„Das Exponat ist Zeugnis von eigener Schwarmintelligenz“, erklärt Kulturwissenschafter Alexander Martos bei einem Rundgang durch das von der Familie Schönborn schön in die Josefstadt eingepflanzte Gartenpalais. „Es hat sich ja auf den griechischen Inseln sofort herumgesprochen: Die Boote nach der Landung in Stücke schneiden, weil sonst schicken sie euch damit sofort auf das Meer zurück.“
Alexander Martos hat mit seinem Kuratorkollegen Niko Wahl nach der „Welle“ 2015 einige Stationen der Flucht besucht, um dort Exponate für das Volkskundemuseum einzusammeln: „Das sind sehr persönliche Gegenstände, die Menschen auf ihrem langen Weg zurücklassen mussten.“
Das zerschnittene Plastik nahm Martos vom „Friedhof der Rettungswesten“ mit, wie man auf der Insel Lesbos eine Mülldeponie nennt. Es löst bei seiner Kollegin, der Performerin Negin Rezaie, gemischte Gefühle aus. Rezaie wurde im Iran sozialisiert und erst nach sechs Jahren Bangen in Wien 2021 als Flüchtling endlich anerkannt. „Seit meiner Ankunft, die viel schwieriger war als die Flucht selbst, versuche ich das alles loszuwerden. Ich habe noch immer Angst vorm Meer.“ Dankbar fügt sie hinzu, „dass Menschen wie ich durch die Ausstellung wieder zu Personen werden.“ Dieser Befund bleibt angesichts des Kriegs in der Ukraine traurig aktuell.
Negin Rezaie hat in der Stadt Shiraz, die in etwa so groß wie Wien ist und 600 Kilometer südlich von Teheran liegt, Petrochemie studiert. „Nicht aus Leidenschaft.“ Doch als Frau war ihr nicht zuletzt der Zugang zur Kunst versperrt. Niemand gibt gerne seine Heimat auf, doch im Herbst 2015 sah sie für sich keine andere Option mehr.
Fremdenpolizisten haben sie in Wien nicht als eine gut ausgebildete Persönlichkeit empfangen, sondern als eine von vielen, deren Erzählung man sechs Jahre lang mehr misstraut als geglaubt hat.
Umso erfreulicher war es für die Frau mit der geraubten Identität, auf Menschen wie Niko Wahl und Alexander Martos zu treffen. Die hatten schon 2016 einen Masterplan. Martos erklärt: „Wir wollten Talente, Ideen und Projekte von Menschen fördern, die beim Warten auf ihren Asylbescheid schlummerten, und über ihnen den Rettungsschirm Kunst aufspannen.“
Deal! Heute kann das Volkskundemuseum mit fünf in ihrem Wesen und ihrer Kreativität unterschiedlichen Kuratoren aufwarten. Als eine Besonderheit bietet man „Führungen im Dialog“ an: Da geleiten jeweils ein neuer mit einem schon länger hier tätigen Mitarbeiter zu den „Küsten Österreichs“.
Deren Exponate sind fix und auch klug eingebunden in die Dauerausstellung: So stehen die PET-Flaschen der Gestrandeten neben Milchkannen heimischer Bauern. Und Kuratorin Rezaie erklärt den unterschiedlichen Zeithorizont von Menschen, die sich im alpinen Bereich für einen harten Winter mit Vorräten eindecken, und jenen Elenden, die nicht einmal wissen, ob sie den nächsten Tag überleben werden.
Mitten drinnen auch ein Spiegel. Vor ihm standen zig Menschen in einem Caritas-Flüchtlingslager Schlange. Er war der einzige für sie. In ihm spiegelt sich für die Kuratoren eine Erkenntnis: „Der Schutz von Leib und Leben sowie die menschlichen Grundbedürfnisse sind nicht dasselbe.“
Berührend ist auch der Pelzmantel, der an der Wand hängt. Die Kuratorin erinnert sich genau: „Eine fremde Frau hat ihn mir in einem Zeltlager geschenkt. Ich habe ihn nicht angenommen, weil mir kalt war. Ich zog ihn an, weil ich ihn sehr stylish fand.“
Wichtig ist Martos und Rezaie das Verbindende. So zeigen die Beiden, dass der gute alte österreichische Vierkanthof eine Parallele mit arabischen Wohnkomplexen hat: „Beide sind nach innen geöffnet.“
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