Schulturnen: Wo die „Hasen“ wurln und Kinder viel lernen können
„Sitz’ Hase!“ – „Turn’ Hase!“ – „Lauf’ Hase!“ Wehe, wenn die 51 „Hasen“ der 3D und der 2C losgelassen werden. Dann wurlt es im Turnsaal der öffentlichen Volksschule in der Prandaugasse in Wien-Kagran. Dann laufen sie, dann kreischen sie, lachen sie, dann schwitzen sie.
Es braucht gar nicht viel, um Acht- und Neunjährige vom Ruhighalte- in ihren Bewegungsmodus zu befördern. Das wissen auch Agnieszka Staniczek und Gabor Geier, die im Rahmen eines österreichweiten Pilotprojekts für ausgewählte Volksschulen engagiert wurden, um hier stundenweise zusätzliche Bewegungsimpulse zu setzen.
„So sehr in ihr Spiel vertieft, fällt ihnen gar nicht auf, wie gut sie sich aufwärmen“, freut sich Bewegungscoach Gabor Steiner. „Dabei holen wir auch jene ab, die sonst nicht so leicht für den Sport zu begeistern wären“, fügt Kollegin Agnieszka Staniczek hinzu. Die Beiden teilen sich heute den Turnsaal mit ihren Klassen, verstehen sich gut, lassen gemeinsam üben.
Das ist auch deshalb perfekt, weil er vom Sportdachverband ASVÖ und sie vom Sportdachverband ASKÖ entsandt wurde. Früher undenkbar, zeigt das auch, wie einig sich die Verbände heute in Sachen tägliche Bewegung sind.
Lernen in Bewegung
Auch Regina Neumaier, die seit 2011 die Volksschule in Kagran als Direktorin leitet, lobt das Zusatzangebot dank des Pilotprojekts: „Unsere beiden Bewegungscoaches sind hoch motiviert, sie harmonieren gut und helfen uns, unsere Schulkinder noch mehr zu bewegen.“
Exakt 308 Schüler und Schülerinnen in 14 Klassen haben Neumaier und ihr 21-köpfiges pädagogisches Team laut Statistik zu betreuen. Sie sind in guten Händen, und das schon seit Längerem. Das Thema Kindergesundheit ist in dieser Schule abseits der großen Politik nicht erst seit gestern ein zentrales Thema.
Regina Neumaier weiß, wovon sie spricht: „Es gibt Kinder, die lernen am Besten in der Bewegung – durch die Bewegung. Ich war so ein Kind. Damit habe ich unter anderem meine Mutter zur Verzweiflung gebracht. Sie wollte immer, dass ich bei Tisch sitze und lerne. Aber ich habe damals schon am Besten im Gehen gelernt.“
Die Erfahrungen der Schulleiterin fließen in ihre Schule ein. Sie erzählt von Kooperationen mit lokalen Sportvereinen, die sich bei Schulfesten präsentieren und in die Regelturnstunden ihre Trainer entsenden können.
Die Bewegung lernen
Die schon seit Jahren enge Zusammenarbeit mit einem benachbarten Eishockeyklub hat dazu geführt, dass einige Absolventen der Volksschule heute als junge Talente in Farmteams in Kärnten, in Kanada und Schweden ihre ersten Meriten verdienen.
Der Pädagogin Neumaier ist es aber ebenso wichtig, jene Kinder mehr zu bewegen, die den Zugang zum gesünderen Leben noch nicht gefunden haben. Und da gibt es auch hier in Kagran doch einige, was sich auch beim Spielen mit den Bällen offenbart.
Wenn man jedoch das bekannte alte Sprichwort umdreht, dann kann Hans alles, was er als Hänschen gelernt hat: In der Tat sind bei einigen Kindern reale Fortschritte nach nur einer Turnstunde zu erkennen.
Die neunjährige Charlotte bringt beim Verlassen des Turnsaals noch einen anderen wichtigen Aspekt ins Spiel: „Es macht mir immer einen großen Spaß, wenn wir zur Abwechslung turnen gehen.“ Klassenkollege Jakob nickt zustimmend. Sein Gesicht glüht leicht. Kein Wunder, er hat auch heute wieder als „Hase“ viele Meter gemacht.
Arbeit in Bewegung
Für Agnieszka Staniczek ist ihre Arbeit in der Schule in mehrfacher Hinsicht Gewinn bringend: „Zunächst erhalte ich von den Kindern schon während der Stunde viele positive Rückmeldungen, oft bedanken sie sich sogar.“
Nach ihrer Mutterkarenz ist die Arbeit im Auftrag der ASKÖ für die ausgebildete Sportwissenschaftlerin auch „ein willkommenes Sprungbrett zurück in den Beruf“. Motivierte Menschen wie sie und ihr Kollege Gabor Geier tun dem Schulsystem gut – und natürlich den Kindern. Am Ende der Stunde liegen sie am Boden. Mit ruhigem Atem, geschlossenen Augen. Es gebührt allen Applaus.
Es war nach dem Krieg, als in Österreich die „schlechte Haltung der jungen Leute“ für Diskussionen sorgte: Damals ertönte erstmals der Ruf nach „täglicher Leibeserziehung“.
In den 1980er-Jahren löste das Bundesheer Alarm aus, aufgrund der verheerenden Werte der Stellungspflichtigen. Um 2000 wirbelten Studien zu Übergewicht und zu Diabetes bei Kindern und Jugendlichen viel Staub auf, ohne dass deshalb die „tägliche Turnstunde“ eingeführt worden wäre.
Seit Herbst, also seit dem Start des Schuljahrs, läuft nun an ausgewählten Schulen ein Pilotprojekt, das in Richtung „tägliche Bewegungseinheit“ zielt. Grundsätzlich erfreulich, sagen Kritiker, fragen sich aber auch, warum es dieses Angebot nicht schon längst landesweit gibt.
Das Gros der Kinder in Österreichs Schulen darf sich weiterhin nicht täglich bewegen. An der Frage, ob das gesund ist, kann es wohl nicht liegen, die wurde schon in der Nachkriegszeit von der Wissenschaft beantwortet.
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