Hirnforscher: "Tagsüber brummt alles"

Jürgen Sandkühler, Leiter des Instituts für Hirnforschung, am 23.04.2013 in Wien
Der Forscher Jürgen Sandkühler vergleicht das Hirn mit einer Firma.

Eigentlich untersucht Jürgen Sandkühler mit seinem Team, was bei Schmerzen im Gehirn passiert. Als Leiter des Zentrums für Hirnforschung in der Wiener Spitalgasse, weiß er noch viel mehr über den faszinierenden „Kosmos im Kopf“. Im KURIER-Gespräch erzählt er, warum das menschliche Gehirn besser als jeder Computer funktioniert. Und nie auslernt.

KURIER: Lässt sich das Gehirn mit einem Computer vergleichen?
Jürgen Sandkühler:
Das ist ein Schlüssel-Fehler, der häufig gemacht wird. Weil das Gehirn – wie ein Computer – Informationen aufnehmen, verarbeiten und speichern kann. Aber die Art und Weise wie das geschieht, ist komplett verschieden.

Wie muss man sich das ungefähr vorstellen?
Das Gehirn hat 100 Milliarden parallel und gleichzeitig arbeitende Rechen-Kerne, während es bei Rechnern nur wenige sind. Es arbeitet in vielerlei Hinsicht effizienter, leistungsstärker und wirksamer als jeder Supercomputer. Und es ist besser im Erkennen des Wesentlichen, kann sich veränderten Situationen anpassen. Ein Rechner rechnet stur immer dieselben Dinge aus, der Mensch ist kreativ.

Was passiert beim Denken?
Wir wissen, was auf Ebene der Nervenzellen passiert – etwa bei der Informationsübertragung. Aber so hoch kognitive Fähigkeiten wie Kreativität oder logisches Denken sind die höchsten Hirnfunktionen, die wir haben – und daher auch die am wenigsten verstandenen.

Es heißt, das Gehirn lerne nie aus.
Richtig. Zu dieser Veränderlichkeit lässt sich viel sagen. Alleine, um den Ist-Zustand zu erhalten, muss das Gehirn permanent Leistungen erbringen. Es werden ständig Eiweißstoffe auf- und abgebaut. Um seine Funktionsweise veränderten Situationen anzupassen, muss das Gehirn auch seine Funktionalität ändern können.

Wie genau muss man sich das vorstellen?
Das geschieht etwa dadurch, dass synaptische Verbindungen verstärkt oder geschwächt werden. Eine permanente Veränderung, die man synaptische Plastizität nennt. Die eher neue Erkenntnis ist, dass es auch im Gehirn neuronale Stammzellen gibt, die zu neuen Nervenzellen heranreifen können. Sodass es in einigen Teilen des Gehirns durchaus zu Neubildungen von Nervenzellen kommen kann – das passiert nicht nur bei jungen, sondern auch bei älteren Menschen. Das Nervensystem ist tatsächlich im permanenten Auf- und Umbau begriffen.

Auch nachts?
Ja. Stellen Sie sich das Gehirn als Medienzentrum vor, als Firma, wo in zwei Schichten gearbeitet wird. Tagsüber kommen Informationen und Aufträge rein, werden verarbeitet, gehen als Meldungen raus. Tagsüber brummt die Maschine. Abends kommt dann die zweite Schicht rein und sorgt für Ordnung, archiviert oder schmeißt weg, was unnötig ist. Nachts wird konsolidiert, gespeichert, geordnet. Der Sauerstoffverbrauch des Gehirns ist nachts kaum geringer als tagsüber.

Hirnforscher: "Tagsüber brummt alles"
Jürgen Sandkühler, Leiter des Instituts für Hirnforschung, am 23.04.2013 in Wien
Wie wichtig ist es, geistig in Bewegung zu bleiben?
Es gibt eindeutig wissenschaftliche Hinweise darauf, dass Menschen, die ein Leben lang geistig aktiv sind, ihre Kognitionsfähigkeiten besser und länger erhalten als jemand, der intellektuell, aber auch motorisch nicht gefordert ist. Das heißt nicht, dass man nur Knobelaufgaben lösen muss. Das Geheimnis ist die Kombination aus kognitiven Aufgaben, sozialen Bindungen und Bewegung. Ein aktives soziales Leben mit Freunden, Ausgehen, Diskutieren und sportlichen Aktivitäten, wie zum Beispiel Tanzen, ist wichtig. Ich möchte übrigens auch nicht die Videospiele verteufeln – da gibt es gute Effekte. Wii-Bewegungsspiele werden in der Rehabilitation eingesetzt.

Wie merke ich mir Sachen besser?
Man muss Dingen eine Bedeutung zu geben. Gedächtnismeister bauen Geschichten um Lerninhalte – eine Voraussetzung, um sich etwas zu merken.

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