Auto- versus Radfahrer: Lebensgefahr trotz Gesetzesänderung

Auto- versus Radfahrer: Lebensgefahr trotz Gesetzesänderung
Neue Studie: Bei mehr als der Hälfte der Überholmanöver wird der gesetzlich geforderte Mindestabstand nicht eingehalten.
Von Uwe Mauch

Seit 1. Oktober ist in der Straßenverkehrsordnung (StVO) unter anderem neu verankert: Alle, die mit dem Auto unterwegs sind, müssen beim Überholen von Radfahrenden zu diesen zumindest einen Abstand von eineinhalb Metern einhalten.

Soweit die neue gesetzliche Vorgabe. An der Grazer FH Joanneum GmbH hat man nun mit speziellen Sensoren gemessen, dass auf der Straße weiterhin anderes gilt.

Auto- versus Radfahrer: Lebensgefahr trotz Gesetzesänderung

Bedrohliches Kniekitzeln

„Bei mehr als der Hälfte der rund 2.000 von uns dokumentierten Überholvorgängen wurden die eineinhalb Meter nicht eingehalten“, berichtet Martijn Kiers vom Institut für Energie-, Verkehrs- und Umweltmanagement dem KURIER. „Bei fast jedem siebenten Manöver wurde sogar ein Abstand von weniger als einem Meter gemessen.“

Damit bestätigt die Wissenschaft nun ein subjektives Empfinden, das Radfahrer und Radfahrerinnen schon seit vielen Jahren quält. Besonders bedrohlich für sie: Der Moment, in dem der Luftzug eines Pkws oder gar eines Lkws ihr linkes Knie kitzelt. Ebenso gefährlich: Wenn sie in einer nicht gut einsichtigen Kurve überholt werden.

Verkehrsforscher Martijn Kiers hat gemeinsam mit zwei Studierenden, der Radlobby ARGUS Steiermark und 53 Alltagsradlern Daten zum Thema Überholen gesammelt. An den Sattelstützen ihrer Fahrräder wurden spezielle Sensoren angebracht, die den Abstand bei jedem einzelnen Überholvorgang dokumentieren konnten. Die Teilnehmenden der Studie wurden repräsentativ ausgewählt – und für mehrere Tage gebeten, ihre Alltagsrouten möglichst nicht zu verlassen.

Auto- versus Radfahrer: Lebensgefahr trotz Gesetzesänderung

Sie weichen lieber aus

Nach der Messung hat sich der Student Florian Gorfer im Rahmen seiner Bachelorarbeit jene Straßenabschnitte genauer angesehen, auf denen besonders knapp überholt wird. Er stellte anhand der GPS-Daten fest, dass etliche Radler diese gefährlichen Passagen meiden. Und dass sie dafür auch Umwege in Kauf nehmen.

In einer zweiten Bachelorarbeit hat sich die Studentin Kathrin Lenes mit der Frage des subjektiven Sicherheitsempfindens der durchwegs radaffinen Teilnehmer der Studie beschäftigt.

Lenes fand dabei heraus, dass sich 85 Prozent der von ihr Befragten durch „zu enges Überholen“ gefährdet fühlen. Weniger stören sie laut ihrer Erhebung parkende Autos auf dem Fahrradstreifen sowie „Zu enges Abbiegen“.

Wenn der Gesetzgeber den Rad-Anteil in den kommenden Jahren tatsächlich erhöhen will, darf man die Ergebnisse der Grazer Studie als durchaus brisant werten. Das Problem: Während sich jene, die schon lange mit dem Fahrrad unterwegs sind, nicht so leicht aus dem Tritt bringen lassen, kann ein Knie- und somit auch Nervenkitzel auf der Straße Neulinge schnell verängstigt ab- und nie wieder aufs Rad steigen lassen.

Auto- versus Radfahrer: Lebensgefahr trotz Gesetzesänderung

„Kein Überholzwang“

In Gesprächen mit Autofahrern fanden Martijn Kiers und sein Studienteam außerdem heraus, dass oft auch dann überholt wird, wenn sich klar abzeichnet, dass der geforderte Mindestabstand nicht eingehalten werden kann. Dazu sagt der Forscher: „Man muss an engen Stellen nicht überholen, man kann als Autofahrer auch abbremsen. Es gibt keinen Überholzwang.“

Kommentare