Zwei ungleiche Schwestern: "Zuerst hat sie sich normal entwickelt“
Wenn sie mit ihrer kleinen Schwester Ena fernsieht, könnte man fast glauben, sie ist ein ganz normaler Teenager. Die zwei Mädchen kichern sogar an denselben Stellen. Doch Asja ist anders. Die 14-Jährige kann nicht sprechen, nicht sitzen oder gehen und auch nicht ohne Hilfe essen.
Das war nicht immer so. „In der ersten Zeit hat sie sich ganz normal entwickelt“, erzählt ihre Mutter Selma. „Sie konnte selbst essen, ist gekrabbelt und hat sogar erste Worte gesprochen.“ Doch der klinischen Psychologin fiel irgendwann auf, dass ihre Tochter nicht auf ihren Namen reagiert. „Sie hat ständig ins Licht geschaut und sich nur für Spielzeug interessiert, das Geräusche macht.“ Die Ärzte versuchten zu beruhigen, schoben die Signale auf eine Entwicklungsverzögerung und rieten der Familie abzuwarten.
Warten aufs Labor
Die Verzögerungen wurden immer deutlicher, Asja begann, sich ständig die Hände zu reiben und verdrehte die Augen. Sie wurde auf das Rett-Syndrom getestet – das Warten auf die Labor-Ergebnisse dauerte zermürbende acht Monate. „Ich war schwanger mit meiner zweiten Tochter und hatte Angst, dass sie auch was haben könnte, weil es gehäuft bei Mädchen auftritt.“ Die kleine Ena stand daher in ihren ersten Jahren unter besonderer Beobachtung ihrer Eltern. Doch das Rett-Syndrom wird nicht genetisch vererbt, sondern tritt ganz zufällig auf. Ena hat sich ganz normal entwickelt.
Inzwischen versuchte die Familie Asja jede verfügbare Therapie zu ermöglichen – von Pferdetherapie über Angebote im Ausland bis zu Alternativmedizin. Asjas Vater Salih, der jetzt als OP-Assistent in einem Kinderspital arbeitet, machte früher viele Überstunden, um das alles zu finanzieren.
Das ging so lange gut, bis sein Körper nicht mehr mitgemacht hat: Operation, Intensivstation, Lebensgefahr. Beinahe wäre Selma mit den zwei Kindern alleine gewesen. Seither strampelt sich Salih nur noch am Fahrrad ab, nicht mehr vielen Überstunden und weiß: „Zeit ist das Einzige, das man nicht kaufen kann.“
"Wir sind erschrocken, was da auf uns zukommt"
Mit der eindeutigen Diagnose von Asja wandte sich die Familie an die Rett-Syndrom-Gesellschaft, um ihre Erfahrungen mit anderen auszutauschen. „Dort haben wir ältere Mädchen mit Sonden gesehen und sind erschrocken, was da auf uns zukommt. Damals konnte Asja noch selbst stehen, hatte nicht ständig epileptische Anfälle und konnte normal liegen.“
Heute sieht der Alltag anders aus: Wegen ihrer hochgradigen Skoliose biegt sich ihr Oberkörper stark zur Seite. Sie braucht ein Mieder oder einen speziellen Sitz, damit selbstverständliche Körperfunktionen wie ihre Atmung funktionieren. Wir haben seit 14 Jahren keine Nacht durchgeschlafen“, erzählt Salih, während er liebevoll über den Rücken von Asja streicht. Die ganze Familie hat so einen leichten Schlaf, dass alle aufspringen, sobald sie einen Anfall bekommt. „Wenn sie bei einem epileptischen Anfall erbricht, erstickt sie.“ Während die Eltern Asja und das Bett reinigen, holt ihre zehnjährige Schwester Ena frische Wäsche aus dem Kasten.
Trotz dieser Herausforderungen sind Selma und Salih, die 1992 als Jugendliche aus Bosnien nach Österreich kamen, irrsinnig dankbar dafür, hier zu leben. „Es ist ein riesiges Glück für uns. Italien oder Frankreich sind bei Weitem nicht so behindertengerecht.“ In ihrer alten Heimat waren sie trotzdem schon seit Jahren nicht. „Was machen wir, wenn sie in Bosnien einen Anfall hat und medizinisch versorgt werden muss? Das geht nicht. Hier leben und arbeiten wir. Hier ist unser Lebensmittelpunkt.“
Asja braucht einen speziellen Stuhl, um sitzen zu können, aus ihrem bisherigen ist sie herausgewachsen. Mithilfe von Spenden soll ein neuer Spezialsitz finanziert werden.
Spendenkonto: Stiftung Kindertraum, IBAN: AT10 6000 0000 9011 8500, Kennwort: Asja
Keine Pläne
An die Zukunft denkt die Familie jetzt nicht. „Wir leben von einem Tag zum nächsten und trauen uns nicht, lange Pläne zu machen.“ Eine kleine Hoffnung hat Mama Selma, denn in Deutschland wird viel an Gentherapien geforscht. „Wir hoffen, dass sich mithilfe einer solchen Therapie die Situation zumindest ein bisschen verbessert. Es wäre schön, wenn sie weniger Anfälle hätte und ein paar Wörter reden könnte. Damit sie zumindest sagen kann, was ihr wehtut. Jetzt weint sie und wir wissen nicht, warum.“
Inzwischen zeigt Asja immerhin, was ihr gefällt. Am Handy sieht sie sich mit ihrer Schwester Ena Serien mit Teenies, Pferden oder Meerjungfrauen an – so wie andere Jugendliche. „Kinderlieder mag sie am liebsten“, erzählt Ena.
Zum Abschluss zitiert Vater Salih einen bosnischen Schriftsteller: „Das Leben ist eine große Prüfung. Jeder versucht abzuschreiben, aber das funktioniert nicht, weil jeder andere Fragen bekommt.“
Das zerstörerische Rett-Syndrom
Benannt nach dem Wiener Kinderarzt Andreas Rett, handelt es sich um eine neurologische Entwicklungsstörung, die meist zwischen dem 7. Lebensmonat und dem 2. Lebensjahr eintritt. Die Genmutation ist nicht genetisch vererbbar, sondern tritt zufällig auf. Betroffen sind fast nur Mädchen. Das Kind verliert bereits erlernte Fähigkeiten – die Folge ist schwere körperliche und geistige Behinderung. In Österreich werden jährlich drei bis fünf Kinder mit Rett-Syndrom diagnostiziert.
Seit 1998 erfüllt die Stiftung Kindertraum Kindern mit Behinderungen oder schweren Krankheiten Herzenswünsche. Finanziert werden diese durch Privatspenden, Unternehmensspenden sowie Benefizaktivitäten.
Helfen: Asja braucht einen speziellen Stuhl, um sitzen zu können, aus ihrem bisherigen ist sie herausgewachsen. Mithilfe von Spenden soll ein neuer Spezialsitz finanziert werden.
Spendenkonto: Stiftung Kindertraum, IBAN: AT10 6000 0000 9011 8500, Kennwort: Asja
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