Psychologische Farbenlehre: „Weiß macht einsam“

Man in underwear painting the walls of a room
Forscher können der Vorliebe der Österreicher für weiße Wände nichts abgewinnen: In der Tat ist Weiß keine Farbe, sondern ein entsetzlicher Zustand.

Wahrscheinlich heißt es nicht umsonst farben-froh. Jean-Gabriel Causse jedenfalls lässt an der westlichen Vorliebe für farblos getünchte Räume kein gutes Haar: Weiß tauge nur für Klos und Industrie-Küchen. „Es ist eine gute Farbe für Orte, an denen ein Gefühl von Hygiene wichtig ist. In unbunten Büros aber schwindet die Produktivität und die Krankenstände erhöhen sich“, meinte der französische Farbdesigner in seinem Buch Die unglaubliche Kraft der Farben.

Ganz ähnlich urteilt der deutsche Designer und Professor für Farbgestaltung, Wahrnehmungswissenschaften und Trendscouting, Axel Venn: „In der Tat ist Weiß keine Farbe, sondern ein entsetzlicher Zustand. Da herrscht farblose Stille. Früher war Weiß immer nur eine Stallfarbe, die das Ungeziefer hintanhalten sollte.“ Ob Österreich ein Land der weißen Wände sei? „Das trifft es schon. Alles ist steriler geworden“, meint Venn. „Es ist ein selbst gewählter Verzicht.“

Geschmäcklerisch? Mitnichten. Das belegen Studien aus Neurowissenschaft und Psychologie. Und da lernen wir Erstaunliches: So haben Forscher im Hirn herumgekramt und festgestellt, dass ganz unterschiedliche Regionen aktiviert werden, je nachdem, ob unser Oberstübchen von kalten oder warmen Farben beleuchtet wird. Augen schließen nützt übrigens nichts: Die Haut besitzt eine vergleichbare Lichtempfindlichkeit wie die Retina.

Farbenreich

Daher sollte es uns nicht länger wundern, dass die Farbe Rot – naturwissenschaftlich gemessen – unseren Puls beschleunigt und Blutdruck, Hautwiderstand sowie die Muskelkraft erhöht. Um ganze 13,5 Prozent. Bei manch einem auch die Schöpfungskraft: Richard Wagner zum Beispiel hat angeblich sämtliche Opern in roten Zimmern komponiert.

Großen Einfluss haben Farben auch auf die gefühlte Zimmertemperatur: Ein rot-oranger Arbeitsraum wird um 3 bis 4 Celsius wärmer empfunden als ein blau-grüner. Es ist also – besonders wenn Energiekrise angesagt ist – eindeutig nicht egal, ob wir uns in Orange oder Grün hüllen und unser Schlafzimmer in Blau oder Rot ausmalen.

Sogar die Zeit wird durch Farben beeinflusst: In einem Raum mit warmen Wandfarben scheint sie schneller zu vergehen. Andererseits kommt uns vor dem Computer-Bildschirm die Downloadzeit kürzer vor, wenn sie von kalten Farben wie blau begleitet wird.

Dass Farben auf Menschen wirken, weiß man schon lange, sagt Axel Buether, einer der weltweit führenden Farbexperten von der Universität Wuppertal: „Genau das ist nämlich ihre biologische Funktion. Farben sind dazu da, unseren Körper auf erwartete Ereignisse einzustellen. Das funktioniert über Emotionen, aber auch über Hormone.“ Kaum verwunderlich, dass der Designer Venn immer wieder beobachtet, „dass man in weißen Räumen nicht gut plaudern kann. Die laden nicht zum Dialog ein, im Gegenteil: Weiß macht einsam.“

Trotzdem wünschen sich aber immer noch 95 Prozent aller Auftraggeber weiße Wände vom Maler, weiß Buether: „Wer modern sein will, setzt auf Weiß, ohne sich zu fragen, welche Wirkung das auf die Menschen hat.“ Das habe viel mit Vorurteilen über die klassische Moderne zu tun. „Die war zwar außen weiß, aber nie innen. Designer wie Le Corbusier oder Adolf Loos hätten niemals alles weiß gestrichen.“

Farbenblind

Buether, der gerade an der Farbgestaltung für eine Linzer Klinik arbeitet, weiß auch, wann die Farblos-Vorliebe über die Welt kam: „Es ist etwa 150 Jahre her, seit Spitäler weiß wurden. Man erkannte die verheerende Wirkung von Bakterien und Viren und dass viele Menschen an den Verunreinigungen starben. Daraufhin wurden Kliniken gefliest und weiß ausgemalt. Sogar die Kittel und Bettwäsche mussten weiß und immer ausgekocht sein. Das sollte den Patienten Sicherheit gegeben.“

Ob eine Klinik heute noch weiß sein müsse, sei eine interessante Frage, meint der Farbexperte und antwortet gleich selbst: „In einer modernen Klinik steht das nicht mehr im Vordergrund, sie braucht vielmehr einen Wohlfühlaspekt.“ Das macht was mit Patienten: „Die richtige Farbgestaltung kann den Medikamentenverbrauch um 30 Prozent senken, zumindest was Psychopharmaka und Beruhigungsmittel betrifft. Man kann sich auf die Behandlung einlassen und will nicht gleich wieder nach Hause“, berichtet Buether. „Wir werden wie an unsichtbaren Fäden von Farben gesteuert.“

P.S. Wer sich nun fragt, was denn die optimalen Wohlfühlfarben wären: „Erdpigmente und mineralische Farben in Holz- und Terrakottatönen, aber auch erdige Grünnuancen, mit denen jahrtausendelang gestrichen wurde.“ Da sind sich alle Farbexperten einig.

Wussten Sie, dass ...

... es bereits Steinzeitmenschen gelang, die ersten Farben herzustellen?

... in China Gelb dem Kaiser vorbehalten war? Nur er durfte diese Farbe tragen

... Vincent van Goghs angegriffener, geistiger Zustand mit der Farbe Gelb zu tun hatte? Bei einem psychotischen Anfall drückte er sich nämlich chromgelbe Ölfarbe direkt aus der Tube in den Mund. Die ist bleihaltig und hochgiftig.

... das Facebook-Logo  deshalb blau ist, weil der farbenblinde Mark Zuckerberg nur diese Farbe richtig sehen kann? Wie übrigens 8Prozent aller Männer. Frauen sind weit seltener betroffen (0,4 Prozent).

 

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