Junior-Marathon auch am Fußballplatz

Symbolbild.
Über Überehrgeiz und Kränkungen beim Kinderfußball - persönliche Erinnerungen.
Von Uwe Mauch

Ich erinnere mich an das zornrote Gesicht des Vaters, als wäre es gestern gewesen. Dabei war es nicht einmal mein eigener Vater. „Fernsehen is’ g’strichen, Depperter.“ Brüllte der Mann seinem vom Fußballplatz schleichenden Sohn entgegen.

Die Bilder von überehrgeizigen Eltern beim Junior-Marathon in Linz, die ihre strauchelnden Kinder über die Ziellinie zerrten, waren für mich ein Déjà-vu.
Der arme Kerl spielte damals, vor vierzig Jahren, bei der Wiener Austria. Und wir Underdogs aus der Vorstadt hatten den erfolgsverwöhnten violetten Bubis eine ebenso unerwartete wie schmerzliche Niederlage zugefügt. Damals schon verstörten die überehrgeizigen Austria-Väter (solche gab es natürlich auch bei Rapid), ebenso wie die klischeehaft in Pelz gehüllten Eislaufmütter.


„Er war eh gut“

Die überhöhten Ansprüche der Eltern brennen sich ein in die Kinderseelen. Das sagen nicht nur jene, die sich beruflich mit der Entwicklung von Kindern auseinandersetzen. Mein Vater hat mir zum Glück nie das Fernsehen gestrichen. Dennoch weiß ich noch genau, was er zu meiner Mutter gesagt hat, wenn ich am Platz schlecht war. „Er war eh gut“ war für mich schlimm, aber noch verkraftbar. Die väterliche Höchststrafe war hingegen, wenn er gar nicht böse, eher traurig erklärte: „Das Spiel ist heute an ihm vorbeigelaufen.“

Dann wusste das Kind genau, dass es sein großes Vorbild enttäuscht hatte. Lieber wäre ihm gewesen, hätte ich seinen Traum erfüllt. Er, der als Junger vor den Säulenheiligen des Wiener Sportclubs erstarrt war (die hatten damals gerade Juventus Turin mit 7 : 0 weggeputzt) und daher nicht der Einladung zum Probetraining Folge leistete. Was er später gewiss bereut hat.

Interessant, wie sich die Muster weiter vererben: Jahre später sah einer, der den Ansprüchen seines Vaters nicht gerecht werden konnte, im eigenen Sohn seinen Hoffnungsträger. Der junge Mann sollte Kraft seiner österreichischen und kroatischen Gene maximal ein Modrić oder Rakitić werden, zumindest aber ein Ivanschitz. Ich darf von Glück reden, dass mein Sohn mit ausreichend Selbstvertrauen ausgestattet ist und bereits mit sechs Jahren erklärte, dass Fußball für ihn kein Thema ist.

Andererseits ist klar zu sagen, dass sich der Ehrgeiz der Eltern nicht auf die Kickerei beschränkt. Man denke nur an all die gequälten Klavierspielerkinder, Mathematikolympioniken und Fünferkandidaten im Gymnasium.

Montessori-Kicker

Man will ja nur das Beste für sein Kind. Das wollen auch die mehrheitlich gut gebildeten Eltern, die ihre Kinder in die erste brasilianische Escolinha in Wien bringen. Diese wurde vor zehn Jahren vom zauberhaften Fußball-Lehrer Luiz Santos gegründet. Tatsächlich bemüht sich Santos, Herkunft est omen, den Kindern die Schönheit und den an sich friedlichen Charakter des Fußballspiels näher zu bringen.

Und dann treffen die kleinen Montessori-Kicker auf dem Platz des Slovan-HAC in Wien-Penzing auf die dort beheimateten Youngsters mit Migrations- und Gemeindebauhintergrund. Wer nun vermutet , dass die türkischen Väter mehr Druck auf ihre Kids ausüben als jene, die Begriffe wie Kindheitstraumata und Psychotherapie unfallfrei aussprechen können, wird – zum Leidwesen des Brasilianers auf der Betreuerbank – herb enttäuscht.

Ich erinnere mich an viele, die mit dem Fußball früh aufgehört haben. Nicht, weil sie schlecht waren. Eher, weil sie nicht so gut waren, wie ihre Väter und Mütter meinten.

Er kennt die Perspektive der Eltern nicht nur aus einer rein akademischen Sicht. Sein Sohn spielt Fußball bei einem lokalen Verein.

KURIER: Herr Professor Müllner, sind wir als Eltern heute ehrgeiziger als unsere Eltern?

Junior-Marathon auch am Fußballplatz
Rudolf Müllner Historiker Sportwissenschafter
Rudolf Müllner:Ja, durchaus. Wenn einer früher in unserem Dorf kicken konnte, kam er zum besten Verein in Krems. Heute muss es schon ein Leistungszentrum sein. Wir sind immer mehr getrieben von der Idee, ja keine Entwicklungschance für unsere Kinder auszulassen, damit sie sich später in der Konkurrenzgesellschaft behaupten können. Die Idee, dass es jeder an die Spitze schafft, folgt jedoch einer Illusion.

Warum einer Illusion?
Jeder muss heute außergewöhnlich sein, jedes Kind soll heute zum schulischen Erfolg noch eine Sportkarriere haben. Das geht teilweise ins Absurde. Wir besitzen heute weitaus mehr Optionen und Glücksverheißungen als unsere Eltern. Das erhöht aber auch den Druck auf Eltern und Kinder. Wir leben in einer Optimierungsdiktatur, nicht nur im Sport.

Hilft Ihnen dieses Wissen, wenn Sie Ihren Sohn auf den Fußballplatz begleiten?
Die Beziehung zwischen Vater und Sohn ist hochkomplex, hochemotional. Fordern, fördern, überfordern, die Grenzen verschwimmen teilweise. Und genau deshalb muss man sich ständig fragen, wo diese Grenzen sind.

Wie gelingt das einem, der eigentlich gut informiert ist?
Mein Eindruck ist: Man muss leidensfähig sein – auch als Vater. Denn natürlich will man in erster Linie sein strahlendes Kind sehen. Aber so ist es halt nicht immer. Niederlagen sind Teil der Erziehung.

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