Ein Aufreißer mit umstrittenen Methoden

Würgen als Flirt-Tipp: Blanc rät Männern, Frauen zu erniedrigen
Das Internet wehrt sich gegen einen "Dating-Experten", der Gewalt an Frauen propagiert.

Eine berechtigte Frage, die das Time Magazine in seiner aktuellen Ausgabe stellt: "Ist das der meistgehasste Mann der Welt?" Gemeint ist Julien Blanc, ein selbst ernannter "Pick-up-Artist" – also "Aufreiß-Künstler" – aus den USA, dessen Methoden seit einigen Tagen heftig kritisiert werden.

Ein Aufreißer mit umstrittenen Methoden
In Seminaren für die US-Firma RSD (Real Social Dynamics) – sogenannten "Bootcamps" – rät Blanc seinen Teilnehmern, beim Anbaggern von Frauen verbale und körperliche Gewalt anzuwenden. Unter dem Hashtag #HowToMakeHerStay postete er auf Twitter die Infografik einer Organisation gegen häusliche Gewalt – allerdings als "Checkliste" für Flirtwillige. Beispiele: "Mach ihr Angst" oder "Drohe, sie zu verlassen".

Für Entsetzen sorgte auch ein Video, in dem Blanc seine "Anmach-Tipps" veranschaulicht: "In Tokio kannst du als weißer Mann machen, was du willst. Ruf einfach ‚Pokémon‘ und greif sie dir", erklärt er darin. Kurz darauf ist zu sehen, wie er eine Japanerin am Genick packt und ihr Gesicht gewaltsam in seinen Schoß drückt. Das Video wurde mittlerweile entfernt.

"Ein Wahnsinn, was da passiert. Das ist ein juristischer Tatbestand", kommentiert Christina Raviola, klinische Sexualpsychologin und Leiterin der Sexualberatungsstellen, die Methoden von Julien Blanc. Zwar gäbe es "einige Frauen", die sexuelle Gewaltfantasien hätten – "diese werden aber selbstverständlich nur auf freiwilliger Basis im SM-Bereich ausgelebt. Wenn ein Mann das mit einer Frau macht, ohne dass sie es will, ist das Gewalt."

Weltweite Kritik

In den sozialen Netzwerken hat sich in den vergangenen Wochen eine Welle des Protests formiert. Unter #TakeDownJulienBlanc und #TakeDownRSD fordern Twitter-User, die Firma und ihre Praktiken zu verbieten. Auf change.org haben mehr als 50.000 Personen eine Petition unterschrieben, in der Hotels aufgefordert werden, Veranstaltungen von RSD abzusagen.

Ein Aufreißer mit umstrittenen Methoden
Eine weitere Petitionrichtet sich an zwei Kreditkartenfirmen: Sie sollen keine Zahlungen für Blancs Seminare annehmen. In Australien, wo der gebürtige Franzose zuletzt auftrat, wurde er des Landes verwiesen. Auch in Kanada und Deutschland – hier sollen demnächst Pick-up-Seminare stattfinden – denkt man über Einreiseverbote nach.

"Dieser Mann hat mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Persönlichkeitsstörung", vermutet Christina Raviola. In einem CNN-Interview hat sich der 25-Jährige inzwischen entschuldigt. Seine Videos und Fotos seien ein "abscheulicher Versuch von Humor" gewesen, in Zukunft werde er sensibler agieren. Eine Zukunft als "Date-Doktor" wird es für Julien Blanc wohl nicht geben.

Die Frage ist auch: Wie muss ein Mann eigentlich drauf sein, dass er sich von einem anderen Mann das Aufreißen vorhüpfen lässt? Warum muss man neuerdings Kurse besuchen, um zu lernen, wie man eine Frau „rumkriegt“? Äh, war das irgendwann nicht einmal selbstverständlicher Teil des hübschen Spiels „Ein Mann und eine Frau?“ Stattdessen: Pimp den Kerl in dir, um die Hasen zu (ver)führen. Das ist das Business der Firma „Real Social Dynamics“ beziehungsweise des Julien Blanc. Einer der „Pick-Up-Artist“-Pioniere heißt übrigens Neil Strauss, dessen Buch „Die perfekte Masche. Bekenntnisse eines Aufreißers“ 2006 erschienen ist.

Macho oder Softie?

Vermutlich ist auch dieses Phänomen eine Art Befund. Dafür, dass da draußen jede Menge schlecht bis mittelmäßig sozialisierte Jungs herumgeistern, die nicht mehr so genau wissen, was es eigentlich heißt, „angemessen“ zu kommunizieren. Beziehungsweise: Denen es an männlichen Role Models fehlt. Die sich inmitten des Rollenbilder-Wirrwarrs, das derzeit vorherrscht, nicht mehr zurechtfinden können. Die sich fragen: Was will die Welt, was wollen die Frauen von mir? Den Macho, den Softie, den wilden Kerl, den sanften Beckenrandschwimmer, den lustigen Kumpel, den perfekten Geschirrspülapparatausräumer und einen, der auch Guglhupf backen kann? Oder soll er eher nach dem Fifty-Shades-of-Grey-Prinzip agieren: „Baby, ich zeig dir, wer hier der Meister ist“?

In dieser allgemeinen Orientierungslosigkeit zwischen Hotel Mama und Darkroom scheinen manche Rat zu brauchen, um nicht verloren zu gehen. Der ist nicht nur teuer (Pick-Up-Kurse sind nicht gerade kostengünstig), sondern oft auch schlecht. Eines ist aber ganz besonders klar: Von mir aus sollen die Burschen pauken, wie man Frauen anspricht - aber: Druck und Gewalt haben im Pas-de-deux von Flirtenden absolut nichts zu suchen. Das ist nicht stark, sondern schwach, schwächer, am schwächsten. Vielleicht ist es sogar lächerlich.

Womit sich jedoch eine weitere Frage stellt: Was genau heißt denn bitte heutzutage stark? Für mich ganz klar: Stark ist eine Mann dann, wenn er – weitgehend frei von Attitüde - sein kann, wie er ist. Wenn er kein künstliches Gegockle braucht, das ihn nicht-authentisch macht. Wenn man das Gefühl hat: Hey, da ist ein Typ, der weiß, was er will und das noch dazu charmant und nett. Wenn einer zuhören kann, ohne der Situation permanent sein Ego drüberzustülpen. Stark ist, wer DA ist, ohne den gesamten Raum zu beanspruchen. Stark ist, wer schwach ist!

Klar gehört zum „Game Number 1“ - dem Flirt - dazu, dass man flunkert, übertreibt, sich besser darstellt als man vielleicht in Wirklichkeit ist. Das machen Frauen wie Männer – das gehört zur Anbahnung wie das Kondom zum Sex. Aber am Ende gilt: Wo nix geht, geht nix – und schon gar nicht mit Druck. Abgesehen davon bin ich heftigst dafür, die ganze Flirt-Kiste endlich wieder einmal lockerer zu sehen. Und das gilt - ebenfalls - für Männer und Frauen gleichermaßen.

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