So geil und witzig können alte Sagen sein

So geil und witzig können alte Sagen sein
"Die Argonauten" - nach einem Buch von Vea Kaiser - in einer sehr witzigen, aktuellen Bühnenversion im Theater Rabenhof (Wien)

So geil, witzig, emotional und topaktuell kann ein klassischer griechischer Sagenstoff auf die Bühne gebracht werden. Ab-so-lut erlebenswert. Heißer Tipp übrigens: Auf der Homepage findest du bei allen Vorstellungen „ausverkauft“, aus zuverlässiger Quelle ist zu erfahren, dass es für die meisten Vorstellungen Restkarten gibt.

Helden fast im Comic-Format

So geil und witzig können alte Sagen sein
Die Argonauten sind rund eineinhalb Stunden supertolles Theater (Wien, Rabenhof), das vor allem von der Bühnenpräsenz von fünf Schauspieler_innen lebt. Da sind die beiden fast comicartig angelegten Helden Herakles und Orpheus (Nicki Tempelhoff und Kai Maertens), jahrzehntelange Profis, die sich in der Rolle ihrer Helden – samt manch leicht esoterisch angehauchter Therapieszenerie - selbst immer wieder auf die Schaufel nehmen. Schon von ihrem Äußeren her zeigen sie eines, was der Autorin – und dem Team wichtig ist: „Makellose Helden gibt es nicht.“
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Die Geschichte ist witzig erzählt mit einem Orpheus, der eine Stimmblockade hat, einem Herakles, der einen Bierbauch und ein Aggressionsproblem hat – beide faseln ironisierend von ihren Therapien -, einer „Welt“karte, die eine Scheibe ist, und einem Herrscher, der Reden über Pensionen, leistbares Wohnen, Förderungen im Bereich der Bildung hält und mit dem Spruch "Freibier für alle" beendet.
Es ist vor allem für Jüngere einmal ein anderer Zugang zu griechischer Mythologie, da in der Schule oftmals Sagen womöglich trocken gelehrt werden. Da kann man sich entspannt zurücklehnen und sich für ein lebhaftes Theaterstück begeistern, das noch dazu viel Stoff zum Lachen bietet.

Populistischer Demagoge

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Sebastian Pass gibt als Pelias einen ausgefuchsten, trickreichen demagogischen Populisten (und als Aietes den furchterregenden Kolchos-Herrscher, der sich das goldene Vlies angeeignet hat), Markus Kofler den erst engagierten Kämpfer gegen Ungerechtigkeit, der sobald er an der Macht ist zum gleichen A… wird wie sein zuvor bekämpfter Vorgänger. Beides mimt er glaubwürdig. Und dann ist da vor allem noch die stets ein bisschen geheimnisumwitterte, die die voll und ganz ehrlich liebende Medeia darstellende Nancy Ama Mensah-Offei, eine Linzerin mit Eltern aus Ghana, die auch nicht nur erahnen lässt, dass sie erst noch in der Schauspiel-Ausbildung steckt.

Heftig

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Nach einem eher lustigen ersten Teil samt spannender multimedialer Elemente – so findet die Schiffsreise der Argonauten in Miniaturversion in einem Aquarium statt, in dem sich auch Stürme, Seenot usw. viel leichter inszenieren lassen ;)
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Aietes agiert hier als Herr über Winde und will eigentlich die Landung der Griechen, die das Goldene Vlies zurückholen wollen, verhindern. Natürlich scheitert er, Iason, Herakles und Orpheus siegen – auf der Insel selbst allerdings nur dank der Hilfe von Medeia – weil sie sich in Iason mehr als verliebt. Sie tritt gemeinsam mit den drei Helden die Rückreise an. Cut. Wäre ein happy end nach ungefähr einer Stunde.

Machtsymbole

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Aber trotz vieler Anleihen bei der griechischen Komödie, insbesondere was die Zeichnung der Helden betrifft, eine so seichte Story war die Sache weder von Autorin noch von Regisseur oder Schauspiel-Ensemble. Und drum wird’s im zweiten Teil heftig. Iason, nun im Besitz des Symbols der Macht, zu dem der gelblich Fetzen Schaffell hochstilisiert wird, vertieft sich nur mehr in die Ausübung der Macht. Keine Zeit, keine Liebe für die Frau, die für ihn und ihre gemeinsame Liebe alles aufgegeben und verraten hat. Keine Zeit für die Freunde, die ihm geholfen hatten. Seinem Volk gegenüber behauptet er, alles allein zuwege gebracht zu haben. Als die Freunde auftauchen: „Habt ihr einen Termin?“

Vlies beseitigen

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Allein durch den Besitz des Vlieses erhält er eine gewaltige Macht, die ihm zu Kopf steigt und die ihn dazu bringt seine Freunde zu vernachlässigen und sich wie ein gigantischer Held vor dem Volk darzustellen. Pelias, jenen Onkel, der seinen Vater vom Thron gestürzt hat, um selber zu regieren, macht der neue junge König nun sogar zu seinem engsten Berater. Dabei ist dessen Absicht, sich erneut an die Macht zu putschen, so durchschaubar. Ihn und das Goldene Vlies sieht Medeia als Hindernis für die Liebe. Beide beseitigt sie. Ende offen.

Mitarbeit: Josipa Cvitić, 16

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Aber was wäre das großartig agierende Bühnenensemble ohne den genialen Text – locker-flockig und doch mit ausgesprochen wortwitzigem Tiefgang und obendrein Raum für so manch Unausgesprochenes zwischen den Zeilen und dem Spiel der Akteur_innen. Den Text lieferte Vea Kaiser, die vor knapp eineinhalb Jahren mit ihrem ersten Roman „Blasmusikpop oder wie die Wissenschaft in die Berge kam“ bekannt wurde. Im Gymnasium der Englischen Fräulein in St. Pölten hatte sie sich für Altgriechische statt für Französisch oder Spanisch entschieden. „Das haben fast alle gewählt, war mainstream. Ich wollte mutig meinen eigenen Weg gegen den Strom schwimmend betreten. Außerdem hab ich mir in Latein schon leicht getan.“ Es wurde, wie sie im Gespräch mit dem Kinder-KURIER erzählt, noch viel besser. Altgriechisch wurde ihre große Liebe und Leidenschaft.

Leidenschaft

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Der Satz „Latein kann man, Griechisch liebt man“, soll von ihrem Altgriechisch-Lehrer stammen, der ihr auch gezeigt hat, dass in Griechisch alles drinnen steckt, sowohl an Kultur, an Geschichte, an Mythologie, als auch an Sprache. Das hat ihr geholfen die Tatsache zu verkraften, dass sie in Latein immer besser war, als in Griechisch. Jedoch begeistert sie diese schwierige Sprache mehr. „Ich habe erst nachdem ich angefangen hatte Griechisch zu lernen, wirklich die Sprache Deutsch an sich zu verstehen gelernt.“

Gegen den Strom schwimmen

Sie wolle keineswegs nun irgendwem einreden, Altgriechisch zu lernen, „aber was ich schon sagen möchte: Jede und jeder soll den eigenen Weg gehen, auch wenn er den anderen noch so freaking erscheinen mag.“

Nach der Schule gab sie sich ganz dieser Leidenschaft hin und studierte Altgriechisch mit Texten von Homer & Co. Vea fing an Bücher zu schreiben und kam dann durch Zufall mit Regisseur Roman Freigaßner bei Gesprächen mit Wein nach einer anderen Rabenhof-Premiere zusammen. Zuerst fragte er sie nur, ob sie für die Argonauten als Beraterin für Fachfragen zur Verfügung stellen wolle. Nach noch mehr Wein bot er ihr an, das Stück gleich zu schreiben. Nach der anfänglichen Skepsis, erstmals ein Theaterstück zu schreiben, traute sie es sich doch zu. Und machte aus dieser großen Geschichte ein kurzweiliges und witziges Stück.

Zeitlos

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„Das Tolle an den griechischen Sagen ist, dass sie zeitlos sind. Die Tatsache, dass die Argonauten mindestens 3000 Jahre alt sind und der Stoff heutzutage immer noch so gut passt, beweist gut, dass solch ein Thema wie Macht genauso gut heute wie vor Hunderten oder Tausenden von Jahren aufgeführt werden kann und konnte.“

Sie könne sich eigentlich auch nicht wirklich in jemanden verlieben, der nicht wenigstens Homer gelesen habe, vertraut sie dem KiKu noch an In den großen Geschichten aus dem alten Griechenland stecke einfach alles drin, drum sei ihr die Geschichte – trotz anfänglicher Skepsis, erstmals einen Theatertext zu schreiben -, leicht von der Hand gegangen. Aktuelle Bezüge einzubauen wäre fast aufgelegt gewesen.

Was macht Macht mit dir?

„Was macht Macht mit einem? Das hat uns interessiert. Beim Proben“, so der Regisseur zum KiKu, „sind allen Beteiligten auch so manche Beispiele aus dem Theaterbetrieb eingefallen. Namen seinen jetzt keine genannt, aber fast jede und jeder konnte den einen oder anderen nennen – früher lieber Kollege, heute als Oberspielleiter da oder dort oder gar Direktor – und du erkennst die Person kaum wieder. Und sie scheint dich oft nicht mehr zu kennen.“

Bei aktuellen Bezügen könnten sich natürlich im Laufe der Spielzeit noch die eine oder andere Änderung ergeben“, meint Regisseur Roman Freigaßner. Das Ende hingegen werde nun schon so bleiben wie es jetzt ist, wobei er und schon zuvor Nancy Ama Mensah-Offei dem KiKu verrieten, dass es „so wie’s jetzt ist erst zweieinhalb Stunden vor der Premiere festgelegt wurde“. Zwei andere Versionen seien zuvor schon ausprobiert worden.

Bedingungslose Liebe

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Die junge, souveräne Medeia-Darstellerin Nancy Ama Mensah-Offei vermittelt bedingungslose Liebe. Dafür opfert sie alles. Sie sucht selbst dann, wenn Iason sich ihr gegenüber schon mehr als ungut verhält, an der Zuneigung fest zu halten. Er sei ja eh nicht so, nur das Vlies sei schuld, weshalb sie dieses – in dieser Version – heiß kocht, so dass es eingeht. Natürlich sei das vom Kopf her nicht zu verstehen, „aber wer kennt das nicht aus eigener Erfahrung, wenn du wirklich total verliebt bist, willst du vieles nicht wahrhaben, was deine Umgebung sieht und worauf sie dich aufmerksam machen“, erklärt die Schauspielerin, wie sie ihre Rolle angelegt hat.

Die Argonauten
Für Helden und die, die es noch werden wollen
(ab 11 Jahren, 95 Minuten, eine Pause)

Darsteller_innen:
Medeia: Nancy Mensah-Offei
Iason: Markus Kofler
Orpheus: Kai Maertens
Pelias/Aietes: Sebastian Pass
Herakles: Nicki Tempelhoff

Buch: Vea Kaiser
Regie: Roman Freigaßner
Ausstattung: Heike Mirbach
Musik: Josch Russo
Video: Niki Griedl
Lichtdesign: Harald Töscher
Maske: Stephanie Dunst, Viktoria Sabeditsch
Regieassistenz: Bernhard Bachner
Ausstattungsassistenz: Carlotta Marmuth
Regiehospitanz: Tina Tiefnig

Produktionsleitung: Abdula Dervisoski
Technische Leitung: Pepe Starmann
Lichttechnik: Harald Töscher, Katrin Neyer
Tontechnik: Josch russo
Videotechnik: Christoph Höschele
Bühnentechnik: Peter Brenessel, Günter Lickel, Roland Renner

Bis 17. März
Theater Rabenhof
1030, Rabengasse 3
Telefon: (01) 712 82 82
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