Wir überfördern unsere Kinder

Wir überfördern unsere Kinder
Buchautor Herbert Renz-Polster warnt davor, die Kindheit nur als Vorbereitung auf den Job zu sehen.

Auf unseren Kindern lastet zu viel Druck - die Eltern schauen mehr auf die Trends als auf ihre eigenen Kinder. Darin sind sich viele Experten einig. Nach US-Highschoollehrer David McCullough steigt jetzt auch Kinderarzt und Buchautor Herbert Renz-Polster auf die Erziehungsbremse. David McCullough war der Lehrer, dessen Ansprache an seine Abschlussklasse millionenfach auf Youtube geschaut wurde. Er schrieb danach sein Buch "Ihr seid nichts Besonderes". In dem kritisiert er Eltern und Pädagogen, dass Kinder zu viel Programm haben und zu wenig Zeit und Freiheit, um ihre Persönlichkeit zu entwickeln.

"Kinderversteher" Renz-Polster geht noch weiter: "Wenn das Kind seinen Zahlenraum noch im Kindergartenalter auf 50 aufpumpt, pocht das Elternherz in fester Gewissheit: Aus meinem Kind wird einmal ein erfolgreiches Mitglied der Gesellschaft, Jetzt muss es nur noch rasch mehrsprachig werden", schreibt er in seinem Buch.

Heute seien schon bei den Kleinen Durchsetzungsvermögen, Individualität, Teamfähigkeit und natürlich schnel erkennbare Intelligenz gefordert. Entsprechende Programme stehen bei den Eltern hoch im Kurs.

Bildung im Kleinkindalter hält er für ein zweischneidiges Schwert, sie diene vor allem zur Standortsicherung, nicht zur Entwicklung des Kindes. Daher würde in Deutschland besonders die Industrie den Takt in der Frühförderung vorgeben. So wie hierzulande die Industriellenvereinigung mit ihrem Schulkonzept neuen Schwung in die Bildungslandschaft bringen möchte. Mit starker Unterstützung der Wirtschaft wurde in Deutschland das Projekt "Haus der kleinen Forscher" umgesetzt. Dabei werden Kindergärten zertifiziert, die den Kindern Naturwissenschaften näher bringen wollen und etwa viele Experimente in den Kindergartenalltag einfließen lassen. Dabei, ärgert sich Renz-Polster, könnten Kinder genau so viel lernen, wenn man mit ihnen Essen zubereiten würde. Doch dieses kommt aus riesigen Großküchen und bietet den Kindern kein Betätigungsfeld.

"Die Kindheit ist nur die Strecke, auf der sich die Kinder für den Job warmlaufen"

In dieser Wettbewerbsgesellschaft würden sich die Eltern nicht mehr trauen, auf ihren Instinkt zu hören und ihren Kindern Freiräume zu lassen. "Statt Spielen steht jetzt Förderung auf dem Programm, statt Kinderbande gilt das Kursprogramm. Es mag uns selbst anrühren, wenn wir unseren Kindern von Abenteuern der eigenen Kindheit erzählen - und doch tun wir alles, damit deren Kindheit gerade so nicht aussieht. Die Kindheit ist nur die Strecke, auf der sich die Kinder für die Kinder für den Job warmlaufen", ärgert er sich.

Spiele müssten Lernspiele und intelligent sein. Bei der Bildungsmesse DIDACTICA gab es einen Vortrag zum Thema "Die kindliche Bildungsbiographie optimieren". So werden die kleinen Kinder zu perfekten Vertretern der Wissensgesellschaft erzogen.

Er beobachte Entwicklungen, die Grund für Diskussionen seien: "Bildungsorte" für Kleinstkinder, Drang zu früher Medienkompetenz, ständige Dokumentation des Entwicklungsstandes, Ganztagsschulen und Schulschwerpunkte, die sich nach dem Arbeitsmarkt-Bedarf richten. Auch die zunehmende Übertragung des Bildungsauftrages an externe Experten wie Sprachtests, Förderprogramme, Ergotherapie gibt ihm zu denken: "Dabei wissen wir, dass Kinder vor allem in vertrauten Beziehungsstrukturen lernen können", ärgert sich Renz-Polster.

Lernen durch Erlebnisse

Wichtig ist für ihn die "Entwicklung der Fundamentalkompetenzen". Diese "Entwicklungsschritte seien "die Grundlage einer starken, selbstständigen Persönlichkeit" und die Voraussetzung eines "unternehmerischen" Zugangs zu Welt. "Sie können dem Kind nicht in didaktischer Absicht vermittelt werden. Man kann ein Kind nicht darüber belehren, wie es innerlich stark wird. Auch Mitgefühl kann man einem Kind nicht beibringen. Und soziale Kompetenz lässt sich erst recht nicht anerziehen. Genauso wenig kann man sich Kreativität erarbeiten - ja, man kann sie nicht einmal üben." Für all diese Eigenschaften wünscht sich Renz-Polster, dass die Eltern sich weniger von außen dreinreden lassen und ihren Kindern die nötige Freiheit geben: "Diese Schätze sind allesamt Erfahrungsschätze. Sie können von niemandem anderen als dem Kind selbst gehoben werden - das Fundament der kindlichen Entwicklung beruht nicht auf geleitetem Lernen, sondern auf Eigenerfahrung."

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