Auf dem Laufsteg der Macht: Die Mode-Botschaften der Politiker
Als mehrere Medien im Juni 2019 euphorisch über den Modestil von Brigitte Bierlein berichteten, war die Empörung groß: Man könne die neue Kanzlerin schließlich nicht auf ihr Äußeres reduzieren, egal, wie auffallend sie sich kleide. Kurz zuvor war die 73-Jährige in Hosenanzug und opulentem Rüschenkragen („Jabot“) zur Angelobung erschienen, der an das Markenzeichen der ehemaligen US-Höchstrichterin Ruth Bader Ginsburg ( 2020) erinnerte. Ein Statement?
Man sollte Mode als politische Ausdrucksform jedenfalls nicht gering schätzen, ist Journalist und Autor Daniel Kalt (Die Presse) überzeugt. Bierleins Kleider und die Aufregung darum inspirierten ihn zu einem Buch über das Verhältnis von Mode und Politik („Staat tragen“, Kremayr & Scheriau). „Mode ist ein wesentlicher Bestandteil der visuellen Kommunikation“, sagt Kalt. „Natürlich sollte man sich nicht ausschließlich dieser Ebene widmen. Aber es gibt immer wieder Anlassfälle, die es wert sind, analysiert zu werden.“
Angriffsfläche
So sorgte der neue britische Premierminister Rishi Sunak gleich in den ersten Tagen seiner Amtszeit für Wirbel, weil er in Prada-Loafers eine Baustelle besuchte. Dass er sich kürzlich mit Loch in der Sohle zeigte, wurde wiederum als Versuch der Volksnähe gewertet. Selbst im Krieg wird Mode zum Politikum: Wolodimir Selenskij machte den Military-Look hip, erntete aber auch Kritik, weil er nicht einmal beim Besuch im Weißen Haus in den Anzug wechselte. „Wenn man mit Bildern kommunizieren muss, sollte man auf die Kleidung nicht vergessen“, sagt Kalt. „Man muss sich bewusst sein, dass man eine potenzielle Angriffsfläche bietet.“
Fit und fesch
Rasch bewusst wurde dies einem der Vorgänger Bierleins, Christian Kern. „Ich fand das wirklich überbordend, wie oft Anmerkungen zu meiner Kleidung gemacht wurden“, erinnert sich der 57-Jährige im Gespräch mit dem KURIER. „Zumal einem als sportlicher Mensch, der auf seine Fitness achtet, sofort Eitelkeit unterstellt wird. Das ist lächerlich. Dass man auf sein Äußeres wert legt, ist ein Ausdruck von Respekt.“
AOC mit politischer Forderung auf dem Abendkleid
US-Außenministerin Madeleine Albright (2022) ließ ihre Broschen für sich sprechen
Im Power Suit an die Macht: Hillary Clinton
Ex-Kanzler Christian Kern fiel mit engen Slim-Fit-Anzügen auf
Ministerin Klaudia Tanner gilt als modemutig und liebt Shopping
Nelson Mandelas bunte Hemden sollten den Übergang Südafrikas in eine neue Ära markieren
Mit „Power Pearls“ huldigt Kamala Harris ihrer Zeit in einer schwarzen Studentenvertretung
"Nadelstreif-Sozialismus": Hannes Androsch im Maßanzug
Jörg Haider übermittelte seine Botschaften im lässigen Heimat-Look
Wolodimir Selenskij trägt seit Kriegsbeginn Military-Look
Höhepunkt der Activewear: Wolfgang Mückstein ließ sich in Sneakers vereidigen
Stilsicher: Brigitte Bierlein mit Jabot
"Prada-Sozialistin“ im Kapitol: Kyrsten Sinema
Als einer der ersten heimischen Spitzenpolitiker setzte Kern auf körpernahe Slim-Fit-Anzüge, oft ohne Krawatte, und etablierte so zeitgleich mit Sebastian Kurz einen modernen Politikertypus (siehe unten). Kern und Kurz sind politische Geschichte, doch auch die nachfolgenden Regierungsmitglieder standen unter Dauerbeobachtung. Dass sich Wolfgang Mückstein in hellen Turnschuhen angeloben ließ, stellte kurz sogar Corona-News in den Schatten. Für Kalt war die kontroverse Schuhwahl kein Zufall, sondern eine Referenz an den berühmten „Joschka-Fischer-Moment“ im Jahr 1985.
„Während Spitzenpolitiker in Frankreich oder Italien Maßanzüge getragen haben, waren österreichische Politiker immer etwas schlampig unterwegs. So wollte man Volksnähe vermitteln“, analysiert die Wiener Styleexpertin Irmie Schüch-Schamburek. Die Sozialdemokraten Hannes Androsch und Franz Vranitzky mussten sich wegen ihrer Vorliebe für Maßanzüge jahrelang als „Nadelstreif-Sozialisten“ verunglimpfen lassen.
Jörg Haider brachte den Trachtenjanker als Symbol für Heimatliebe in die Spitzenpolitik. „Er war der Erste, der sich wie aus dem Ei gepellt angezogen hat“, sagt die Modeberaterin. „Durch ihn hat sich das Bewusstsein verändert, dass man mit dem richtigen Styling nonverbale Botschaften vermitteln kann.“ Heute würden die meisten Politiker auf Nummer sicher gehen und sich von Profis beraten lassen. „Wir leben in einer optisch dominierten Gesellschaft. Zu 70 Prozent bleibt die Optik in Erinnerung, zu 30 Prozent der Inhalt.“
Mit „schlampig“ war es in der Regierung Kurz vorbei: Der zuerst von Hedi Slimane entworfene Slim-Fit-Anzug hielt Einzug ins Parlament – und mit ihm ein neues Politikerbild. Von nun an gab nicht mehr nur die Kleidung Aufschluss über die Regierungsfähigkeit, sondern auch der Blick auf den gestählten Körper darunter.
Als aktuell modemutigstes Regierungsmitglied gilt Verteidigungsministerin Klaudia Tanner. Wie geht es ihr damit, wenn ihre Garderobe Teil der Berichterstattung ist? „Mode spielt für mich eine große Rolle“, sagt sie. „Sie ist Ausdruck der Persönlichkeit, im Privaten wie im Beruflichen. Daher freue ich mich, wenn auch über meine Kleidung gesprochen wird.“ Eine Stylistin beschäftigt sie – anders als viele Kollegen – nicht. „Ich liebe es, in Geschäften zu shoppen. Ich denke, dass man den einen oder anderen Inhalt anders transportieren kann, wenn man anzieht, worin man sich wohlfühlt.“
Hosen als Statement
Anziehen, worin man sich wohlfühlt, die Persönlichkeit ausdrücken – für Frauen in der Politik ist das noch nicht lange selbstverständlich. Gut fünfzig Jahre ist es her, dass die deutsche Abgeordnete Lenelotte von Bothmer als erste Frau im Hosenanzug ans Rednerpult trat und von den anwesenden Männern als „Schwein“ beschimpft wurde. Der Hosenanzug, den Hillary Clinton oder Angela Merkel zu ihrer Uniform machten, ist daher „nicht so neutral, wie man denken könnte“, sagt Kalt. Jüngere Politikerinnen greifen wieder selbstbewusster zu femininer Kleidung – etwa die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. „Daran sieht man gut, wie sich Konnotationen im Laufe der Zeit verändern.“
Zu dieser Generation zählt auch die linke US-Politikerin Kyrsten Sinema, deren extravagante Outfits ihr den Spitznamen „Prada-Sozialistin“ einbrachten. Lobende Worte findet Kalt, der Wertungen im Buch vermeidet, dann doch noch: für die US-Demokratin Alexandra Ocasio-Cortez („AOC“): „Jemand wie sie ist ein Glücksfall. Sie weiß, welche Codes sie sich aus einer trendbewussten Mode herausholt. Auch ihren Auftritt bei der Met-Gala fand ich originell und gelungen.“
„Tax the Rich“, Besteuert die Reichen, stand in großen Lettern auf ihrem Abendkleid. Manchmal ist die vestimentäre Kommunikation der Volksvertreter eben gar nicht so schwer zu entschlüsseln.
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