Publikum spürte Flucht-Momente

Die Schüler_innen bastelten Masken, die erschrecken und beängstigen sollten
SchülerInnen, Studierende und (jugendliche) Flüchtlinge präsentierten ein bewegendes Film-Musik-Schauspiel-Projekt in der Uni für Musik und darstellende Kunst in Wien.

Nach dem Trompetensolo im Stiegenhaus des alten Trakts der Uni für Musik und darstellende Kunst am Anton-von-Webern-Platz stürmen Jugendliche in schwarzen Plastik-Müllsäcken und teils furchterregenden Masken aus dem Haydn-Saal. Davor steht das Publikum für „BilderFluchten – FluchtenKlänge“.

Einfühlen

Publikum spürte Flucht-Momente
Die Schüler_innen bastelten Masken, die erschrecken und beängstigen sollten
Die Gestalten – von der Neuen Mittelschule Schopenhauerstraße - greifen sich an den Rändern des Foyers liegende Metallteile wie Gitter und Winkeleisen, Kleiderbügel und andere Trümmer. Die eingekreisten Gäste sollen auch so ein wenig in Angst versetzt werden. Dann müssen sie alle durch einen Eingang, jenen bei der Bühne. Während der größere Teil des Saals mit seinen Sesseln frei bleibt, müssen alle Gäste auf der schmalen Bühne stehen, abgetrennt durch ein rot-weißes Baustellen-Absperrband. Dicht und durch die Nachdrängenden immer dichter. Die Gestalten haben zwar ihre Masken abgelegt, stehen aber noch immer ein wenig bedrohlich auf der anderen Seite der Absperrung. Dazu Klänge aus Ocean-Drums und ähnlichen Geräusch-instrumenten. Erst hernach werden die solchermaßen doch ein wenig unfreiwillig zu Mitwirkenden gemachten Zuschauerinnen und Zuschauer „frei gelassen“, die Sitzplätze einzunehmen – aber zunächst müssen sie noch durch einen engen Korridor.

Auf diese Art, so die Idee hinter dem aktionistischen Beginn, konnten sich die Gäste zumindest ein wenig in die Lage auf eng besetzten Booten, LKW usw. versetzen, die Flüchtende auf sich nehmen müssen – nicht nur für ein paar Minuten und nicht als Performance.

Filme übers Hier-Sein

Publikum spürte Flucht-Momente
Erster der gezeigten Filme mit Live-Musiker_innen
Danach sind fünf Filme zu sehen. Fünf Jugendliche bzw. junge Erwachsene, die ihre Heimatländern – Afghanistan, Syrien, Somalia und Gambia - verlassen mussten, haben – mit Unterstützung von Studierenden der Filmakademie (eines Instituts dieser Uni, Studienrichtungen: Buch und Dramaturgie, Bildtechnik und Kamera, Produktion, Regie) – atmosphärische Filme über ihr Hiersein in Wien gedreht. Und das reicht von einer langen U-Bahnfahrt, die den wie verloren wirkenden Protagonisten zeigt, der auf einmal von einem „Schwarzkappler“ in Zivil, einem Kontrollor der Wiener Linien, nach einem Fahrschein gefragt wird und sichtlich genau gar nicht versteht, worum es geht bis über Bilder, die eine Protagonistin verschwommen wie in einer Art Nirgendwo zeigen bis zu einem Gruppenbild mit dem Bundespräsidenten am Tag der offenen Tür.

Live-Musik

Publikum spürte Flucht-Momente
Orchester mit Masken eröffnet den Reigen im nun vollbesetzten Haydn-Saal
Zu jedem der fünf Filme spielen Studierende der Musikuni live eigens dafür komponierte Musik, die die jeweilige Atmosphäre des Films in einer weiteren Dimension zum Ausdruck bringt.
„BilderFluchten – FluchtenKlänge“ nahm seinen Ausgangspunkt im Projekt „Musik zum Anfassen“ in der Lehrveranstaltung Musikvermittlung, wuchs sich aber dank aller Beteiligten zu weit mehr als einer Lehrveranstaltung aus – zu echter Begegnung und einer intensiven, fruchtbringen Zusammenarbeit mehrerer Uni-Institute und der genannten Schule (Workshops, um die Situationen und Stationen einer Flucht mithilfe von Musik und Bewegung erlebbar zu machen) sowie mit Einrichtungen und Vereinen für junge Asylwerberinnen und -werber. Die künstlerisch beeindruckenden Ergebnisse zeichneten sich durch weit darüber hinaus gehende zutiefst menschliche Begegnungen aus – ein berührender Abend an dem auch mehrfach Tränen flossen.
Publikum spürte Flucht-Momente
Die Schüler_innen bastelten Masken, die erschrecken und beängstigen sollten
Bilderfluchten - Fluchtenklänge
Zusammenarbeit von minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen
Schüler_innen der Neuen Mittelschule Schopenhauerstraße 79 (1180 Wien)
Studierenden des Instituts Film und Fernsehen sowie der
Lehrveranstaltung zur Musikvermittlung „Musik zum Anfassen“
www.musikzumanfassen.at/uni-BilderFluchten-FluchtenKlaenge
Publikum spürte Flucht-Momente
Orchester mit Masken eröffnet den Reigen im nun vollbesetzten Haydn-Saal
Musik
Giacinto Scelsi: Quattro pezzi per tromba sola I (1956)
Tanz- und Klangperformance der SchülerInnen mit Ausschnitten aus:
„Sacre du Printemps“ von Igor Strawinsky (für Klavier vierhändig, Fassung von 1912-1913)
„Vox Balaenae” von Georg Crumb (für Electric Flute, Electric Cello, Electric Piano von 1972)

Die Filme
„Sprechen ohne Sprache“
Zabihullah Ibrahimi / Jakob Carl Sauer / Duygu Akbulut 3a
Musik: Zabihullah Ibrahimi - Shruti-Box, Nina Braith - Gesang/Querflöte, Elyana Foroohari - Viola, Hannah Liebhart - Cello, Gabriele Uiberacker - Cajon, Iva Zabkar - Komposition

„New life with new challenges“
Hamdi Abdullahi Hassan / Mareike Müller / Lazar Milosavljević 4b
Musik: Theresa Pewal - Blockflöte, Angelika Moskal - Violine, Hannah Liebhart - Cello, Jonathan Stark - Klavier / Komposition

„Der Leib ohne Geist“
Chelckhnous Khalaf / Matthias Krepp / Smajo-Ismail Safic 3a
Musik: Chelckhnous Khalaf, Hristina Susak - Violine / Komposition, Sonja Koković - Klavier

Publikum spürte Flucht-Momente
Deep Inside“
Jabou Tabedou / Leni Gruber / Eurolind Gashi 3a
Musik: Jabou Tabedou - Stimme, Angelika Moskal - Violine, Elyana Foroohari - Viola, Hannah Liebhart - Cello, Markus Schwarz - Gitarre, Gabriele Uiberacker, Ivaylo Delivichev - Percussion, Maria Delivicheva - Klavier / Komposition

„Neues Leben“
Alireza Ayubi / Jan Prazak / Emilia Belakovits 3a
Musik: Elyana Foroohari - Violine, Hannah Liebhart - Violoncello, Damaris Richerts - Trompete, Gabriele Uiberacker - Klavier, Mathias Schmidhammer - Komposition

Über die fünf Film-Protagonist_innen
Alireza Ayubi
wurde am 1998 in Afghanistan geboren. Durch ein Problem konnte er nicht mehr länger in seiner Heimat bleiben und musste fliehen. Von Österreich hat er im Geographieunterricht in der Schule gelesen und machte sich zu Fuß, mit dem Auto, Bus, Zug und einem Schiff von der Türkei nach Griechenland auf den Weg und kam nach fünf bis sechs Monaten am 13.01.2015 in Österreich an. In Österreich gefällt es ihm sehr, vor allem die freundlichen Menschen, die Kultur und die Freiheit. Nachdem er schon den Bundespräsidenten treffen kann, fand er es eine gute Idee auch einen Film darüber zu drehen. Sein Traum ist, einmal Geschäftsmann zu werden. Er schwimmt gerne, liest in den Sprachen Persisch, Deutsch, Türkisch, sowie ein bisschen auf Englisch und ist passionierter Schachspieler.

Hamdi Abdullahi Hassan erblickte am 1987 in der Mitte von Somalia das Licht der Welt. Zum Journalismus-Studium zog sie in die Hauptstadt Mogadishu. Als KollegInnen durch islamistische Gruppen getötet wurden und es lebensgefährlich wurde als internationale Journalistin im Radio zu arbeiten floh sie am 11. April 2015. Per Flugzeug, Boot, zu Fuß und mit dem Zug kam sie am 30. Juli 2015 nach Österreich und entschied sich zu bleiben. Die Hauptstadt Wien gehört für sie zu den schönsten auf der Welt. Wenn sich die Möglichkeit bietet, würde sie gerne einen zweiten Film drehen. Sie möchte sich als Menschenrechtsaktivistin vor allem für Frauen, Mädchen, die noch nicht in die Schule gehen und gegen die Beschneidung von Mädchen einsetzen und sie unterstützen.

Zabihullah (Zabi) Ibrahimi kam 1998 in Afghanistan auf die Welt und wuchs im Krieg auf. Deswegen brach er von dort auf und kam mit dem Bus, zu Fuß und dem Zug nach vier bis fünf Monaten am 1.01.2015 in Österreich an. Er wusste nichts von Österreich, bis er hier ankam. Vor allem die Kultur, die Höflichkeit, die vor allem durch die Verwendung der Worte „Bitte“ und „Danke“ zum Ausdruck kommt, begeistern ihn. Das Einzige, wo er Änderungsbedarf in Österreich sieht, sind die Ladenöffnungs- und Schließzeiten. Da es ihn interessierte, wie man einen Film produziert, ist er bei diesem Projekt eingestiegen. Er möchte in Richtung Mechanik oder Informatik ein Studium absolvieren und ein guter Fußballspieler werden (derzeit spielt er schon in Klosterneuburg im Verein). Da sein Leben bisher vom Krieg bestimmt war, möchte er sein Leben zum Guten wenden.

Chelckhnous (Sheikho) Khalaf wurde 1996 in Syrien geboren. Ein Onkel, der damals schon in Wien lebte, sagte ihm, dass er nicht in Syrien bleiben sollte. Und so ging er allein zu Fuß nach Kurdistan und nach einem Jahr von da aus in die Türkei. Da sein Vater in Wien war, konnte er durch die Familienrückführung nach vier Monaten nach Österreich fliegen. Vor eineinhalb Jahren kam er in Österreich an und bisher gefällt es ihm hier sehr gut. Nur die Wohnungssuche bereitet ihm Sorgen. Bisher lebt er bei seinem Onkel. Er möchte einmal nach Kurdistan reisen und zwei weitere Onkels besuchen. Auch wenn er früher einmal Schneider war, will er nach dem Abschluss des Deutschkurses eine Ausbildung machen und arbeiten. Nebenbei spielt er gerne Keyboard und Fußball.

Jabou Tabedou kam 1996 in Gambia auf die Welt. Als sie einer Freundin davon erzählt, dass sie nach Europa möchte, schlägt diese ihr vor, nach Österreich zu gehen. Denn dort ist es gut, helfen sie Menschen. Während ihres ganzen Weges hierher, spricht sie nicht mit anderen, geht alleine und kommt am 5.8.2015 in Österreich an. Nur in Traiskirchen bricht eine Frau aus Syrien ihre Einsamkeit und kümmert sich um sie. In Wien gefällt ihr der Prater, der Donaukanal und der heiße Sommer. Bisher hat sie Freunde im Flüchtlingshaus und vor allem durch dieses Projekt auch mit hiesigen gefunden. Sie hört gerne anderen zu, nimmt gerne Ratschläge an und liebt es Sport zu treiben. Ihr Traum ist einmal Krankenschwester oder Friseurin zu werden.

Filme
Leni Gruber - Buch und Dramaturgie / Produktion
Matthias Krepp - Regie
Mareike Müller - Bildtechnik und Kamera
Jan Prazak - Regie
Jakob Carl Sauer - Bildtechnik und Kamera

Musik
Nina Braith - Gesang
Maria Delivicheva - Klavier / Komposition
Elyana Foroohari - Violine / Viola
Sonja Koković - Klavier
Hannah Liebhart - Violoncello
Angelika Moskal - Violine
Theresa Pewal - Blockflöte
Marlies Rauchöcker - Flöte
Damaris Richerts - Trompete

als Gäste
Ivaylo Delivichev - Percussion
Josef Gasser und Franziska Reutterer - Klavier (Sacre du Printemps)
Olaf Schuberth und Markus Wittershagen - Tonmeister

Mathias Schmidhammer - Klavier / Komposition
Golnar Shahyar - Gesang
Markus Schwarz - Gitarre
Jonathan Stark - Komposition
Hristina Susak - Violine / Komposition
Gabriele Uiberacker - Percussion / Klavier
Iva Zabkar - Komposition

Leitung Filmprojekt: Gabriella Reisinger
Idee / Konzept und Projektleitung: Dietmar Flosdorf

Neue Mitteschule Schopenhauerstraße 79, 1180 Wien
SchülerInnen Klasse 3a: Vanessa Ademi, Duygu Akbulut, Emilia Belakovits, Rukiye Bozan, Mahir Dizdarević, Eurolind Gashi, Marsel Hecht, Ana Jovanović, Islam Kassem, Jasmina Kovačević, Hüseyin Korkmazoglu, Osmancan Öztürk, Volkan Parmaksiz, Nikola Ristić, Smajo-Ismail Safić, Matthias Steinwender, Dragana Stepanović, Rabiye Süer, Michelle Sykora, Jennifer Unterlechner, Julia Vasić, Dragan Vasiljković
Lehrerinnen: Sabine Agirbas, Christa Gharzouzi, Ursula Kern, Gerda Reissner (Projektkoordination), Renate van Rutte; Direktorin: Erika Tiefenbacher

www.musikzumanfassen.at/uni-BilderFluchten-FluchtenKlaenge/

www.mdw.ac.at

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