Herz statt Hetze: Picknick der Begegnungen

Herz statt Hetze: Picknick der Begegnungen
Manchmal braucht es nur den ersten Dominostein. Wie in 48 Stunden aus dem Wunsch zu helfen ein riesiges Familien-Picknick wurde.

Es ist ein Gefühl, das einen nicht loslässt. Es sind Bilder, die immer wiederkehren. Von Familien, die ihre Existenz hinter sich lassen, ihre Freunde und Angehörige. Im Chaos, in der Verwüstung, im Horror. Sie quälen sich durch die Steppe, verstecken sich in Lastwagen, klammern sich an Boote auf dem Weg zu einem besseren Ort, wo sie Ruhe finden können. Nicht alle kommen an. Und die, die es schaffen, sind traumatisiert. Werden womöglich mit Schildern wie "Nein zu Asylantenheimen" empfangen.

Herz statt Hetze: Picknick der Begegnungen
FPÖ-Chef Strache behauptete im ORF, das Bild mit einem Flüchtlingskind in der Mitte sei "organisiert". Kurier-Fotograf Christandl wehrte sich mit Privatanklage. Nun soll Straches Immunität fallen
Dieses Gefühl, das einen nicht loslässt, sagt: Mach was. Irgendwas. Helfen, spenden. Diesen Menschen, die nichts haben als das Erlebte, etwas von ihrem Leid nehmen, ein Stück Glück geben, die Hand reichen, Nächstenliebe zeigen. Im Freundeskreis heißt es oft: "Man sollte etwas tun." Doch wer genau ist "man"? Man kann nur bei einem selbst anfangen.

Ein schneller Blick auf die Homepage von Hilfsorganisationen zeigt, wo dringend Unterstützung gebraucht wird. Sie suchen Lernhelfer für Asylwerber, Freizeit- und Sportbuddies für minderjährige Flüchtlinge – alles, was es dazu braucht, ist Zeit und den Willen dazu. Eine Begegnung etwa – von Mensch zu Mensch. Von Herz zu Herz. Das muss doch möglich sein.

Der Anfang

Montagmorgen, ein kurzer Anruf hat gereicht. In wenigen Minuten ist für Mittwochnachmittag ein Picknick mit ein paar Flüchtlingsfamilien vereinbart. Zwei Tage habe ich Zeit – und werfe die Frage in meinen Freundeskreis: Wer ist dabei? Wer macht mit? Jeder nimmt etwas zu essen mit, wir spielen, lachen, tratschen. Viele melden sich, wollen helfen, andere müssen arbeiten. Verena will eine Kinderschminkstation organisieren. Steffi schreibt, ich komme mit Essen, Getränken, Kind und Fußball. Florian will Getränke und Spielsachen bringen. Ich habe Zusagen von rund 20 Freunden mit Kindern.

Viele davon wollen die Einladung zum Picknick in sozialen Netzen teilen, um noch mehr Menschen an dem Event teilhaben zu lassen. Auch vonseiten der Flüchtlinge ist das Interesse groß – ich bekomme einen Anruf, dass sich noch einige Familien anhängen.

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Dienstag beschließe ich, eine öffentlicheFacebook-Einladungauszuschreiben. Ich nenne sie#Machwas-Picknick. Die Idee: Wenn jeder ein bisschen mehr als für sich selbst mitnimmt, sind alle versorgt. Drei Stunden später habe ich 20 Zusagen, 800 Leute sind eingeladen. Es melden sich fremde Menschen, die mit Kuchen, Obst und Getränken kommen wollen. Vor dem Schlafengehen sind es fast 2000 Einladungen und 77 Zusagen.

Am Mittwoch melden sich Martin und Katharina, sie kommen mit Riesenseifenblasen. Fa-Young hat ein Asia-Restaurant und will Nudelboxen bringen. Das Gefühl ist überwältigend. Aus dem Man muss helfen ist ein Wir machen was geworden.

Wir machen was

Mittwochnachmittag. Es ist so weit, ich mache mich mit zwei Picknickdecken, einer großen Schüssel Nudelsalat, Papptellern, Besteck und Gummibärchen auf den Weg zum Treffpunkt: Jesuitenwiese im Wiener Prater. Die ersten Picknicker trudeln ein, bald sind wir ein Decken-Gelage. Die Flüchtlingsfamilien verspäten sich etwas – die meisten brauchen erst Fahrscheine für die Öffis. Je nach Unterbringung haben sie 40 Euro Taschengeld pro Monat oder 5,50 Euro am Tag zur Verfügung.

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Dann sind sie da. Zwei große Gruppen, rund 70 Frauen, Männer, darunter viele Kinder. Sie kommen auf uns zu, sind aus Syrien, aus dem Irak, Afghanistan, Tschetschenien, Somalia. Schüchtern, unbeholfen nähern sie sich der Picknick-Runde. Ein Bub läuft auf mich zu und fragt: "Dürfen wir Fußball spielen?" Seine Familie wartet seit einigen Monaten auf einen Asylbescheid, die Kinder können sich schon gut auf Deutsch verständigen. Jemand schnappt sich einen Ball und beginnt mit den Kindern zu spielen.

Ich gehe auf die Gruppe zu: "Hallo, ich bin Laila, my name is Laila, welcome!" Ich zeige auf die Decken und bitte sie, sich hinzusetzen, andere Picknicker schnappen sich Getränke und Kuchen, um sie unseren Gästen anzubieten. Erste Annäherungsversuche. Zwei Männer machen Fotos. "I am Safar, I am from Irak", stellt sich einer vor und bittet mich um ein gemeinsames Bild. Safar ist arabisch und bedeutet der Reisende.

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Er war Security-Beamter im Irak und hat Bagdad vor vier Monaten verlassen, seit einem Monat ist er in Österreich. Safar zeigt mir Bilder aus seiner Heimat – zuerst von üppigen Festen, dann Fotos von seinem Bus. In der Mitte klafft ein riesiges Loch, Einschusslöcher auf der Seite. Mit seinen Händen zeigt er eine Explosion, jemand hat ihm eine Waffe an den Kopf gehalten, ihn K.O. geschlagen, Blut. Er hat es dort nicht mehr ausgehalten, musste weg.

Rund um uns laufen die Kinder mit Luftballons, einige andere machen begeistert Seifenblasen oder lassen sich das Gesicht anmalen. Auch die Erwachsenen wollen angemalt werden, die meisten bekommen eine Katze auf den Unterarm. Die Gruppen haben sich inzwischen durchmischt. Freude hat eine universelle Sprache.

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Ich gehe weiter zu Rojin und ihrem Sohn. Sie sind aus Syrien und haben Damaskus verlassen, als die Stadt bombardiert wurde. Sie ist studierte Soziologin, ihr Mann ist Musiker. "Es war sehr schwierig am Anfang, aber jetzt geht es uns gut", erzählt sie auf Deutsch. Sie hat gleich begonnen, unsere Sprache zu lernen und engagiert sich jetzt bei einem Projekt der Caritas.

Ein afghanischer Flüchtling fragt, ob wir hier in Österreich unsere Nachmittage immer so schön verbringen. Er ist seit 11 Tagen hier. In dem Wohnhaus an der Rossauer Lände, wo er mit 400 anderen Flüchtlingen untergebracht ist, verbringen sie die meiste Zeit mit Warten. Auf einen Bescheid, auf die Möglichkeit, etwas tun zu können, Normalität zu leben. Im Winter melden sich viele zum Schneeräumen. Als Saisonarbeiter dürfen Flüchtlinge arbeiten – wenn ein Arbeitgeber sie nimmt.

Ein schöner Nachmittag, stimmt. Ich antworte ihm: "Nein, wir machen so was leider nicht oft. Sollten wir aber."

Sehr geehrte User und Userinnen, wir bitten um eine sachliche Diskussion in unseren Foren. Menschenverachtende Äußerungen werden nicht toleriert. Dieses Diskussionsforum wurde abgestellt. Danke.

Es muss nicht immer in der großen Gruppe sein – jeder kann Flüchtlingen dabei helfen, Deutsch zu lernen oder mit einer kleinen Gruppe Jugendlicher schwimmen gehen oder Fußball spielen. Hilfsorganisationen suchen laufend Freiwillige, die sich Zeit nehmen können – wie oft und wie lange man hilft, wird vorab vereinbart.
Freiwilliges Engagement bei der Caritas: www.zeitschenken.at Tel.:01/259 20 49
Von Lernbetreuung über Freizeitangebote bei der Diakonie: fluechtlingsdienst.diakonie.at/helfen Tel.: 01/402 67 54 – 46
Caritas Spendenkonto
Erste Bank
AT23 2011 1000 0123 4560
GIBAATWWXXX

Sachspenden

Derzeit werden vor allem Hygieneartikel (Handtücher, Waschzeug, Zahnbürsten, etc.) sowie Bettwäsche benötigt. Auch für Kinderkleidung und Windeln besteht große Nachfrage. Infos zu Abgabestellen und aktuellen Bedürfnissen unter: www.caritas.at oder auch hier: fluechtlingsdienst.diakonie.at/ich-moechte-helfen/sachspenden

„Ich habe Platz“

Eine private Initiative bietet Unterstützung für jene, die eines oder mehrere freie Zimmer zur Verfügung haben und Flüchtlinge aufnehmen wollen. Dabei wird auch die Finanzierung der Miete organisiert. Zuerst gibt es ein Kennenlernen, ob die Chemie passt, dann wird der Mietvertrag unterschrieben. Alle Infos unter: www.fluechtlinge-willkommen.at

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