Was man in der Ausbildung zur Sterbebegleiterin über das Leben lernt

Was man in der Ausbildung zur Sterbebegleiterin über das Leben lernt
Was eine KURIER-Autorin im Rahmen ihrer Ausbildung zur Lebens-, Trauer- und Sterbebegleiterin über die Vergänglichkeit, den Tod, das Abschiednehmen lernte – und den Wert des Augenblicks.

Wie würdet Ihr sterben wollen? Plötzlich und schmerzlos? An einer langen Krankheit, liebevoll begleitet? Darüber sollten die Teilnehmer des Kurses „Einführung in die Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung“ an ihrem ersten Ausbildungsabend nachdenken. Ein Gedankenexperiment. Ich mittendrin, die die Ausbildung heuer im Kardinal-König-Haus in Wien absolviert hat. So sehr wir uns damit befassten und darüber sprachen – am Ende war klar: Welche Wahl wir auch immer treffen mögen, es bleibt die Gewissheit, dass wir uns das Finale unserer Lebensreise nicht aussuchen können. Wir sind machtlos.

Trotzdem lohnt es sich, zu sinnieren, wie das Leben eines Tages Abschied nehmen könnte. Bedeutet gleichzeitig aber auch, an Grenzen zu gehen. Ich habe mich für „lange Krankheit, gut begleitet“ entschieden und fuhr an diesem Abend sehr nachdenklich heim. Im Bewusstsein, wie sehr mir die Vorstellungskraft für das Unvorstellbare fehlt. Ja, so ist das, wenn sich Menschen der Bruchlinie zwischen Tod und Leben nähern.

Lachen und weinen

Im Laufe des Semesters setzte ich mich mit vielen Gedanken dieser Art auseinander und durfte an der Seite wunderbarer Menschen und inspirierender Lehrerinnen und Vortragender in dieses große Thema hineinwachsen. Da war Schwere, da war Leichtigkeit, es wurde geredet, gelacht, geweint, immer war es gut. Ich lauschte den Verlustgeschichten anderer Menschen und fühlte mich hilflos, erschüttert. Ich erzählte meine eigene Geschichte, den frühen Tod beider Elternteile. Dabei wurde klar: Schmerz ist weder verhandelbar noch vergleichbar, jedes Leiden am Vergänglichen hat sein eigenes Narrativ. Und jede Emotion ist richtig.

Ich tauchte gedanklich in die Vorstellung ein, selbst nur mehr wenige Wochen zu leben, was Fragen aufwarf: Wem würde ich noch etwas sagen wollen? Was würde ich regeln und gestalten? Am Ende der Überlegungen schrieb ich meinem Lebensmenschen einen Abschiedsbrief. Eine bewegende Erfahrung, die den Blick auf das „Du“ schärft.

Einfach nur da sein

Schließlich näherte ich mich dem Sterbeprozess rein „praktisch“, erfuhr etwas über die Zeichen und Phasen des Sterbens sowie die Dimensionen des Schmerzes von Schwerkranken. Und was zu tun ist. Um zu erfahren, wie wichtig es ist, als Ehrenamtliche nur da zu sein. „Auszuhalten“, was ist. Oft werde ich gefragt, weshalb ich mich für diese Ausbildung entschieden habe. Es war mein Wunsch, im Frühherbst meines Lebens noch etwas Sinnstiftendes zu tun. Ein Gedanke entwickelte sich: Wie bedeutend es ist, den Tod in mein Leben zu holen, bevor er mich überrascht. Ihn nicht zu verdrängen. Dass es angebracht wäre, mit der eigenen Sterblichkeit nicht so zu dealen, als hätte ich noch 60 Jahre vor mir.

Das Vergängliche ist überall, und mit ihm Abschied, Wehmut, Trauer. Im Wechsel der Jahreszeiten genauso fühlbar wie bei Trennung oder Veränderung. Wir trauern um Beziehungen, vertane Chancen, Lebensphasen. Und um die Jugend.

Ich hörte oft; „Dafür bewundere ich dich, ich könnte das nicht.“ Das ist schön, gleichzeitig wird klar, wie verhalten wir mit einer Konstante des Lebens umgehen, die alle treffen wird. Ich erzähle dann gerne, wie mich diese Zeit, diese Ausbildung persönlich geprägt und bereichert hat, im Sinne eines „Endlich leben“-Gefühls. Indem ich den Mut aufbrachte, mich darauf einzulassen, weiß ich mehr denn je, was mir wichtig ist. Wie das Leben leuchten kann, wenn es durch die Brille der Endlichkeit betrachtet wird. Ich bin achtsamer, dankbarer, versöhnlicher. Lernte aber auch, wie bedeutsam es ist, etwas anzunehmen. Den Schmerz und die Nöte anderer Menschen im Angesicht von Tod und Leid. Die Verzweiflung, die Anklage und die Tränen. Das zuzulassen, zugleich aufmerksam zu bleiben, was gebraucht wird, ist in der palliativen Begleitung unverzichtbar. Weniges kann viel sein. Ein Wort, eine Berührung, das Befeuchten der Lippen eines sterbenden Menschen, eine Tasse Tee für Angehörige holen. Zuhören, über Gefühle sprechen, ein Lächeln. Oder einfach nur Blumen im Garten des Hospizes pflanzen.

Trauerpower

Mit Trauer gehe ich seither anders um. In einer Gesellschaft, die sich verordnet hat, stets zu funktionieren, muss niemand funktionieren, dem gerade alles auseinanderbricht. Trauer ist wichtig, braucht Ehrfurcht, Zeit und Raum. Schade, dass es keine „Trauerpower“ gibt, wie im Buch „endlich“ von Susanne Brückner und Caroline Kraft beschrieben. Weil Trauer immer noch als „Partykiller“ gilt, der „die üblichen Verdächtigen im Schlepptau hat: Wut, Angst, Scham“.

Das Gegenteil ist der Fall. Nur wer trauern kann, wird heilen. Danach ist zwar nichts mehr wie vorher, kann aber trotzdem wertvoll sein. Anders gut, anders schön, anders lebendig.

Was man in der Ausbildung zur Sterbebegleiterin über das Leben lernt

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