Jetzt verkuppeln auch Frauen Eisenbahn-Waggons

Jetzt verkuppeln auch Frauen Eisenbahn-Waggons
Der Verschub bei den ÖBB war bis vor Kurzem reine Männersache. Das beeindruckt Silvia Bernöcker nicht. Sie tritt in die Fußstapfen von Robert Reindl.

„Hundert Meter“, meldet sie ihrem Kollegen, der hinten in der Lokomotive sitzt. Er sieht sie nicht, kann nur ihre Stimme aus dem Funkgerät hören. „Hundert Meter“, meldet er ihr zurück. Die Lok, eine 2070, nähert sich jetzt mit weniger als 15 km/h dem abgestellten Zugverband.

Hauptbahnhof Linz, Gleis 739, ein klassisches Abstellgleis. Noch fünfzig, vierzig, dreißig Meter, noch drei, zwei, ein km/h. Schon küsst der Puffer der Verschublok butterweich den Puffer des vordersten Waggons.

Robert Reindl bewegt die 72 Tonnen seiner 2070er mit dem kleinen Finger. 35 Jahre Erfahrung helfen ihm dabei.

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Heute bildet der erfahrene Eisenbahner gemeinsam mit Silvia Bernöcker ein Verschub-Team. Seine Kollegin war eine der ersten Frauen, die vor zwei Jahren in einer reinen Männerdomäne mit ihrer mehrwöchigen Ausbildung begonnen hat.

Schnell klettert sie jetzt in den Puffer-Raum zwischen Lok und Waggon, um beide miteinander zu verkuppeln. Dabei genießt die gelernte Köchin aus dem Waldviertel das Vertrauen und den vollen Respekt des älteren Kollegen, von dem sie viel gelernt hat.

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Eine saubere Warnweste

Die zwanzig Kilogramm schwere Schraubenkupplung hebt Silvia Bernöcker relativ locker auf – und in den Haken der Lok ein. Auffallend: Ihre Warnweste ist sauber. Nicht, weil sich die ÖBB-Mitarbeiterin vor der Arbeit drückt. Sich nicht schmutzig machen bedeutet in ihrem Beruf, dass jemand all den Hindernissen zwischen den Zügen gut ausweichen kann.

Bernöcker und Reindl sind Verschub-Mitarbeiter der Österreichischen Bundesbahnen, zwei von 2.759 im ganzen Land. Händeringend, fast schon verzweifelt, auch auf allen Social-Media-Kanälen sucht ihr Arbeitgeber 200 neue Kolleg(inn)en. Schuld am Mitarbeiterschwund ist – wie in anderen Berufszweigen – die Alterspyramide in Österreich: So wie Robert Reindl gehen in Kürze tausende Babyboomer in Pension.

Noch kann sie von ihrem Kollegen viel lernen. Dem ist jeder Meter Bahnhof in Linz und Umgebung vertraut, jede Weiche, jedes der fünfzig Gleise. Robert Reindl kennt auch jeden Kollegen beim Vornamen, bewahrt in allen stressigen Situationen immer Ruhe und Übersicht.

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„5061 von 209 auf 739.“ Der nächste Verschubauftrag kommt über Funk vom Verschubkoordinator. Der gute Mann schaltet und waltet in einem der Bahnhofsgebäude vor mehreren Bildschirmen mit hundert Zahlenkombinationen, die für Laien einfach nicht zu entschlüsseln sind.

Der Koordinator erklärt den Laien: „Der Zug mit der Nummer 5061 muss vom Gleis 209 auf das Gleis 739.“

Sechzig bis siebzig Züge, verkuppeln die beiden Linzer Verschub-Mitarbeiter in einer Zwölf-Stunden-Schicht. An Hochsommertagen ebenso wie in kalten Winternächten, zu Weihnachten ebenso wie an klassischen Werktagen.

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Hemm- statt Sportschuh

Kraftkammer und Laufband müssen Menschen, die im Verschub arbeiten, in ihrer Freizeit nicht mehr bemühen. Ihre Arbeit draußen auf und zwischen den Gleisen kann auf Dauer Kräfte rauben, hält sie aber auch ausreichend fit, betonen sie unisono.

Die Arbeit mit Zügen, die hunderte Tonnen schwer sind, birgt aber auch ständig Gefahren. „Unsere größte Gefahr ist die Routine“, weiß Robert Reindl, während er einen Hemmschuh vom Gleis löst.

Hemmschuh? Ja, genau: Das ist eine ebenfalls schwer wiegende signalgelbe Klammer, die anrollende Waggons rechtzeitig stoppen kann.

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Nur ein kurzer Moment der Unachtsamkeit kann bei seiner Tätigkeit ein Unglück auslösen. Mehr Sicherheit verspricht dafür sein Arbeitgeber. Der Güter- ebenso wie der Personenverkehr wird bis auf Weiteres eher mehr als weniger werden.

Auch mit der Bezahlung, 1650 Euro netto während der neunwöchigen Basisausbildung, danach leicht mehr, ist seine jüngere Kollegin „alles andere als unzufrieden“.

Eine Generation tritt ruhiger: In den kommenden Jahren wird sich Österreichs Arbeitsmarkt drastisch verändern. Die zwei Millionen in den 50er- und 60er-Jahren geborenen Babyboomer gehen in den Ruhestand.

Eine neue Generation tritt an: Seit 2019 sind nicht mehr die Babyboomer, sondern die um die Jahrtausendwende geborenen Millennials größte Alterskohorte auf dem Arbeitsmarkt. Schon rein zahlenmäßig werden diese deutlich Jüngeren nicht alle Lücken schließen. Einige Berufe interessieren sie auch nicht.

17.000 neue Mitarbeiter(innen) suchen die Österreichischen Bundesbahnen bis  2027, 200 neue aktuell für den Verschub.

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