"Desert Kids": Wie leben Jugendliche in der Negev-Wüste?
"Wüstenkinder": Gedanken einer Jugendlichen zum neuen Kinofilm eines österreichischen Regisseurs.
27.02.17, 18:05
"Wüstenkinder" ist der jüngste Film des österreichischen Regisseurs Michael Pfeifenberger. Der vollständige Titel des Streifens "Desert Kids/Yaldey Amidbar/Al-Atfal Al-Sahra" umfasst neben dem englischen Titel auch dessen hebräische und arabische Übersetzung.
Seit 17 Jahren ist Pfeifenberger immer wieder zu Gast in Israel, oft auch in der Negev-Wüste. Der Regisseur unterrichtet an Unis, kennt Menschen in dieser immer wieder auch durch Raketenangriffe bedrohten Gegend. Das kommt auch im Film vor, vor allem aber wollte er Kinder und Jugendliche verschiedenster Ethnien und Religionen porträtieren, ihnen selbst eine Stimme verleihen. Hier die Gedanken und Eindrücke einer Jungjournalistin, der 17-jährigen Rosanna Wegenstein.
Schon der Titel, auf Deutsch "Wüstenkinder", scheint eine Ahnung jener großen Welten in sich zu tragen, in die die Dokumentation so nahen Einblick gibt. Es sind die Lebens- und Gedankenwelten unterschiedlicher Kinder und Jugendlicher, die in der Wüste Negev, im Süden Israels, zu Hause sind. Sie wachsen vor verschiedenen kulturellen Hintergründen auf. Während ein Teil der ProtagonistInnen in arabischen Beduinen-Dörfern lebt, stammen die anderen aus israelischen Kibbuzim. Doch sie alle sind vereint durch das gemeinsame Zuhause in der Wüste, zu welchem sich alle gleichermaßen zugehörig zu fühlen scheinen.
Gleichermaßen verbunden scheinen sie mit diesem Ort und seiner Natur zu sein, welche man im Film sehr nahe erleben kann. So beispielsweise wenn der 17-jährige Mohamad auf seinem Pferd durch sein Heimatdorf in Rahat reitet. Wenn der 13-jährige Or und seine Brüder mit ihrem Vater an einem Abhang vor der weiten Wüste stehen und über Moses und seine lange Wanderung durch dieses Gebiet sprechen, über welche im Alten Testament erzählt wird. Wenn der 14-jährige Ahmed mitten in jener Landschaft steht und ein Kamel melkt, oder wenn die 17-jährige Naama mit ihrer Mutter von einem Hügel auf Tel Aviv hinunter schaut und sie dabei von der Zukunft träumen.
Gefahren sind Alltag
Doch diese Momente der Freiheit, in denen sie alle selbstverständlich und auf gleiche Weise aufgehoben scheinen, stehen in Kontrast zu dem langen, komplizierten Nah-Ost-Konflikt, der für die Jugendlichen ebenfalls Teil des Alltags ist. In der Negev-Wüste sei dieser ganz besonders stark spürbar, wie Michael Pfeifenberger nach dem Film im Interview mit dem Kinder-KURIER erzählte. Dort ist dieses komplexe Thema, das nicht wegzudenkender Bestandteil politischer Debatten ist, für die Kinder und Jugendlichen selbstverständliche Realität. Sie können nicht anders als mit den damit einhergehenden täglichen Gefahren umzugehen. Einfach weil sie dort geboren sind. Doch es hindert sie nicht daran, Kind sein zu wollen und all das zu tun, was damit in Verbindung steht, und das überall auf der Welt.
Eine der wohl aufrüttelndsten Szenen des Filmes ist jene, als eine Gruppe von Kindern beim Ballspielen im Schulhof von Sirenen unterbrochen wird, die vor einem Raketenangriff warnen. Sie wissen genau was sie tun müssen und die Kamera folgt ihnen in einen Schutzbunker, wo sie beschließen weiterzuspielen bis sie wieder hinaus können.
Alltag darstellen
Szenen wie diese und neben ihnen all die Momente, in denen die Jugendlichen vor der Kamera ihre tiefste Gedanken offenbaren, sind es auch, welche erkennen lassen, wie nahe der Film den jungen ProtagonistInnen kommen konnte. Sie drücken den Wunsch und das Ziel der Dokumentation aus, das für Michael Pfeifenberger und sein Team darin lag, Einblick in den Alltag von Kindern zu geben. Darin was sie beschäftigt, was sie sich wünschen und wovor sie Angst haben, und das fern von verallgemeinernder politischer Meinung.
Diese Nähe zu schaffen war, wie der Regisseur erzählte, oft nicht so einfach. Denn die Ressentiments die durch den Nah-Ost Konflikt vor allem oft gegen Juden und Jüdinnen entstehen, sind auch für die Jugendlichen unweigerlich spürbar. Somit musste erst Vertrauen aufgebaut werden, sodass dieses Politikum, in das sogar die Kinder schon gedrängt werden, unbedeutend wurde. Von da an entstand die Basis, auf der Raum geschaffen werden konnte für die besonderen, individuellen und vielfältigen Geschichten der jungen Menschen, denen der Film folgt. Auch die politische Situation kann durch sie schließlich automatisch für sich sprechen. Ohne Worte wird sie auf dieser neuen, persönlichen Ebene umso deutlicher verständlich, wenn es auch schwieriger wird sie zusammenzufassen, oder gar darüber zu urteilen.
Outing junger Aktivistin
Als Beispiel für den Aufbau dieses erwähnten Vertrauens, erzählte Michael Pfeifenberger im Interview über einen besonderen Moment in der Begegnung mit der 17-jährigen Naama, die mit ihrer Mutter in einem Kibbuz wohnt. Als es aufgrund des Krieges in ihrem Zuhause besonders gefährlich wurde, war es für sie ungewiss, ob der Film deshalb überhaupt gedreht werden könne. Michael erklärte ihr, dass es ja ein Film über sie sei und damit auch über all die Gefahr und die Situationen mit der sie in ihrem Leben konfrontiert ist und dass all das somit dazugehöre. Dies war der Zeitpunkt, an dem das Vertrauen für das junge Mädchen geschaffen war, wie der Regisseur sagte. So begann die Reise mit der starken, kämpferischen Protagonistin, die das Team schließlich in besonderen Situationen ihres Lebens begleiten konnte. Wie zum Beispiel zu einer Demonstration in Tel Aviv, für die Rechte und Freiheiten homosexueller Menschen. Naama hatte sie selbst organisiert, nachdem ein junger Mann aufgrund seiner Homosexualität umgebracht wurde. "Sie hat den Film für ihre Ideen benützt und das finde ich großartig", sagte Michael Pfeifenberger darüber.
Träume leben wollen
Dieser Mut und die fraglose Zuversicht im Umgang mit ihren Ideen und Träumen, und dass trotz allen Schwierigkeiten, sind es ebenfalls, die die jungen ProtagonistInnen des Filmes verbinden. Beispielgebend hierfür ist auch der kleine Bruder von Or. Als die beiden eine Straße entlang gehen, spricht dieser plötzlich mit leuchtenden Augen von seinem Wunsch eine Band zu gründen. Überzeugt erklärt er seinem großen Bruder wer welches Instrument spielen solle. Oder auch der Beduine Mohamad, der nach seiner Rückkehr von einer Amerikareise von seinem Traum erzählt einst dort zu leben. Und Ahmed, der ebenfalls aus einer beduinischen Familie stammt und von seinem Wunsch spricht, dass niemand eingeschränkt ist und alle die gleichen Chancen auf Schule, Bildung und ein Leben in Freiheit haben.
Weiters sind die Jugendlichen in ihrem Erwachsen-werden verbunden und mit ihm in ihrer kritischen Haltung gegenüber der Gesellschaft und bestimmten Traditionen. Eine große Frage stellt hierbei beispielsweise der Beitritt ins Militär dar, der alle ProtagonistInnen gleichermaßen zu beschäftigen scheint. Für die jüdischen Bewohnerinnen ist er in Israel Pflicht, während er für die arabisch-stämmigen Jugendlichen freiwillig ist. Er scheint für diese oftmals einen innerlichen Konflikt zu bedeuten, ausgelöst durch die Frage nach ihrer Zugehörigkeit. Ein weiteres unumgängliches Thema stellt der Umgang mit der eigenen Religion dar. So hinterfragt Mohamad zum Beispiel im Gespräch mit seinem Vater die islamische Tradition, dass ein Mann mit mehreren Frauen gleichzeitig verheiratet sein darf. Oder Or und seine Brüder sitzen mit ihren Eltern am Strand und sprechen über die zukünftigen Partnerinnen der Jungen. Vater und Mutter gestehen, dass sie sich für ihre Söhne lange nur eine jüdische Frau vorstellen konnten, nun aber wissen, dass ihnen jede Recht ist, die sie lieben, unabhängig von ihrer Religion und den Eltern jede und "sogar jeder" Recht wäre, die oder den ihre Söhne lieben.
All diese kraftvollen Äußerungen und Situationen, für die der Film so großen Platz schafft, künden, gegenübergestellt einem so langwierigen und ausweglos erscheinenden Konflikt, von Hoffnung. Denn sie machen deutlich, dass all die Kinder und Jugendlichen, und mit ihnen alle Menschen, trotz unterschiedlicher Herkunft letztlich verbunden sind in ihren tiefsten Gefühlen. In der Frage nach der eigenen Identität, Sehnsüchten und Ängsten. Überall dort wo Ressentiments und Stereotypen ihre Kraft genommen wird.
Kommentare