"Burnout-Kids": Wie Eltern Überforderung vermeiden

Grafissimo Stock-Fotografie
Zu viel, zu früh: Eine Volksschullehrerin erzählt von überforderten Kindern, ein Experte gibt Rat

Die Ereignisse rund um den Linzer Junior-Marathon und das Thema "Überforderung" lösten bei KURIER-LeserInnen zahlreiche Reaktionen aus. Eine Volksschullehrerin berichtet etwa per Mail von Kindern, die so erschöpft sind, dass sie nicht mehr können. Der Grund: In der Freizeit werden sie von Termin zu Termin gehetzt. O-Ton: "Letzte Woche ist mir ein 8jähriger beim Gitarrespielen in den Sekundenschlaf gefallen. Ich mache keinen Spaß, das ist auch kein Spaß. Erst als ich ihm gesagt habe, dass ich nicht böse bin, wenn wir jetzt sofort einfach Schluss (für HEUTE) machen, hat er sich getraut, sich auf mein Sofa zu legen und die Augen zu zu machen. Ich habe die Mutter angerufen, sie hat toll reagiert, ihn abgeholt, ins Bett gesteckt und wir haben uns immerhin auf eine kürzere Gitarreneinheit geeinigt."

Was sie weiter schreibt: "Ein lieber ehemaliger Schulfreund von mir hat mit seiner reizenden Frau ein zuckersüßes Mädchen bekommen. Als das Kind 5 MONATE alt war, war bereits beschlossen, dass es mit 12 Monaten in eine zweisprachige Kinderkrippe kommt. Das Kind kann nicht mal "Mama" sagen, es kann nicht gehen, es kann noch nicht mal vernünftig verdauen, aber es hat gefälligst mit 12 Monaten eine Fremdsprache zu erlernen, die niemand in der Familie oder in der näheren Umgebung spricht." Damit würde bereits früh vermittelt, dass ein Kind, so wie es ist, nicht "genug" ist. Die Krux, so die Lehrerin: "Die Kinder, mit denen ich zu tun habe, können nicht gut werden, in dem, was sie tun. Sie tun zuviel Zusätzliches".

Und tatsächlich: Mit drei Jahren müssen Kinder Marathon laufen, mit vier Tennis trainieren, mit fünf Klavier spielen und mit sechs in der Schule brillieren. Als Teenager sind sie dann ausgebrannt, warnt Kinderpsychiater Michael Schulte-Markwort. "Ich kann nicht mehr denken." Mit diesem erschütternden Satz fasste ein Schulkind sein Leben zusammen und hoffte, bei ihm Hilfe zu finden. Immer mehr Kinder leiden unter Stress, erklärt der Autor des Bestseller-Buches "Burnout-Kids" jetzt: "Wenn man erschöpft ist, fühlt man sich müde, kann sich schlecht konzentrieren, die Gedächtnisleistung ist verringert. Ein Teufelskreis." Das Wort Burnout war früher für Manager reserviert, "aber die Symptome zeigen sich auch bei Kindern", erklärte der Leiter der Hamburger Kinderpsychiatrie-Uniklinik im KURIER-Interview.

Rund um die Uhr

Schulte-Markwort beobachtet viele Gründe für die Erschöpfungsdepression. Etwa die Zeiteinteilung mit mehr als 30-Stunden-Wochen: "War früher nach den Hausaufgaben freie Zeit, so gibt es heute den außerschulischen Musikunterricht, das Üben und den Sportverein", kritisiert er.

"Burnout-Kids": Wie Eltern Überforderung vermeiden
Kind fühlt den Stundenplan aus
Er beschreibt, wie die Leistungsgesellschaft die junge Generation überfordert: "Das ist kein Prinzip, das ihnen von außen übergestülpt wird, sondern das von Beginn ihres Lebens an verinnerlicht ist und eine Eigendynamik entwickelt." Selbst wenn die Umwelt nicht bewusst Druck macht, haben vor allem Mädchen das Gefühl, dass sie nicht gut genug sind. "Jungs finden leichter ein Ventil, um ihren Stress abzubauen. Einerseits lassen sie Misserfolg besser an sich abprallen, andererseits können sie beim Sport oder bei Computerspielen besser abschalten. Mädchen kommen aus der Stress-Spirale kaum heraus", so Schulte-Markwort.

Vom Lernen abhalten

Er klärt daher wichtige Fragen zur schulischen Leistungsfähigkeit vor einer etwaigen Therapie ab. Kann ein Kind mit der Klasse gut mithalten und macht sich selbst den Druck oder wäre es in einem anderen Lernumfeld besser aufgehoben? Die Überforderung kann ja berechtigt sein, weil ein Kind dem Unterricht nicht gut folgen kann. "So absurd es klingt: Manchmal ist es die Aufgabe der Eltern, ihr Kind vom Lernen abzuhalten. Sie müssen ihrem Kind klarmachen, dass auch eine nicht perfekte Leistung gewürdigt wird", betont Schulte-Markwort.

Die Schule ist ein wichtiger, aber nicht der alleinige Faktor, betont der Psychiater. Er verweist dabei auf das soziale Leben im Internet: "Kinder wachsen heute damit auf, dass ihr Leben zumindest in Teilen öffentlich ist." Online zählen die Menge der Facebook-Freunde und die Bewunderung der anderen. "Wenn das Ziel, mit dem Kids sich im Spiegel messen, unerreichbar geworden ist, entsteht eine Abwärtsspirale", warnt der Psychiater. "Das hohe Tempo im Netz und der massive Druck Gleichaltriger, nicht auszusteigen, erhöht die Geschwindigkeit des Laufbands, auf dem sich die Kinder bewegen."

"Burnout-Kids": Wie Eltern Überforderung vermeiden
In vier Monaten wird es ernst: Es gibt noch viel zu lernen bis zur Reifeprüfung.

Inseln der Gemeinsamkeit schaffen

Bei überforderten Kindern gehe es auch um die Familienwerte, betont Schulte-Markwort: "Aus dem Kampf um das Materielle kann schnell ein Teufelskreis werden, in dem sich alle abgekämpft und irgendwann erschöpft voneinander abwenden. Erschöpft vom Kleinkrieg um Äußerlichkeiten." Beunruhigt werden sie von echten Kriegen: "Sie nehmen unser eigenes Erschrecken wahr – und unsere Hilflosigkeit. Es gibt unsere behütete Welt. Aber die andere, globale Welt ist zersplittert."

Wie Eltern Kinder und sich selbst vor Überlastung schützen können? "Zeit mit der Familie ist der beste Schutz der Kinder vor einer Überforderung. Nur durch einen ständigen Kontakt können Eltern früh reagieren, wenn der Anstrengungspegel der Kinder steigt“, betont Psychiater Michael Schulte-Markwort. Begegnungen auf Augenhöhe fordert der Buchautor: „Je enger der Spielraum der Kinder ist und je mehr sie von ihren Eltern kritisiert werden, desto schwieriger ist ihre Entwicklung zu einer eigenständigen Persönlichkeit. Doch genau das brauchen wir: Kinder, die Leistung positiv sehen und stressresistent sind.“

"Burnout-Kids": Wie Eltern Überforderung vermeiden
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Er hat für eine gesunde Entwicklung der Kinder ein Rezept: „Alle Familienmitglieder setzen sich mit ihren Kalendern hin und schauen, welche Zeit sie zusammen verbringen können. Und solche ‚Inseln der Gemeinsamkeit‘ tragen sie auch ein.“ Für wichtig hält er – so wie die meisten Familientherapeuten – gemeinsame Mahlzeiten. Bei dieser Gelegenheit, so der Autor von „Burnout-Kids“, kann jeder gleich überprüfen, ob er etwas streichen kann, denn Kalender von Erwachsenen und von Kindern sind meist zu voll. „Der Terminplan drückt aus, wie wichtig und unabkömmlich man ist“, urteilt er über seine Generation. „Ich bin für meine Kinder ein abschreckendes Beispiel. Ich fürchte, dass sie damit aufgewachsen sind, dass Leben zu einem Großteil aus Arbeit besteht.“

Termine streichen

Familien sollten aber nicht die falschen Kurse streichen, warnt Schulte-Markhof: „Man tendiert dazu, als erstes Musik, Schach oder Sport wegzulassen. Doch wenn genau das für Entspannung sorgt, bringt es dem Kind mehr als es schadet. Weglassen kann man vielleicht statt der Klavierstunde die tägliche Übungseinheit.“ Danach sollten sich Eltern fragen, welche Werte sie den Kindern durch die eigene Lebensführung vermitteln (siehe links). Nicht nur bei der Zeiteinteilung, auch beim Umgang mit Fehlern, dem Lösen von Konflikten, dem Reflektieren über Probleme, dem Umgang mit Smartphone und Computer. Außerdem rät Schulte-Markhof: „Streiten Sie für Ihr Kind.“ Eltern sollten von Pädagogen, Ärzten oder Trainern einfordern, dass sie sich bestmöglich mit Aufmerksamkeit und Respekt um ihr Kind kümmern.


Zuletzt betont er die Bedeutung von Entspannung: „Auch Kinder brauchen manchmal Hilfe beim Abschalten, etwa Yoga oder autogenes Training. Oder einfach eine Massage von Mama und Papa.“

Buchtipp:"Burnout-Kids – Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert", Pattloch Verlag 2015, 20,60 €

Schlaf ist für mich ein Luxusgut. Während des Schularbeitsmarathons im Dezember und Mai müssen fünf Stunden Schlaf reichen. Man könnte mir schlechtes Zeitmanagement vorwerfen, aber jeder würde bei meinem Schulpensum ins Strudeln kommen.

"Burnout-Kids": Wie Eltern Überforderung vermeiden

Obwohl mich meine Eltern nie wegen der Schule gestresst haben, habe ich einen Leistungsdruck verinnerlicht. In der Unterstufe äußerte sich dies auch körperlich. Ich hatte ständig Kopfschmerzen. Nach etlichen Untersuchungen stellte eine Psychologin fest, dass die Kopfschmerzen durch Stress verursacht wurden. Danach versuchte ich, die Schule nicht mehr so eng zu sehen – und die Kopfschmerzen verschwanden.


15 Fachbereiche gleichzeitig

Problematisch sind die Erwartungshaltungen. Viele Lehrer denken, dass ihr Fach das Wichtigste ist, lassen aber außer Acht: Während sie den Stoff ihrer zwei bis drei Fächer wissen müssen, sollen Schüler 15 Fächer lernen. Ein Beispiel: Ich bin meist eine Einser- bis Zweierschülerin. Als ich dann aber einmal in einem bestimmten Fach „nur“ einen Dreier bekam, sagte mir die Lehrerin, dass sie sich schon mehr von mir erwarten würde. Neuerdings kommen wir auch krank in die Schule, weil wir es uns einfach nicht erlauben können, einen Tag zu verpassen. Ich glaube daher nicht, dass ich Burn-out jemals bekommen könnte. Ich habe einfach keine Zeit dafür.

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