Genau 54 Jahre später steht Elisabeth Rudel mit ihrer Enkelin Sophie zwischen weißen Kleidern in einem Geschäft am Ring, wenige Meter von der Oper entfernt. Die 19-Jährige strahlt, sie wird gleich ihr Kleid anprobieren ein letztes Mal, bevor es seinen großen Auftritt hat. Sophie und ihr Studienkollege gehören zu den ca. 300 Jungdamen und -herren, die am Donnerstag den größten Ball des Landes eröffnen. Mit den Erzählungen ihrer Oma ist sie aufgewachsen, das Krönchen hat sie schon als Mädchen begeistert. „Für mich geht ein Kindheitstraum in Erfüllung.“
Ihr Kleid ist reinweiß und schlicht, so, wie es das Ball-Reglement verlangt. Das Swarovski-Krönchen wird kurz vor Ballbeginn auf das hochgesteckte Haar platziert. „Damals war das noch nicht so streng“, sagt ihre Oma, die nach wie vor als Fremdenführerin tätig ist. „Mein Kleid war von einem Schneider und hatte goldene Verzierungen, bezahlt hat es meine Tante.“
Die 75-Jährige besuchte eine Mädchenschule und hatte einen strengen Vater. Schminke in der Schule war tabu, auch einen Tanzkurs durfte sie nicht besuchen. „Nach der Matura hab ich mich sofort beim Elmayer angemeldet. Ich wollte auf jeden Ball gehen, den es gibt.“
Zeitgeist und Tradition
Aus der Zeitung erfuhr sie, dass sich interessierte Debütantinnen bei Christl Schönfeldt, der Organisatorin, melden sollten. „Ich hatte keinerlei Protektion, bin einfach ins Obernballbüro spaziert. Sie hat mich sofort gefragt: Haben Sie einen Partner?“
Als Tanzpartner fungierte schließlich ein Absolvent der Militärakademie. Sein Werben vor und nach dem Ball blieb aber erfolglos: In der Schule für Fremdenführer hatte Elisabeth bereits ihren späteren Mann kennengelernt. In diesem Jahr feiern sie ihren 50. Hochzeitstag.
Seitdem hat sich nicht nur Elisabeths Leben, sondern auch der Opernball verändert. 2023 debütierte ein lesbisches Pärchen, zwei Reihen hinter Sophie tanzt eine junge Frau mit Downsyndrom. „Ich finde es gut, dass man Traditionen nach und nach aufbricht und neuen Schwung hineinbringt“, sagt die angehende Biochemikerin. Dass ihr Schulball wegen der Pandemie in einer abgespeckten Form stattfand, steigert die Vorfreude auf die Oper umso mehr. „Bei mir war das ja noch nicht so ein Medienereignis“, wirft ihre Oma ein. „Es gab auch keine Disco, nur einen Heurigen. Und keinen Lugner! Nur die Drängerei gab es immer.“
Die antanzenden Promis, Priscilla Presley inklusive, sind der Debütantin ohnehin egal. „Ich möchte den Abend für mich genießen, vom Keller bis zum Dachboden alles ausprobieren und eine Erinnerung fürs Leben schaffen. Vielleicht kann ich mein Krönchen in 50 Jahren auch meinen Enkeln zeigen.“
Ein letztes Mal dreht sich Sophie auf beide Seiten, begutachtet sich im großen Spiegel. „Ich bin positiv überrascht“, sagt Elisabeth. „Ich hätte das Kleid an ihrer Stelle ja schon viel früher besorgt!“ Jetzt hat sie nur noch einen Wunsch: „Dass Sophie am Balltag genug isst.“ Wie anstrengend das lange Stehen auf dem Parkett sein kann, weiß sie selber nur zu gut.
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