Schule als Ort der Gewalt

Mobbing in der Schule: Österreich ist Schlusslicht
Jugendliche fühlen sich in der Klasse zunehmend gemobbt. Das System hat für das Problem keine Lösung.

Mobbing scheint beliebt: Kinder und Jugendliche verwenden das Wort heute inflationär, auch für kleine Hänseleien. Dabei ist Mobbing ein Tatbestand. Einer, der oft erfüllt wird, bestätigt eine große Umfrage von „147 Rat auf Draht“. Ergebnis: 46 Prozent der Befragten (9–20 Jahre) waren schon einmal von Mobbing in der Schule betroffen. Schon im Frühjahr veröffentlichte die OECD Zahlen, wonach Österreich beim „Bullying“ (Mobbing in der Schule) den traurigen ersten Platz einnimmt.

Elke Prochazka, die als „Rat auf Draht“-Psychologin die Befragung leitete, definiert Mobbing als „längerfristige, systematische Gewalt“, meist psychische, manchmal auch körperliche. Entscheidend ist die absichtliche Verletzung. „Neben Täter und Opfer ist dafür die Masse rundherum wesentlich.“ Ohne Publikum kein Mobbing. „Bei dem muss man möglichst früh ansetzen, sensibilisieren und aktivieren.“

Cyber-Mobbing

Sichtbar wird das am Beispiel Cyber-Mobbing, von dem laut der Umfrage schon 30 Prozent betroffen waren. Prochazka: „Wenn unter den ersten drei Kommentaren von beleidigenden Postings ein Widerspruch kommt, bremst das die Wucht, zeigen Studien.“ Aktuell fühlen sich zwar nur sieben Prozent als Cyber-Mobbing-Opfer, aber das ist meist eine Fortsetzung des Mobbings in der Schule. Darin liegt auch das wirkliche Problem: Hatten Opfer früher in der Freizeit und der eigenen Wohnung ein Rückzugsgebiet, sind sie durch soziale Medien heute oft 24 Stunden mit den Aggressionen konfrontiert.

„Wir sehen jedoch, dass im Internet ein anderer Umgang herrscht. Opfer blockieren die Mobber selbst.“ Diese Handlungskompetenz fehle beim herkömmlichen Mobbing meistens.

Keine Lösung

Wie überhaupt die Lösungen für das wachsende Problem rar sind. Ein Ansatz wäre die Früherkennung. „Wir haben im Schnitt täglich fünf Anrufe zu dem Thema, die meisten melden sich sehr spät. Durch frühen Rückhalt würde sich Mobbing oft gar nicht entwickeln können.“ Das wären etwa Kummerkästen, die nicht an den belebtesten Orten der Schule hängen. Oder Vertrauenspersonen, die ein Betroffener sprechen kann, ohne dass es alle merken. Prochazka fordert, dass „zumindest die Schulpsychologen, die es ja in jeder Schule gibt, sich des Problems annehmen.“

Die logische Anlaufstelle wären jedoch Lehrer. „Die haben zwar oft Verständnis, aber keine Zeit zum Zuhören“, sagt die Psychologin und betont die wichtigste Regel im Umgang mit Mobbing-Opfern: Zuhören und Glauben schenken. Dass auch in der Lehrer-Ausbildung mehr Konfliktlösung einfließen sollte, will sie nicht sagen.

Wichtig sei, Warnzeichen zu erkennen. „Es muss um Prävention gehen, nicht um Bestrafung. Die Schüler haben uns im Rahmen der Befragung gesagt, dass es als Konsequenz schon reichen würde, wenn einer zum Direktor muss.“

Stärken betonen

Die gesellschaftspolitische Suche nach Wurzeln des Mobbingübels sei schwierig. „Es fehlen aber sicherlich Orte, an denen Jugendliche hören, was sie gut können. Ständig seine Schwächen erklärt zu bekommen plus Leistungsdruck fördere Aggression.“ Kinder und Jugendliche suchen positive Rückmeldung.

Als Wunschdenken bezeichnet Prochazka die immer wiederkehrende Idee, „Soziale Kompetenz“ als Pflichtfach im Unterricht einzuführen. Jugendliche ernst zu nehmen, wäre ein guter Schritt: „Die waren schon überrascht, dass wir sie um ihre Meinung fragen.“

Alle Experten sind sich einige: Vor allem muss man betroffenen Kindern und Jugendlichen glauben und zuhören. Das gilt für Lehrer, Eltern und Freunde gleichermaßen. Danach kann man folgende Punkte abhandeln.

Einordnung des Problems. Handelt es sich um echtes Mobbing oder um ein punktuelles Konfliktverhalten? Was sind die genauen Übergriffe, ist das Verhalten noch akzeptabel?

Klare Ablehnung. Schulen, aber auch Eltern müssen ganz deutlich sagen, dass Mobbing nicht normal ist. Es ist Gewalt, sogar ein Straftatbestand. Dazu zählen auch klare Konsequenzen gegen Mobber vonseiten der Schule.

Sensibilisierung durch Information. Werden Schüler auf Mobbing angesprochen und reflektieren sie, welche Grenzen dabei überschritten werden, schreiten sie eher dagegen ein.

Frühwarnsystem. Kummerkästen, Austausch mit Schülern, auch anonymen Beobachtungen nachgehen. Schüler selber nannten „gemeinsames Kochen oder Essen“ als Prävention. Zu überlegen ist auch die Etablierung eines Schulfaches, „Persönlichkeitsbildung“ ist in Dänemark, England, Frankreich, Italien, den Niederlanden und Schweden Pflichtfach.

Die 16-jährige K. erzählt dem KURIER ihre Mobbing-Geschichte, ihren Namen möchte sie nicht erwähnt wissen. Denn die „Mobber“ zeigen bis heute keine Einsicht.

Angefangen hatte alles, als K. sich für drei ihrer Mitschülerinnen einsetzte, die vom Rest der Klasse ausgegrenzt wurden. Sie war die Einzige, hörte den Opfern zu, sprach mit den Tätern und den Lehrern. Doch von einem Tag auf den anderen wurde K. selbst zum Opfer.

Wenn sie in der Schule die Antwort nicht wusste, Wörter falsch aussprach oder Kleidung trug, die den Mitschülern nicht gefiel, war das Anlass für Spott. Anfangs hielt K. das für Spaß, doch bald erkannte sie den Ernst. Die Hänseleien wurden schlimmer und kränkten sie. Obwohl sie darum bat, hörten ihre Mitschüler nicht auf. Sie nannten sie „Pickelgesicht, das sich nie wäscht“. Die Haut wurde mit der Zeit besser, die Komplexe blieben.

Wer half ihr in dieser Zeit? K. vertraute sich ihren Eltern an, auch Lehrerinnen. Die Mobber stritten alles ab, konnten der Wahrheit nicht ins Auge sehen und stellten K. als Lügnerin hin. Nur ihre Eltern glaubten ihr. Selbst die Mitschüler trauten sich nicht, den Lehrern die Wahrheit zu sagen. K. versuchte oft, ihre Tränen zu unterdrücken, aber anfangs gelang es kaum.

Die Situation zu Hause wurde auch immer komplizierter. Die Eltern machten sich Sorgen, wollten helfen, konnten aber nicht. Jeder Versuch, mit den Lehrern oder den Eltern der Mobber eine Lösung zu finden, scheiterte.

Nach vier Jahren Ausgrenzung aus der Klassengemeinschaft entschied sich K. für einen Schulwechsel. Heute bezeichnet sie dies als beste Entscheidung ihres Lebens.

Sie betont, dass die schlechten Erfahrungen sie auch stärker machten und ihr halfen, sich mit all den äußerlichen Makeln zu arrangieren. K. engagiert sich auch heute noch für Schüler, die in ihrem Umfeld gemobbt werden. Sie lernte, effizienter und vorsichtiger damit umzugehen, ohne sich dabei selbst ins Out zu stellen.

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