Wie tolerant ist DIESE Toleranz?

Probenfoto aus der zentralen Szene: Der König im Sterben mit der Frage, wem seiner Kinder soll er den Original-Ring vererben
„Remake.Ringparabel“ von der jungen Gruppe „Ein Stück Theater“ wird drei Mal im Odeon (Wien-Leopoldstadt) aufgeführt. Probenbesuch des Kinder-KURIER.

„Ich hab dir schon 100 Mal gesagt, lasst uns den Text vereinfachen ... einfaches Deutsch, wir sind ein Jugendtheater und Nathan der Weise ist schon veraltet.“
„Das hat mit dem Text nichts zu tun, es mag zwar sein, dass die Sprache veraltet ist, aber die Botschaft, die Botschaft der Toleranz. Die ist aktueller denn je ...“

Dieser Dialog knapp nach Beginn von „Remake.Ringparabel“ legt auch die Methode der jungen Gruppe „Ein Stück Theater“ ein bisschen offen. Die Theaterbegeisterten Schüler_innen und Studierenden wählten als ihre erste Produktion das klassische Stück „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing aus dem Jahre 1779. Originalpassagen finden sich darin, vor allem aber selbst geschriebene und teils auch andere Figuren.
Der Kinder-KURIER durfte bei einer der Proben der Schlüsselszene, der Ringparabel, zuschauen und –hören. Schon für die frühen Proben konnten die jungen Darsteller_innen - und gleichzeitig –autor_innen – an den Ort der Aufführungen, das Odeon-Theater.

Die Original-Story

Vielleicht zunächst kurz die Lessing’sche Story: Sie spielt gegen Ende des 12. Jahrhunderts in Jerusalem während eines Waffenstillstandes im 3. Kreuzzug. Zentrale Figuren in seinem Stück gehören den drei großen, monotheistischen (Eingott-Glaube) Religionen an: Der Kaufmann Nathan ist Jude, er hat eine Adoptivtochter (Recha), die von einem christlichen Tempelritter aus einem brennenden Haus gerettet wurde. Sultan Saladin ist Moslem und hat übrigens den besagten Tempelritter begnadigt.
Dieser Sultan fragt Nathan, der als Weiser gilt, welches die „wahre Religion“ wäre. Lessing lässt Nathan mit der berühmten Ringparabel antworten. Deren Grundzüge hat er sich bei früheren Autoren (u.a. Giovanni Boccacio, Jans de Enikel) ausgeborgt, die wiederum ihrerseits mündlich überlieferte Erzählungen in ihren Parabeln verarbeitet hatten:
Ein König im Sterben steht vor dem Problem, dass er einen seit Generationen vererbten Ring hat, der die Eigenschaft besitzt, seinen Träger bei allen Menschen und Gott beliebt zu machen. Er hat aber drei Söhne, die er gleichermaßen liebt. Ein weiser Richter, den er zu Rate zieht, schlägt vor, zwei perfekte Kopien des Rings anfertigen zu lassen. So weiß niemand, welches das Original ist. Jeder soll/muss sich also bemühen, beliebt zu sein – das würde beweisen, im Besitz des echten Rings zu sein. Natürlich stehen die drei Ringe für die drei Weltreligionen.

Ab-/Veränderungen der jungen Theatergruppe

Wie tolerant ist DIESE Toleranz?
Probenfoto aus der zentralen Szene: Der König im Sterben mit der Frage, wem seiner Kinder soll er den Original-Ring vererben

Die jungen Theaterbegeisterten vereinfachten nicht nur die gesamte Geschichte, kürzten die Rahmenhandlung weg, verwendeten zeitgemäße, einfachere Sprache als Lessing in seinem Fünf-Akter, sondern änderten auch so manches. So hat dieser König nicht drei Söhne, zwei der Kinder sind Töchter! Vor allem aber diskutieren die Charaktere, ob oder wie aufgeklärt, wie tolerant sowohl Gesellschaft als auch Stück (gewesen) seien.„Aufklärung war Versklavung, ... Demütigung, ... Völkermord...“
Andererseits warLessing ein klassischer Vertreter der Aufklärung in einem Zeitalter, in dem Juden verfolgt, Hexen verbrannt und Muslime als der Feind am Bosporus verteufelt wurden, bringt er den Mut auf, zu sagen: Alle sind gleich. Nein, er geht sogar weiter und stellt Nathan und Saladin als sehr angenehme Charaktere dar, weitaus angenehmer als den (christlichen) Tempelherren.“
Und dann wiederum:„Naja, wenn Lessing diesen Toleranzgedanken wirklich vermitteln wollte, so wie er eigentlich praktiziert werden sollte, dann kann er nicht einfach drei Brüder, also laut Nathan die drei Religionen, so spalten und sich gegenseitig bekämpfen lassen, wenn sie doch eigentlich die Verkörperung der Begriffe Liebe und Respekt sein sollten.“
Liebe der alte König auch wirklich seine Kinder, oder nicht viel mehr seinen Ring – sosehr, dass er um diesen einen Zaun bauen lassen möchte? Die jüngste Fluchtbewegung in Europa wird an manchen Stellen in dieser Version auch angespielt. Wie sollten sie als die drei Kinder reagieren...? Wie die neue Version der Ringparabel ausgeht, sei hier nicht verraten.

Drei Religionen – ein zentraler Gedanke

Die Kernaussage, die Lessing in seinem Stück vermittelt, transportiert aber auch die „Remake“-Version – mit markanten Zitaten aus den drei heiligen Büchern:
„Ich wird den Menschen sagen, was ich aus der Thora gelernt habe: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, ich bin Gott Jahwe.“
„Jesus: ...Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“
„Der Prophet Mohamed, der Friede Allahs mit ihm, hat gesagt: Keiner von euch ist gläubig, solange er nicht das für seine Mitmenschen wünscht, was er für sich selbst wünscht.“

Brainstormen, schreiben, spielen

Wie tolerant ist DIESE Toleranz?
Die vier Darsteller_innen mit T-Shirts ihrer neuen, jungen Theatergruppe

„Wir lieben alle Theater, manche von uns haben schon vorher in ihren Schulen gespielt, aber noch nie auf einer richtigen Bühne“, beginnt Safiyah König die Entstehungsgeschichte von „Ein Stück Theater“ dem Kinder-KURIER zu schildern. „Und dann haben wir nach einem Stück gesucht. Wir wollten einen Klassiker, der in den meisten Schulen auch gelesen oder behandelt wird.“ Bald fiel die Wahl auf Lessings „Nathan der Weise“, nicht zuletzt wegen des Toleranzgedankens. „Wir wollten das Stück aber auch zeitgemäßer machen und haben nach einem Brainstorming begonnen, neue Szenen und Teile zu schreiben. Ungefähr zwei Drittel der Gruppe war am Schreiben beteiligt. Und wir haben zuerst geschrieben und dann erst zu proben begonnen“, schildert die Darstellerin der jüdischen Königstochter, die aber auch in die Rolle des Nathans schlüpft. „Wenn dann beim Spielen der eine oder andere Text nicht ganz zum Schauspiel gepasst hat, haben wir ihn natürlich geändert.“

Wie tolerant ist DIESE Toleranz?
Flyer für das Stück "Remake.Ringparabel"

Remake.Ringparabel
Ein Stück Theater
1 ½ Stunden, eine Pause
Cast:
Makena/ Nathan, der Weise/, jüdische Königstochter: Safiyah König
Emma/ Recha (Adoptivtochter Nathans)/ christliche Königstochter: Someya Benhouhou
Benni/ Sultan Salahuddin/Ring-König: Ismael Benhouhou
Ibo/ Tempelherr/ muslimischer Königssohn: Sabir Ansari
Regie & Technik: Ahmed Naief
OFF_Stimmen: Ahmed Naief, Safiyah König, Somaya Benhouhou, Ismael Benhouhou, Sabir Ansari

Wann & wo?
19., 20., 27. Februar 2018
Einlass: 18.30 Uhr, Beginn: 19 Uhr

Odeon, 1020, Taborstraße 10

Ticketverkauf
karten@einstuecktheater.at
www.einstuecktheater.at

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