Was haben Sie vom Agnostiker gelernt?
Ungewitter: Vieles – auch über mich selbst. Obwohl wir so unterschiedlich sind, gab es einige ähnliche biografische Punkte. Wir sind ähnlich lebensbejahend, nehmen das Leben, wie es kommt – mit seinen großen Tragödien, Freuden und Wundern.
Und wie ging es Ihnen mit dieser Begegnung?
Michael Horowitz: Was ich nicht mag, sind klerikale Klüngel. Menschen, die auf Druck versuchen, andere von ihrem Glauben zu überzeugen. Gerade in Zeiten, in denen wir leben, muss das Verbindende her. Wir müssen versuchen, das Einende zu finden. Ich habe als Journalist mit tollen Persönlichkeiten des Glaubens zu tun gehabt, etwa Kardinal König oder Prälat Ungar. Keiner von ihnen hat je versucht, mich vom Glauben zu überzeugen. Und wenn ich von hier aus den Bogen zu dieser faszinierenden, jungen und freiheitsliebenden Pastorin spanne, kann ich nur sagen: Wir haben uns von Beginn an gut verstanden, nicht nur, weil wir gewisse Dinge teilen, sondern, weil Mira ebenfalls nie versucht hat, mir Gott einzureden.
Stichwort Dialogbereitschaft: Was scheint in Bezug darauf besonders wichtig?
Ungewitter: Zum Beispiel analoge Räume zu schaffen, in denen Dialog möglich wird. Ich will die Digitalisierung nicht verteufeln, aber vieles ist anders, wenn man ein direktes Gegenüber hat, dessen Sprachmelodie hörbar, dessen Gesicht sichtbar ist. Umso wichtiger wäre es, Safe Spaces zu schaffen, wo jeder bemüht ist, sich eine Meinung zu bilden und nicht nur Meinung zu haben. Verbunden mit der Frage, was ich lernen und wo ich mit meinen Überzeugungen gnädiger werden kann. Dafür braucht es Veranstaltungen, Podiumsdiskussionen, Begegnungen.
Horowitz: Das sehe ich genauso. Und da dürfen auch heikle Fragen gestellt werden. Ich habe Mira zum Beispiel gefragt, wo Gott hinschaut, wenn 830 Millionen Menschen auf der Erde hungern, Kinder sterben müssen, tyrannische Machthaber endlos lange Kriege führen. Wo ist da der liebe Gott? Von ihr, als intelligenten und gläubigen Menschen, bekam ich eine Antwort. Auch wenn sie mich nicht befriedigt hat.
Ungewitter: Weil diese Frage nicht zu befriedigen ist. Man kann nur versuchen, sich an sie heranzutasten, manches muss offenbleiben oder man kann sich gewissen Fragen nur in Bildern nähern.
Glaube kann Menschen Halt geben. Was gibt Ihnen Halt?
Horowitz: Ich habe Gläubige, die in die Kirche gehen, und dort durch den Dialog mit Gott Halt finden, mein Leben lang bewundert. Ich kann das aber nicht. Mir gibt daher etwas anderes Halt: Zum Beispiel mein Optimismus, dass diese Welt wunderschön und nicht nur grauenhaft ist. Gerade jetzt, im Frühling, wenn ich sehe, wie eine Blume zu blühen beginnt. Ein Wunder. Wenn ich sehe, wie sich mein Hund am Rücken räkelt, weil er sich wohlfühlt. Oder meine vier Enkel lachen, wenn ich einen blöden Witz mache. Dann hat das Leben einen Sinn, mehr geht fast nicht.
Ungewitter: Glaube gibt mir Halt – das knüpfe ich aber gar nicht so an die Kirche. Es ist ein Glaube, im Sinne einer Quintessenz, meine Gedanken irgendwohin richten zu können. Ein Richtung Gott ausgerichtetes Denken, und weniger eine Formsache oder an Gebete geknüpft. Ich habe das besonders in den letzten Monaten bemerkt, als meine Mutter starb. Da trägt es. Glaube nimmt nicht die Trauer, aber er schenkt Halt. Darüber hinaus ist es die Familie, sind es Freunde. Und ich empfinde es als Privileg, dass ich mich in Ländern aufhalten darf, die viel Sicherheit bieten. Da ist die Dankbarkeit sehr groß, gerade mit Blick auf den Krieg.
Mira, es gibt von Ihnen ein Hörbuch, Titel: „Gott ist Feministin“. Was wollen Sie damit sagen?
Ungewitter: Feminismus ist bei mir als Prozess geschehen, dahinter steckt ein großes Bedürfnis nach „Gleichberechtigung“ und gleiche Rechte. Eine Abwehr gegen Ungerechtigkeit hatte ich schon sehr früh. Das dann später auch als Feminismus zu deklarieren, ist eine Sache, die in den vergangenen Jahren nochmals an Schwung gewonnen hat. In meinem Beruf erfuhr ich auch Ablehnung, weil es in den eigenen Reihen Menschen gibt, die Frauen in diesem Amt ablehnen. Diese persönliche Betroffenheit hat meine Haltung gestärkt. Im Buch gehe ich mit Hilfe biblischer Frauenfiguren darauf ein, welche feministische Perspektiven man auf ein patriarchal geprägtes Buch wie die Bibel werfen kann. Zumal sich in diesen 2000 Jahre alten Texten bereits die Sehnsucht nach Gleichberechtigung, aber auch nach der wichtigen Rolle von Frauen im frühen Christentum – um Jesus herum – gezeigt hat. Angefangen bei Maria, die man als Abenteurerin sehen kann, die Drei-Tages-Wanderungen allein und schwanger gemacht hat. Sich damit zu beschäftigen, selbst wenn man nicht daran glaubt, ist spannend. Am Schluss verteidige ich die Erkenntnis, dass Gott Feministin ist, indem er alle Menschen in der Grundidee egalitär geschaffen hat.
Welche Jenseits-Vorstellung haben Sie?
Ungewitter: Ich glaube und hoffe mit aller Kraft auf eine Jenseitsvorstellung, von der ich aber keine Idee habe und haben kann, außer, dass sie hoffentlich gut ist. In welcher Form von Sphäre, Leiblichkeit oder Nicht-Leiblichkeit, ist wenig beschrieben. Da gibt es nur vage Bilder, wie gedeckte Tische für alle, Speisen und Wein im Überfluss, es wird keine Tränen mehr geben, Altes, Junges und Verfeindetes kommt zusammen. Diese Bilder finde ich sehr tröstlich, auf sie hoffe ich.
Horowitz: Ich glaube an das Leben vor dem Tod. Deshalb lebe ich sehr gerne und sehr intensiv. Wie es danach weitergeht, kann niemand sagen. Ich finde, es ist ein schönes Bild, dass man – wie bei einer Überfuhr – von einem Ufer des Flusses zum anderen langsam hinübergleitet. Aber niemand weiß, wie es am anderen Ufer aussehen wird.
Wie würde sich Euer letztes Abendmahl gestalten?
Ungewitter: Gute Frage. Ich glaube, ich würde alle und jeden einladen und mir dafür einen Kredit aufnehmen, viel einkaufen, zu essen und zu trinken. In einer simplen, aber hervorragenden Art und Weise mit Freunden und Familie genießen. Das Schöne am letzten Abendmahl: Es ist voller Zusagen, es kommen keine Ermahnungen mehr, es ist trotz dieser Tragik positiv. Genauso würde ich es gestalten.
Horowitz: Bei mir wäre es so wie bei Mira, aber mit viel Musik. Mit Familie, Freunden, meinen Hunden, gutem Essen und Trinken langsam hinübergleiten. In Würde. Man sollte sein Leben würdevoll führen und würdevoll zu Ende bringen.
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