Von Anfang an gelingt es dem gelernten Bürokaufmann an diesem Vormittag, die geneigte Aufmerksamkeit der Zehnjährigen, die soeben die Volksschule hinter sich lassen, zu erwecken.
„Wieny“ geht mit den Kindern zu Originalschauplätzen des Wiener Kulturguts und erzählt ihnen dort viel Sagenhaftes: von der „Hexe Punschkrapferl“, die Gutes für die Wiener und Wienerinnen tat und dennoch oder genau deshalb von der Obrigkeit angefeindet wurde; vom Zahnwehherrgott, an den eine kleine Nische auf der Rückwand des Stephansdoms erinnert; oder vom Baumeister Hans Puchsbaum, der so wie zahlreiche Bauarbeiter vor ihm schon vom Turm des Steffls stürzte und nur in der Sage weiterlebte.
„Gut eine halbe Million Schulkinder habe ich in all den Jahren durch Wien geführt“, erzählt Reinhard Mut durchaus stolz, nachdem er sich unter großem Applaus von der heutigen Gruppe verabschiedet hat. Im kühlenden Schatten eines Innenstadt-Baums ruht er sich kurz aus.
Er war 28 Jahre jung und hatte bei der Gemeinde Wien einen guten Posten, als er davon Wind bekam, dass sich das irische Dublin einen von der Stadt angestellten Märchenerzähler leistet. Zur Unfreude seiner Eltern folgte er seiner Leidenschaft. Und wurde „sehr glücklich damit“.
Der Sagen- und Märchenerzähler „Wieny“ sagt über sich selbst: „Meine einzige Berufung ist es eigentlich, Kinder glücklich zu machen.“
Gerne erinnert er sich an den damaligen Bürgermeister Helmut Zilk, der sich seine Idee mit Interesse anhörte, um ihm dann einen Freibrief für ein in Wien zuvor unbekanntes „Gewerbe“ zu erteilen. Auch all die Kinder und Dankschreiben ihrer Lehrer haben ihn motiviert – und gaben ihm Kraft nach einem bösen Unfall sowie im Kampf gegen eine lebensbedrohliche Tumorerkrankung.
„Eigentlich wollte ich ja Pianist werden“, verrät Reinhard Mut dann. „Ich habe auch Lieder komponiert.“ Doch den beruflichen Durchbruch schaffte er als Sagen- und Märchenerzähler, der die Stimmungen von Kindern nicht nur schnell aufspürt, sondern gekonnt weiter führt. Immer bezieht er in seine Erzählungen die Kinder als Darsteller ein. Selbst die etwas komplizierteren – oder sagen wir – schwereren Themen kommen so gut bei seinem Publikum an.
Damit die von ihm leicht verständlich aufbereiteten Geschichten nicht verloren gehen, hat Reinhard Mut begonnen, sie aufzuschreiben. Das erste Buch, das eben erschienen ist, trägt den Titel „Alle Neune“ und enthält viel von seiner oft gebuchten „Steffl-Sagen-Tour“.
Gemeinsam mit Robert Ebhart von TV21.at wird der „Wieny“ i. R. darüber hinaus in Kürze eigenes Kinderfernsehen produzieren.
Und keine Angst, liebe besorgte Lehrer und Lehrerinnen, einer wie der „Wieny“ verabschiedet sich nicht für immer in den Ruhestand: „Ich werde wohl auch weiterhin Führungen für die Kinder machen, aber doch deutlich weniger als in meiner aktiven Zeit.“ Mehr Infos über seine Aktivitäten bietet seine Seite.
Und es ist ihm zu wünschen, dass irgendwo dort oben ein Fenster aufgeht, sein Vater runterschaut und mit versöhnlicher Stimme ruft: „Reinhard, Bub, es tut mir sehr leid, in Wahrheit bin ich stolz auf dich.“
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