Zukunftsforscher: „Wir müssen der Zukunft mutiger begegnen“
Gerade noch glaubten wir, die Corona-Pandemie endlich im Griff zu haben, da rücken Korruptionsskandale, der Krieg in der Ukraine – ausgelöst von Russland – und die damit verbundene Energiekrise in den Vordergrund. Im KURIER-Gespräch erklärt der Vorarlberger Zukunftsforscher Klaus Kofler, was diese Herausforderungen mit sich bringen und wie sie einzuordnen sind:
KURIER: Zu Beginn des vorigen Jahres waren wir noch vorsichtig optimistisch, doch dann ist der Krieg in der Ukraine ausgebrochen und hat vieles im Leben der Menschen durcheinandergewirbelt. Werden uns so große Konflikte noch länger beschäftigen?
Klaus Kofler: Davon gehe ich absolut aus. Wir werden uns auch in naher Zukunft auf eine Reihe von Konflikten im kleineren oder größeren Bereich einstellen müssen. Das liegt zum einen an einem Aufbegehren von Gesellschaften, die sich entfalten wollen.Es geht aber auch um wirtschaftliche Ressourcen, weil sie weniger und unzulänglicher werden. Und es geht natürlich auch um eine gewisse Dominanz in der Zukunftsorientierung auf unseren Weltmärkten. Wir sehen das heute schon zum Beispiel bei Elektroautos: Mittlerweile werden Autos verkauft, die irgendwann 2024 geliefert werden oder eben auch nicht. Das ist nirgends festgeschrieben.
Wenn wir nach Europa blicken, dann sehen wir, dass auch hier nicht alles eitel Wonne ist. Es gibt viele Korruptionsfälle – aktuell im EU-Parlament, wo hochrangige Politiker hohe Geldsummen angenommen haben. Wird das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik nicht gefährlich fahrlässig aufs Spiel gesetzt?
Ich glaube nicht, dass diese Vorfälle komplett neue und andere Bilder in den Köpfen der Menschen erzeugen. Diese Korruption und diese Affären hatten wir eigentlich immer schon. Das kann man auch in der Geschichte zurückverfolgen. Es wäre völlig falsch, wenn man Politiker jetzt grundsätzlich als korrupt abstempelt.Man muss aufpassen, dass man hier nicht nur diese eine Gattung so darstellt, als wären sie die, die alles andere in den Sumpf ziehen. Wir haben in der Politik sehr gute Menschen mit richtig guter Zukunftsgestaltung. Und ich hoffe darauf, dass wir auch in der Politik wieder einen neuen Typus kennenlernen. Ich glaube nicht, dass wir Korruptionsskandale als Maßstab einer nicht funktionierenden Politik im Sinne der Gesamtbetrachtung heranziehen sollten.
Das Interview als Podcast hören:
An Herausforderungen für die Politik mangelt es auf jeden Fall nicht. Gerade das vergangene Jahr hat gezeigt, dass es auf dem Energiesektor einen massiven Wandel braucht. Wird dieser Wandel beschleunigt werden?
Unser permanentes Streben nach Produktivität und vor allem Profitabilität hat dazu geführt, dass wir den Stromverbrauch von 1970 bis heute weltweit in etwa vervierfacht haben.Das hat damit zu tun, dass wir in einer ungeheuer komplexen Welt leben und diese Komplexität in einem großen Maß permanent zunimmt. Wenn wir uns heute über all diese Dinge unterhalten, wie beispielsweise Digitalisierung, Automatisierung, Mobilität, Elektromobilität, dann werden wir das mit unseren alten Energievorstellungen gar nicht mehr stemmen können.
Aber müssen wir dann nicht unterbrechen? Müssen wir nicht auf gewisse Sachen verzichten lernen?
Werden wir. Da stimme ich Jeremy Rifkin zu, der in seinem aktuellen Buch „Das Zeitalter der Resilienz“ schreibt: Wir bewegen uns gerade raus aus dem Zeitalter der permanenten Effizienz und steigen ein in das Zeitalter der Resilienz. Das heißt, wenn wir dieses Effizienzstreben nicht grundlegend infrage stellen, wenn wir aus den eingefahrenen Strukturen nicht herauskommen, dann werden wir unweigerlich den Karren an die Wand fahren.
Sie sprechen hier auch den Klimawandel an. Der würde ja von einem Wandel am Energiesektor profitieren. Aber reicht das noch?
Wir werden den Klimawandel nur in den Griff bekommen, wenn wir uns im Klaren sind, dass wir die Dinge, die wir heute klimatechnisch schädlich betreiben, grundlegend in eine neue Form bringen. Es wird nicht reichen, sie in irgendeiner Form zu optimieren.Wir werden sie neu denken lernen müssen. Das wird auch ausgehend vom Menschen an sich eine große Veränderung fordern. Wir werden uns in einem ganz großen Maße neu erfinden müssen.
Vor einem Jahr hat uns auch die Corona-Pandemie noch sehr beschäftigt. Jetzt ist das etwas in den Hintergrund gerückt. Nimmt die Pandemie nicht mehr den Raum ein oder haben wir einfach gelernt, mit solchen Erkrankungen besser umzugehen?
Für mich sind nach Corona zwei große Erkenntnisse geblieben: Die Menschen haben mit großen und unbekannten Veränderungen, die sie nicht abbilden können, ein großes Problem. Das hat viel mit Kommunikation zu tun. Dann werden Dinge verzerrt, falsch oder eben gar nicht mehr wahrgenommen. Am Ende unterhält man sich nicht mehr über Fakten, sondern nur noch über subjektive Wahrnehmung und persönliche Ängste. Der zweite Punkt ist, dass wir bei großen Problemen aus heutiger Sicht nicht in der Lage sind, konstruktiv kritische Diskurse zu führen. Das wäre aber so wahnsinnig wichtig. Wir sollten aufpassen, dass wir nicht in einer Art Affektkommunikation landen, vor allem in solchen Zeiten. Denn irgendwie hatte man das Gefühl, dass nicht mehr das bessere Argument, sondern das Argument mit dem größeren Erregungspotenzial einen höheren Stellenwert hatte.
Welche Rolle spielen die sozialen Medien? Ein Kritikpunkt ist ja, dass Meldungen verkürzt wiedergegeben werden und man gar nicht in einen längeren Diskurs kommt. Dann zählt das lauteste Argument am meisten.
Die sozialen Medien haben hier eine massive Rolle, vielleicht sollten wir einmal über Sozialarbeit in den sozialen Medien nachdenken.
Die Menschen trauen sich in sozialen Medien auch mehr, über ihre mentalen Probleme zu reden. Gleichzeitig sieht man, dass bei vielen die Unsicherheit immer größer wird. Vielleicht auch, weil man stetig mit Negativschlagzeilen konfrontiert ist. Wie kann man eine positivere Sicht auf die Zukunft bekommen?
Die, die Angst machen, verweigern die Zukunft. Wir sollten dieser Zukunft wieder eine Chance geben, ihr wieder mutig begegnen. Wir sollten sie vielleicht als eine Art Material verstehen lernen. Denn nur wenn wir etwas verstehen, dann lernen wir auch, es zu bearbeiten und zu gestalten. Und diese Zukunft hat ungeheure Möglichkeiten. Ich glaube nicht, dass die Welt nicht voller Probleme ist. Eigentlich ist sie ein Sinnbild von einer Vielzahl von Lösungen. Wir müssen uns nur wieder diesen möglichen Lösungen öffnen.
Bush jr. hat es einmal in einem wunderbaren Satz beschrieben: „Wir hatten noch nie so viel Geld und so wenig Zukunft.“ Das ist eigentlich ein komisches und verdrehtes Verhältnis, weil sich dieser Bedeutungsverlust der Zukunft leider breitgemacht hat. Und das liegt zudem auch daran, dass die Menschen Angst davor haben, etwas verlieren zu können, das sie vielleicht gar nicht brauchen.
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