Wo zahme Raubvögel alte Herzen beflügeln
Mirabelle ist atemberaubend. Wie ausgestopft sitzt die Schleiereule in ihrem goldbraunen Federkleid mit den grauen Tupfen und dem herzförmigen weißen Gesicht auf Humbertos Arm. Bibi, der Uhu, und Morgane, der Würgfalke, sind auch dabei. Nordbüscheleule Cybele ist erst fünf Monate alt. Die anderen haben bereits jahrelanges Training hinter sich und entsprechende Erfahrung.
Die zahmen Raubvögel sind als „Les Chouettes du Coeur“ im Einsatz. Als „Herzenseulen“ besuchen sie regelmäßig Senioren- und Behindertenheime in Burgund, um therapeutische Hilfe zu leisten. Es müssen nicht immer Hund oder Pferd, Katze oder Kaninchen sein. Auch Vögel können Körper und Seele beflügeln. Wichtig ist, dass die Tiere auf ihre Arbeit als Therapeuten vorbereitet werden und ihre Halter gut ausgebildet sind.
In Dijon kommt Bewegung in den Raum. Es ist kein Schauspiel, keine Flugshow unter Dach, sondern ein Miteinander von gebrechlichen Menschen und faszinierenden Tieren – „interaktives Mitwirken“, nennt das der Falkner. Die Heimbewohner dürfen die Eulen tragen, die einen streicheln den Uhu, andere lassen den Falken fliegen. Der außergewöhnliche Kontakt löst starke Emotionen aus, im besten Fall Momente des Glücks.
Alzheimer-Kranke
Bei manchen Patienten weckt die einzigartige Begegnung längst verschollene Erinnerungen. Zumindest beginnen die Menschen, die sonst keine Gesprächsbasis haben, miteinander zu plaudern. Aus dem Sesselkreis von in sich gekehrten Alten erhebt sich mit den Flügelschlägen mitunter lautes Stimmengewirr. „Wir konnten feststellen, dass gewisse Alzheimerkranke noch vierzehn Tage nach unserem Besuch von den Eulen redeten. Was fünf Minuten davor geschehen ist, wissen sie dagegen nicht mehr“, schildert ein Eulen-Dompteur.
Jahrelang trat Hubert Josselin mit seinen gefiederten Schützlingen in einem riesigen Vergnügungspark drei Autostunden von Paris entfernt auf. Bei dem „Tanz der Geistervögel“ stellte er fest, welchen Zauber das Spektakel speziell auf Menschen mit Behinderung ausübte. Als er 2007 in seine Heimat zurückkehrte, schloss sich der passionierte Falkner mit Gleichgesinnten zusammen und gründete „Les Chouettes du Coeur“.
Seither tun die Herzenseulen, allesamt in Gefangenschaft geboren und mit einem offiziellen Zertifikat versehen, Gutes. Sie locken psychisch und physisch Kranke aus der Reserve. Der Umgang mit den zarten Tieren stärkt ihr Selbstbewusstsein. Die Vögel machen Patienten stolz und vermitteln ihnen das Gefühl, dass Angst bewältigbar ist. Sie helfen, soziale Schwierigkeiten zu überwinden. Und öffnen ein Fenster in die reale Welt. Dabei mutet das Miteinander von Mirabelle, Bibi, Morgane und Cybele, herausgeputzt und edel, und den vom Leben gezeichneten Menschen in Morgenmantel und Pyjama ganz unrealistisch an.
Geht es um tiergestützte Therapie, ist Helga Widder erste Adresse. Die Hundetrainerin ist Gründungsmitglied von „TAT – Tiere als Therapie“, unterrichtet an der VetmedUni, prüft in Wien den Hundeführschein und ist selbst mit drei Therapiehunden unterwegs.
KURIER: Was können sich Laien unter tiergestützter Therapie vorstellen?
Helga Widder: Tiergestützte Therapie umfasst alle Maßnahmen, bei denen durch den gezielten Einsatz eines Tieres positive Auswirkungen auf das Erleben und Verhalten von Menschen erzielt werden können.
In welchen Bereichen kann tiergestützte Therapie helfen?
Die positive Wirkung im körperlichen und im seelischen Bereich ist vielfach in Studien nachgewiesen. So regulieren Hunde z. B. den Blutdruck, reduzieren Spannungszustände, fördern die Feinmotorik und die Kommunikation. Katzen erhöhen die Überlebenschancen von Herzpatienten. Kaninchen beeinflussen die Gehirnströme. Domestizierte Tiere lassen sich in fast allen Bereichen einsetzen.
Welche Tiere eignen sich besonders, welche nicht?
Hunde, Katzen, Kleintiere. Bei den Pferden geht es nicht mehr nur ums therapeutische Reiten, sondern auch um Bodenarbeit. Pferde können Spiegel sein. Auch Meerschweinchen bringen gute Ergebnisse. Achatschnecken können bei ADHS eingesetzt werden. Da müssen die Kinder einmal zehn Minuten stillhalten, bis sich das Tier zeigt, das ist ein anderes Körpergefühl. Ungeeignet sind Wildtiere. Therapie mit Delfinen, die nicht wegschwimmen können, ist ganz abzulehnen.
Überlastet diese Arbeit Tiere?
Die Tiere müssen unbedingt auf Patienten vorbereitet werden. Im Altersheim z. B. gibt es Geräusche und Gerüche, die Hunde verarbeiten können müssen. Sie müssen an Gehilfen, Rollstühle, Geschirrgeklapper gewöhnt werden, an enge Begegnungen, an die Körpersprache von Menschen im Allgemeinen und von Schwerkranken im Speziellen. Lernen die Hunde das nicht bis zur zwölften Lebenswoche kennen, sind sie kaum einsetzbar. Bei Katzen dauert die Sozialisierungsphase überhaupt nur acht Wochen.
Wie schaut es mit der Ausbildung der Tierhalter aus?
Tier und Mensch müssen ein Team sein, gleichberechtigte Partner. Jeder muss sich hundert Prozent auf den anderen verlassen können. Es sind oft schwierige Situationen. Natürlich müssen die Tierhalter ausgebildet sein. Auf der VetmedUni Wien z.B. gibt es einen Lehrgang zur Fachkraft für tiergestützte Therapie. Dabei lernen die Studenten auch, ihre Tiere zu lesen und die Belastbarkeit im Einzelfall zu beurteilen. Wir arbeiten aktuell an einem Berufsbild, das die Qualität sichern soll.
Zwergschafe sind fürMartins Projektebesser geeignet als Therapie-Pferde. „Die Tiere sind klein, reagieren aber genauso sensibel auf Körpersprache und ausgestrahlte Gefühle. Sie sind lernfähig und pflegeleicht“, erklärt die Ökopädagogin. Die Herdentiere, naturgemäß Experten im Umgang mit Nähe und Distanz, zeigen kleinen und großen Menschen, wie man aufeinander zu- und miteinander umgeht. Sie sind Spiegel der Seele und des Verhaltens. Die ruhigen Vierbeiner, von Lämmchentagen an darauf trainiert, eignen sich auch dafür, mit Alzheimer-Patienten, Demenz-Kranken, mit körperlich und geistig Behinderten in Kontakt zu treten. Martin: „Mir ist wichtig, die Qualität der Tiere zu schätzen. Wir können viel von ihnen lernen.“
„Tiergestützte Therapie ist eine sehr umfassende Therapieform, deshalb tritt ihre Wirkung so rasch ein“, sagt Schuhmayer. Er setzt die Anden-Kamele Oskar, Carlos und Asterix als soziale Sparing-Partner ein. In den Sitzungen fungieren die geruhsamen, toleranten Tiere als Eisbrecher oder Seelentröster. Patienten gewinnen aus dem Verhalten der Tiere Informationen über sich, ihre Umwelt, über Sicherheit und Bedrohung.
Freilich ist der Umgang mit den Vierbeinern nur ein Aspekt der Therapie. Gespräche sind mindestens ebenso wichtig. „Mir geht es nicht um Kuscheltierpädagogik“, sagt Schuhmayer: „Mir geht es um fundierte Intervention mit dem Ziel, heilende Ressourcen freizusetzen.“
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