. Das hängt von persönlichen Prioritäten ab, vom Wohnort, von Vorlieben und pädagogischen Überzeugungen.

Fragt man die zuständige Politik, was ein Kind kostet, ist die Antwort über 50 Jahre alt. Die letzte Erhebung zu den Beträgen, die Eltern schultern müssen, wurde 1964 gemacht. Seitdem werden die festgestellten "Regelbedarfssätze" zwar jährlich mittels Verbraucherpreisindex angepasst, ihre Grundlage hat aber Staub angesetzt. Trotzdem sind sie noch immer Orientierung und Basis für familienpolitische Maßnahmen und Rechtssprechung – zum Beispiel beim Unterhalt.

Damit fehlen der Politik die empirischen Grundlagen für Maßnahmen, kritisieren nun über 70 Organisationen, die sich mit Kindswohl beschäftigen: Kinderliga, SOS Kinderdorf, Plattform für Alleinerziehende, Katholischer Familienverband, Volkshilfe, Frauenring, UNICEF, Diakonie, SOS Mitmensch, uvm. Sie alle fordern von den Regierungsverhandlern Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache, die "Durchführung einer neuen Kinderkosten-Erhebung im Regierungsprogramm zu verankern und zu budgetieren". Ohne diese Erhebung würde die Lebensrealität von Kindern nicht berücksichtigt werden – sondern bestenfalls jene anno 1964.

Handy bis Sportkurs

Seit damals gab es zum Beispiel technische Entwicklungen, die heute im Leben von Kindern unverzichtbar sind: Smartphones sind Teil der Kommunikation, Computer von vielen Schulen vorausgesetzt. Caroline Culen von der Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, kurz Kinderliga, verweist auch auf neue Realitäten im Bereich Gesundheit: "Was sich seit 1964 auf jeden Fall geändert hat, ist die Ernährung. Und wir wissen mittlerweile, dass Kinder in Armut oder armutsgefährdeter Situation billiger und schlechter essen." Vereinfacht gesagt: In Einkaufswägen von sozial schwachen Familien ist die Billigpizza drin. Im Gegenzug müssten Erkenntnisse zu Bewegung in die Kinderkosten eingerechnet werden. Culen: "Neben der Bewegung in der Schule halten wir zumindest eine Stunde professioneller Bewegung in der Freizeit heute für das Mindestmaß." Sportkurse oder -vereine kosten wiederum, das war 1964 nicht vorgesehen. Ebensowenig wie kulturelle Beteiligung oder musische Freizeitangebote – die sich laut Culen auf ein gesundes Aufwachsen positiv auswirken.

Kinderkosten: Warum es neue Berechnungen braucht
Grafik

Kostenschätzung

Wie eingangs erwähnt, sind die tatsächlichen Kosten von Kindern individuell und schwer zu beziffern. Auch die Unterzeichner der Forderung nennen keine Beträge, sie betonen nur, dass eine seriöse Erhebung hergehört.

Dennoch gibt es immer wieder Schätzungen zu Kinderkosten und die liegen bei durchschnittlich knapp 600 Euro pro Monat, rund 130.000 Euro bis zum 18. Lebensjahr. Die Diskrepanz zu den aktuellen Bedarfssätze ist beachtlich (siehe Grafik) – allerdings stellen die laut mancher Experten eher den Mindestbetrag dar. Zuletzt wagte das WIFO im Rahmen der Konsumerhebung 2003 eine Analyse und sammelte eine Reihe von Ausgabenpositionen für Kinder. Schlussendlich kam man aber selbst zum Schluss, dass die Angaben kaum plausible Ergebnisse lieferten.

Interessant ist, dass in der gerade ablaufenden Regierungsarbeit eine Neuerhebung geplant war, Familien- und Justizministerium spielten das Thema hin und her, einige Experten glauben, dass die Politik die tatsächlichen Kinderkosten gar nicht kennen will – weil man dann reagieren müsste. Auf die aktuelle Forderung haben die Adressaten des offenen Briefes noch nicht reagiert.www.kurier.at/lebenDer offene Brief im Wortlaut

Sehr geehrter Herr Klubobmann Kurz, sehr geehrter Herr Klubobmann Schieder, sehr geehrter Herr Klubobmann Strache, sehr geehrter Herr Klubobmann Strolz, sehr geehrter Herr Klubobmann Kolba, sehr geehrter Herr Wöginger, sehr geehrte Frau Belakowitsch (für die Regierungsverhandlungsgruppe Soziales)!

Sachorientierte Politik braucht empirische Grundlagen, anhand derer politische Optionen geprüft und diskutiert werden können. Bei den Kosten, die Familien für ihre Kinder aufwenden müssen, fehlen diese. Wohnen, Essen, Kleidung, Ausgaben für Kinderbetreuung und Schule oder auch Freizeit und Urlaub - es müssen unterschiedlichste Kosten abgedeckt werden. Wie hoch diese tatsächlich sind, ist jedoch unbekannt.

Zwar gibt es die Regelbedarfssätze, die für Kinder je nach Altersstufe einen bestimmten Bedarf festlegen. Diese Werte gehen aber auf eine Erhebung im Jahr 1964 zurück. Sie werden jährlich an den Verbraucherpreisindex angepasst, die zugrundeliegenden Berechnungen sind jedoch seit mehr als 50 Jahren unverändert.

Seither hat sich aber enorm viel verändert. Während Kosten für Kleidung gesunken sind, sind andere Ausgaben, etwa Mieten, stark angestiegen. Aber nicht nur die Höhe einzelner Komponenten hat sich verändert, auch der Warenkorb insgesamt ist ein ganz anderer geworden. War 1964 das Festnetztelefon der aktuelle technische Stand, sind heute Smartphone, Laptop und Computer aus dem Alltag - auch von Kindern und Jugendlichen - nicht mehr wegzudenken. Auch Schule und Freizeitgestaltung unterliegen einem starken Wandel. Dementsprechend ist die Ausgabenstruktur von Haushalten mit Kindern mit jener von vor mehr als einem halben Jahrhundert in keiner Weise vergleichbar.

Trotzdem nehmen Familienrecht und familienpolitische Maßnahmen auf die Regelbedarfssätze in unterschiedlicher Weise Bezug, etwa im Unterhaltsrecht oder bei der Familienförderung. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Es ist dringend notwendig, die finanzielle Lage von Familien aktuell und auf einer statistisch zuverlässigen Basis zu erfassen.

Wir fordern die künftige Bundesregierung nachdrücklich auf, die Durchführung einer neuen Kinderkosten-Erhebung im Regierungsprogramm zu verankern und zu budgetieren.

Wir appellieren insbesondere, dass die Durchführung zum ehestmöglichen Zeitpunkt folgt - damit die österreichische Politik für Kinder und Familien wieder auf sachlich fundierte Grundlagen gestellt werden kann.

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