Gemeinsam statt einsam: Gute Laune in guter Gesellschaft
Wo die weiße Elf abhebt
Reine Männersache! So wird der Gymnastikkurs beworben. „Das ist mit Augenzwinkern gemeint“, erklärt Werner Brunner, Ehrenpräsident beim WAT und Kursteilnehmer seit Anbeginn. Und doch ist das Angebot mit Bedacht, es füllt eine Marktlücke. Denn viele ältere Herren würden eventuell ihre Muskulatur dehnen und kräftigen – aber auf keinen Fall solo in einer Gruppe mit lauter Frauen.
Donnerstags gegen 10 Uhr finden sie sich ein – in einem der Gymnastikräume des ASKÖ-Sportplatzes neben dem Donaukanal. Elf Männer mit schneeweißem Haar, bunten Trikots und gepflegtem Humor. Von ihrer jungen Trainerin Nathalie Maibach lassen sie sich artig ein Hakerl auf ihrer Kurskarte verabreichen. Dann starten auch schon die Aufwärmübungen.
„Ich bin in unserem Sportverein groß geworden“, sagt Werner Brunner, der seit jeher ehrenamtlich als Funktionär tätig ist. Schon seine Mutter und sein Vater waren bei dieser Nonprofit-Organisation aktiv. Er selbst, Jahrgang 1942, hat in seiner Jugend Handball gespielt, geturnt und Leichtathletik betrieben. Später hat er sich in vielen Funktionen in den Dienst des Vereins gestellt. Brunner bereut sein Engagement keine Sekunde: „Ich habe hier viele verlässliche Lebensfreunde gefunden. Egal wie es mir geht, hier fühle ich mich bestens aufgehoben.“
Sagt er und setzt zur ersten Kräftigungsübung an, nachdem ihn die aufmerksame Trainerin zu ein bisserl mehr Konzentration motiviert hat. Der Sport holt auch junge Menschen von Smartphone und Playstation weg, wird Brunner später sagen. Er weiß, wovon er spricht. Beim WAT Brigittenau sind alles in allem 1500 Menschen sportlich aktiv, darunter viele Kinder und Jugendliche.
Und dann hebt sie förmlich ab, die weiße Elf vom Donaukanal, auf einem Gummiball sitzend, Arme und Hände weit von sich gestreckt, um so die Balance auf dem Ball zu halten.
Sein Vater habe ihm ein halbes Jahr vor seinem Tod erklärt: „Das Leben ist ein Geben und ein Nehmen.“ Am Donnerstagvormittag darf Werner Brunner etwas nehmen. So wie die anderen Männer, die voll bei der Sache sind, spürt er beim Training wieder Emotionen seiner Jugend. Einsamkeit kennt er nicht. Sein Sportverein hält für ihn immer noch ausreichend soziale Aufgaben parat.
Die Rosa und ihre „Menscha“
Die Rosa ist eine Rose im Gemeindebau, sagt eine ältere Dame. Es ist Montag kurz nach 9 Uhr und das BewohnerInnenzentrum an der Ruthnergasse in Wien 21 ist wie immer gut besucht. Begegnung – Kreativ – Basteln heißt dieser Verein. Und Rosa Wadosch heißt die von allen Teilnehmerinnen geschätzte Gründerin und Obfrau.
Wenn Rosa Wadosch von den Frauen ihrer Bastelgruppe spricht, sagt sie liebevoll: „Meine Menscha.“ Um ihre Menscha kümmert sie sich – wie eine ältere Schwester. Ihr Engagement zieht längst Kreise. Begonnen hat die Bastelgruppe vor sieben Jahren – mit zwei Scheren und vier Menscha. Heute bereiten zwei Dutzend Bastlerinnen regelmäßig Ausstellungen, Feiern und Kulturveranstaltungen vor.
Die meisten Frauen, die sich für den KURIER-Fototermin in Schale geworfen haben, sind heute alleinstehend. Das Basteln und die Gespräche in der Gruppe helfen an guten und an schlechten Tagen. Oft genug werden gemeinsam bohrende Fragen beantwortet. Solche Fragen gibt es genug: Wird meine Pension bis zum Ende meiner Tage reichen? Wie geht es weiter, wenn ich ins Krankenhaus muss? Wer kümmert sich dann um mich? Werde ich wieder gesund?
Die Ängste der Menscha müsse man ernst nehmen, betont Rosa Wadosch, die selbst erst vor wenigen Monaten ihren geliebten Mann begraben hat. Über die Ängste könne man nicht – „so wie das die Politik jahrelang getan hat“ – einfach hinwegsehen, hinweggehen.
Immer gibt es Kaffee und einen frisch gebackenen Kuchen. Und die Aufstriche der Menscha sind weit über die Bezirksgrenzen Floridsdorfs bekannt. Früher wurde viel für die eigene Familie vorbereitet. Heute trifft sich „die Familie“ am Montag und am Donnerstag zum Basteln. Derzeit arbeitet man an Weihnachtsschmuck. Von den Erlösen können neue Bastelutensilien angekauft werden. „Und im Sommer gehen wir gemeinsam auf ein Eis.“
Dank der "Kummertante"
Rosa Wadosch rotiert auch als Mieterbeirätin täglich, ehrenamtlich. Ein Mitarbeiter der wohnpartner merkt an: „Würden mehr Menschen wie die Rosa auftreten, hätten wir in der Stadt keine Probleme.“
Die Angesprochene, die von ihrem Mann liebevoll „Kummer-Tante“ oder auch „Pater Paterno“ genannt wurde, versichert: „Wir reden offen miteinander in unserer Gruppe. Es haben sich dadurch tiefe Freundschaften entwickelt. Jede Minute, die ich mit meinen Menscha verbringen kann, ist es mir wert.“
„Hunger auf Kunst und Kultur“
Die Idee dazu hatte Theaterregisseur Airan Berg: Wenn wir Menschen, die Monat für Monat finanziell nur schwer über die Runden kommen, freien Eintritt ins Schauspielhaus gewähren, können wir sie vielleicht ein Stück weit aus ihrer Isolation holen. So die Idee. Berg fragte vorsichtshalber bei der Armutskonferenz nach und fand dort in Martin Schenk einen verlässlichen Berater und Wegbereiter. Das war 2003.
„Im ersten Jahr haben wir 2000 Kulturpässe ausgegeben, die damals nur für das Schauspielhaus galten“, erinnert sich Monika Wagner, die die Aktion Hunger auf Kunst und Kultur seit Anfang an begleitet. Im Vorjahr waren es bereits 46.901 Pässe. Inzwischen gelten diese in Museen, Theaterhäusern, in Kinos usw., und das österreichweit. Auch in anderen Ländern hat man die schöne Idee von Airan Berg aufgenommen.
Die Kulturinitiative wird inzwischen von der öffentlichen Hand und einer Bank gefördert. In Kürze wird bereits ihr 15-jähriges Bestehen gefeiert. Aus diesem Anlass erscheint auch ein Buch, mit dem Titel „Von der Würde der Wellen und den Grenzen des Gugelhupfs“.
Darin kommen nicht zuletzt Kulturpass-Besitzer zu Wort. Gerd wird so zitiert: „Durch den Kulturpass und die Workshops im mumok bin ich dazugekommen, mich überhaupt wieder für solche Sachen zu interessieren. Das hat meinem Leben sicherlich wieder ein bisschen eine andere Richtung gegeben.“ Maria muss am Gemüsemarkt um Gemüseabfälle betteln. Sie gibt zu bedenken: „Mit dem Kulturpass war ich seit zehn Jahren wieder einmal im Kino und in der Oper.“
Hier spielt die Musik
Sie besitzt inzwischen eine Jahreskarte für die Wiener Linien. Und die Strecke der U4 zwischen den Stationen Wien-Mitte und Schönbrunn fährt Eva Kupka längst im Schlaf. Im 3. Bezirk wohnt sie, nahe der Pfarre Sankt Othmar, wo sie sich seit Jahren ehrenamtlich engagiert. In einem Caritas-Seniorenheim in Schlosspark-Nähe könnte sie einen Zweitwohnsitz anmelden. Dort warten seit drei Jahren betagte Frauen darauf, dass sie von ihr wieder besucht werden.
„Angefangen hat es vor drei Jahren mit unserer Pastoralassistentin“, erinnert sich Frau Kupka. „Die musste ins Heim, und weil ihre Verwandten in Deutschland wohnen und ich mich schon davor um sie gekümmert habe, habe ich sie regelmäßig in Schönbrunn besucht.“ Der Auftakt zu einem neuen Betätigungsfeld, wie die pensionierte Bilanzbuchhalterin und passionierte Saxofonspielerin mit einem Augenzwinkern erklärt.
Jedenfalls hatte die Pastoralassistentin eine Mitbewohnerin in ihrem Zimmer, die sich ebenso über den externen Besuch freute. Und so gab ein Wort das andere: „Langsam bin ich da hineingewachsen“, sagt Eva Kupka, die ihren ehrenamtlichen Besuchsdienst sehr ernst nimmt. „Ich bin mindestens ein Mal pro Woche für zwei, drei Stunden dort, manchmal auch zwei Mal.“
Für die Bewohnerinnen ist sie eine willkommene Abwechslung zum Tagesalltag im Heim. Die eine möchte ihr vom Ableben ihres Mannes erzählen, die andere eine Geschichte aus der Kindheit. Gerne leiht sie ihnen ihr Ohr. Weil sie sich mehr Zeit für ein Gespräch nehmen kann als die Pflegerinnen, weil sie die Geschichten noch nicht so oft gehört hat wie Angehörige.
„Ein gutes Gefühl“
Die Besucherin sagt auch, dass ihr freiwilliger Dienst für sie keine verlorene Zeit ist: „Weil ich etwas Sinnvolles machen kann. Wenn ich mich zum Beispiel verabschiede und angestrahlt werde und gefragt werde, ob ich eh wieder komme, dann ist das einfach ein gutes Gefühl.“
Nebenbei engagiert sich Eva Kupka im Lerncafé ihrer Pfarre, wo mit lernschwachen Schülern regelmäßig am Nachmittag geübt wird. Und wenn es ihre Zeit erlaubt, dann greift sie zu ihrem Saxofon und strahlt mit ihrem Instrument um die Wette. Wo sie ist, spielt die Musik: Vielleicht wird sie ja auch einmal für ihre Seniorinnen spielen.
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