Karriere ohne Matura: Worauf es ankommt

Karriere ohne Matura: Worauf es ankommt
Das Bildungssystem ermöglicht verschiedene Wege zum beruflichen Erfolg. Experten und Aufsteiger erklären, was zählt.

Alles in allem lebe ich meinen Traum“, sagt Ali Mahlodji. Der gebürtige Iraner wuchs in einem österreichischen Flüchtlingsheim auf und lernte dort fürs Leben. Die HTL schmiss er kurz vor der Matura hin, um sich in den verschiedensten Jobs zu versuchen – auf der Baustelle bis zum Pharma-Betrieb. Heute ist der 37-Jährige internationaler Unternehmer, EU-Jugendbotschafter sowie Gesicht und Stimme der 2012 von ihm mitgegründeten Internetplattform whatchado. Dort erzählen mittlerweile mehr als 6000 Menschen online über ihre berufliche Laufbahn. Das soll Ein- und Umsteigern helfen, sich in der weiten Welt der Arbeit zu orientieren und eine erfüllende Tätigkeit zu finden. Nicht zuletzt als Resümee aus diesen Berichten steht für Mahlodji, der einst Astronaut werden wollte, fest: „Die Matura ist keine Garantie für Erfolg.“

Das österreichische Bildungssystem stellt die unterschiedlichsten Varianten der Berufsausbildung bereit. In kaum einem anderen Land ist das Angebot nach der Pflichtschule so breit wie hier. Das ermöglicht auch Karriere ohne Matura. Sie führt vor allem über Berufsbildende Schulen, Lehren, Fachschulen, Kurse, Lehrgänge, Seminare – und über persönliches Engagement. Viele schaffen es über die Meisterprüfung, manche über die Selbstständigkeit, einige über Zielstrebigkeit.

Viele Möglichkeiten

„Wir sind in Österreich sehr gut aufgestellt. Man kann sich allein 300 Berufe in Lehren aneignen“, sagt Sabine Putz vom Arbeitsmarktservice Österreich. Die Leiterin der Abteilung Arbeitsmarktforschung und Berufsinformation, die ursprünglich Landwirtin, später Ärztin werden wollte, weiß, dass lebenslanges Lernen die Chancen auf ein berufliches Fortkommen deutlich verbessert. Auch Mahlodji betont: „Am schlimmsten ist, wenn man sich nicht weiterentwickelt; wenn man aufhört, in sich zu investieren.“ Die Zahlen der Statistik Austria bestätigen das: 21,2 Prozent der 25- bis 34-Jährigen ohne weiterführenden Schulabschluss sind arbeitslos, bei den gleichaltrigen Akademikern sind es 3,5 Prozent. Ohne Matura ist viel zu erreichen. „Nur mit Pflichtschule ist es sehr schwierig – und es wird schwieriger“, prognostiziert Putz: „Auch wer sich der Technologie verschließt, wird auf der Strecke bleiben.“

Arbeitsmarkt im Wandel

Tatsächlich befindet sich der Arbeitsmarkt in einem radikalen Wandel, Digitalisierung und Automatisierung tragen dazu bei. „65 Prozent der Jobs, die wir in zehn Jahren haben werden, existieren noch nicht“, ist Mahlodji überzeugt: „Wir brauchen Menschliches.“ Mit Kreativität, vernetztem Denken und Empathie wird sich Geld verdienen lassen; nicht zwingend mit Zeugnissen aus höheren Schulen. „Die Menschen müssen sich ihrer Stärken bewusst sein und Freude an der Arbeit haben“, bekräftigt Putz: „Berufsorientierung ist ein langer Prozess.“ Nicht nur AMS und whatchado helfen dabei.

Leidenschaft und Selbstbewusstsein

Einig sind Experten, dass die Matura nicht für jeden passt, auch wenn der Nachweis der schulischen Reife nach wie vor den Einstieg ins Berufsleben erleichtert und bequemster Türöffner für die Unis ist. Es gibt vielversprechende Alternativen. Einmal am Arbeitsmarkt etabliert, sind schließlich auch andere Werte als dokumentierte Noten gefragt. Einer Studie des WIFI Management Forum zufolge schätzen Führungskräfte in erster Linie Fachkenntnis, Selbstbewusstsein und Leidenschaft. „Gute Schüler sind nicht unbedingt erfolgreicher. Zum Teil tun sich Schulabbrecher leichter, weil sie flexibler und mehr an Herausforderungen gewöhnt sind“, sagt auch Mahlodji. Er selbst hat die Matura inzwischen in der Abendschule nachgeholt, den Bachelor of Science im Eiltempo absolviert. Für den Aufsteiger steht immer noch eines im Vordergrund: Glücklichsein im Hier und Jetzt – mit oder ohne Matura.

Drei Beispiele

Auch Fritz Potocnik, Bäckermeister aus Leidenschaft hat es zu Erfolg gebracht, ebenso der Schulabbrecher und Start-up-Gründer Julian Zehetmayr und Heike Pernauer, Hauptschulabsolventin und Chefin über 80 Mitarbeiter. Die drei erzählen, wie sie Karriere ohne Matura machen konnten.

Bäckermeister aus Leidenschaft

 

Karriere ohne Matura: Worauf es ankommt

„Ursprünglich sollte ich Chemiker werden. Aber mein Herz hat immer schon für die Bäckerei gebrannt“, sagt Fritz Potocnik (61), Meisterbäcker von BROTocnik im Waldviertel. „Ich war ein guter Schüler und sollte im nahen Zementwerk arbeiten, aber das hat mich nicht interessiert“, sagt der Lebensmittelhandwerker, der namhafte Kunden bis Wien beliefert. Sein Sohn will in die Fußstapfen des Bio-Bäckers treten. Ihm hat Potocnik zur Matura geraten. Aber: „In unserem Beruf ist es schwierig, nebenbei zu lernen. Wir arbeiten in der Nacht und mit Körpereinsatz.“ Seine Berufswahl hat der gebürtige Steirer nach mehr als 40 Jahren am Ofen noch nie bereut.

Schulabbrecher als Multimillionär


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„Es war mein Traum, finanziell unabhängig zu sein und keine Angst haben zu müssen, dass ich wieder zur Schule muss“, erinnert sich Jungunternehmer Julian Zehetmayr (26). Mit 13 programmiert das „Problemkind“ erste Apps, mit 17 beendet Zehetmayr die Schulmisere, mit 22 verkauft er sein Start-up Mobfox; die Werbeplattform macht ihn zum Millionär.

Hauptschulabsolventin auf dem Chefsessel

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„Eigentlich wollte ich Krankenschwester werden“, sagt Heike Pernauer (45), geworden ist die Hauptschulabsolventin mit Zusatzqualifikationen Chefin über 80 Masseure, Physiotherapeuten und Rezeptionisten. In der Therme Wien leitet die Kärntnerin das Ambulatorium für Physikalische Medizin, die Ambulante Kur sowie die Thermen-Massage. „Ich habe immer nach vorne geschaut.“

Trotz guter Noten ist das Gymnasium für das Kind vom Land keine Option. So lernt Pernauer nach der Pflichtschule zunächst „Bürokauffrau“. Das erste Gehalt und die finanzielle Unabhängigkeit bringen sie von ihrem ursprünglichen Ausbildungswunsch im Spitalsbetrieb ab. Erst Anfang der 1990er-Jahre stellt sie mit einer sechswöchigen Ausbildung zum „Heilbademeister und Heilmasseur“ die Weichen um und legt in Oberlaa den Grundstein ihrer Karriere. „Ich bin standhaft, schaue genau hin und versuche immer, Prozesse zu verbessern. Und ich bin ein kleiner Monk“, sagt die Teamplayerin, die Empathie beruflich wie privat hoch hält.

Matura verlangt sie von ihren Mitarbeitern nicht – viele sind spätberufene Quereinsteiger –, Motivation und Freude am Werken sehr wohl: „Das ganze Leben ist ein Lernprozess, man muss in der Ausbildung und in der Berufswahl nach dem Herzen gehen.“

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