Da bleibt die Luft weg

Da bleibt die Luft weg
Gewalt-iges Theaterereignis: Junge Schauspieler aus Palästina derzeit in Wien

Theaterrauch. So viel, dass die ganze Bühne im Nebel liegt. Dazu Schüsse, Maschinengewehrgeknalle, Schreie, atemberaubendes Atmen. Plötzlich die Queens-Nummer "Another one bites the dust". Bruch. Gefängniswärter, Schläge. Bruch: Junge Zirkusartisten. Ein durch Mark und Bein gehender lauter Pfiff. Ein Alarmsignal. Angst, Angst, Angst. Spürbar gespielt von sechs jungen Schauspielern (zwischen 18 und 22 Jahren) des Freedom theatre aus Jenin, einer palästinensischen Stadt, eigentlich einem eingezäunten und eingemauerten Ghetto im von Israel besetzten Gebiet.
Beklemmend, erschreckend berührend spielen die jungen Männer (die Frauen der Theatergruppe sind mit einem anderen Teil des Ensembles derzeit in den USA auf Tournee) Situationen aus ihrem Alltag. Zwischen Schikanen, Belagerung, Willkürherrschaft - von außen, von der Besatzung. Aber auch von innen.

Da wirst verrückt

"In so einer Situation, der jahrelangen Belagerung werden die Leute verrückt, eigenartig, sie haben keine Hoffnungen mehr, haben kaum mehr Erwartungen ans (eigene) Leben...", wird es nach der rund dreiviertel stündigen dichten Performance Faisal Abualjayjaa erläutern. Gespielt wird in einer Kunstsprache, die sich aufs erste anhört wie ein Mix aus Arabisch und Hebräisch. "Seit Jahrzehnten erklären wir in der Welt, dass wir Menschen sind und keine Ungeheuer. Aber ob auf Arabisch oder Englisch, kaum jemand in der Welt hört uns zu. So verwenden wir nun unsere eigene erfundene Sprache...", erklärt der 22-jährige, der auch schon vor zwei Jahren mit den ersten Fragmenten im Dschungel Wien gastierte, damals mit anderen Kolleg_innen.
Die gewalttätigen Szenen sind derart heftig, genial gespielt, dass sie beinahe nicht auszuhalten sind. Und dennoch ist da im Hinterkopf auch gleichzeitig der Gedanke, "das was die da spielen, erleben sie immer und immer wieder live - auch demnächst,wenn sie von ihrer achtwöchigen Tour zurück nach Hause kommen. Und wissen oft nicht, wer wie lange leben wird. Ihr innig verehrter, ja geliebter Theaterleiter Juliano Mer-Khamis, Sohn der jüdischen Alternativ-Nobelpreisträgerin Arna Mer-Khamis, die das Freedom Theater 1993 gegründet hatte, war dieses Jahr im April ermordet worden. Seine Mörder wurden bis heute nicht gefunden, vielleicht auch gar nicht wirklich gesucht.

In Julianos Sinn weiter machen

Alle sechs Schauspieler schilderten im Gespräch nach der Vorstellung, wie wichtig er für sie gewesen war, dass sie ein Monat wie gelähmt waren, Adel Massarwa: "Ich hab drei Wochen nichts essen können, bin deswegen auch ins Krankenhaus gekommen, aber dann zum Theater gegangen. Wir haben geredet und sind alle zum Schluss gekommen, Juliano hätte uns so nicht sehen wollen, er wollte immer, dass wir Kraft, Zuversicht ausstrahlen und auch Spaß haben." Auch Motaz Malhees, mit 18 der jüngste der Gruppe, der unter der Regie von Juliano in Alice im Wunderland gespielt hatte: "Für uns und in unserer Arbeit lebt er weiter und wir werden nie aufhören mit der Revolution und die dritte Intifada wird eine Revolution der Kultur, des Theaters, Films, Hip-Hop (damit hatte der Bursch im Theater begonnen) … sein!"

Infos

Und was nun? - Fragments of Palestine II
The Freedom Theatre (Palästina)



Inszenierung: Nabeel al Raee
Darsteller: Alaa M. S. Shehada, Saber Y. S. Abu Ashreen, Motaz A. G. Malhees, Anas G. M. Arqawi, Adel K. S. Massarwa, Faisal M. M. Abualjayjaa
In Kooperation mit VIDC/kulturen in bewegung und Vienna Acts im Rahmen des 10. Festivals "Salam.Orient - Musik, Tanz und Poesie aus orientalischen Kulturen".

Samstag, 5. November, 20 Uhr
Im Anschluss an die Vorstellung Publikumsgespräch (in englischer Sprache, auch Deutsch mit Übersetzung ins Arabische möglich)

Dschungel Wien
1070 MuseumsQuartier
Telefon: (01)522072020

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