Träume von der Unendlichkeit des Seins

Wie wäre es, ewig zu leben – ohne die Aussicht, alles wird eines Tages zu Ende sein?
Warum das Leben erst im Angesicht des Todes an Wert gewinnt und wir ihm machtlos ausgeliefert sind.

Altern und Tod empören die Menschen, seit es Menschen gibt. Der Tod ist das größte Unglück – und dessen Verdrängung gängige Strategie, sich gegen das Verlöschen zu wehren. Und weil die narzisstische Kränkung durch die eigene Sterblichkeit so enorm ist, wurde der Traum vom ewigen Leben unzählige Male geträumt.

Man denke nur an eine der ältesten Geschichten der Welt – dem Gilgamesch-Epos. Darin versucht sich der böse Herrscher von Uruk in Unsterblichkeit. Von der Idee, für immer leben zu können, war auch der erste chinesische Kaiser, Qin Shihuangdi, besessen. Er ließ nicht nur die chinesische Mauer bauen, sondern nach jenem Elixier des Lebens suchen, das ihn unsterblich machen sollte. Der Herrscher war geradezu besessen von dieser Idee – und seine Todesangst so legendär wie krankhaft. Auf seine Art wurde er schließlich doch unsterblich: Noch heute erinnert die legendäre Tonkriegerarmee an ihn, deren Figuren ihn vor der Rache seiner toten Feinde schützen sollte. Der Kaiser selbst starb ausgerechnet an jenem Trunk, von dem er sich das finale Wunder erhofft hatte. Er enthielt Quecksilber.

Moderne Auferstehung

So sehr der Traum von der Unendlichkeit des Seins (nicht metaphorisch, sondern faktisch) verständlich sein mag, so sehr hat er etwas Anmaßendes. Über sich selbst und seine Biologie hinauszuleben, ist nicht vorgesehen. Altern und das damit verbundene Grundprinzip der Endlichkeit ist ein Grundgesetz der Natur und Evolution. Von Geburt an ist der menschliche Organismus zum Sterben "verurteilt", die Körperzellen folgen einem inneren "Selbstmordprogramm".

Doch der Mensch ist verführbar – schielt auf all jene Lebewesen, die ihn überleben. Meeresschwämme, die mehr als 10.000 Jahre alt werden, Riesenschildkröten, die den 300er locker schaffen. Einzeller wie das Pantoffeltierchen, die scheinbar unsterblich sind, weil sie sich teilen und teilen. Die damit verbundene Frage: Was geht bei Homo sapiens – 100, 200, 300 Jahre – oder gar Unendlichkeit? Wann lässt sich die Lebensspanne mithilfe von Medizin und Technik beliebig ausdehnen – um damit der Machtlosigkeit dem Tod gegenüber ein Schnippchen zu schlagen?

Ansätze dazu gibt es viele – von der Suche nach dem Wundermittel über Genmanipulation bis hin zu Konzepten wie der Kryonik, dem konservierenden Einfrieren eines menschlichen Körpers bis zu jenem Zeitpunkt, an dem es ein Heilmittel gegen dessen Todesursache gibt. Die moderne Auferstehung also. Oder aber – wenn es schon nicht möglich ist, die Biologie per se zu überlisten – etwas von sich für immer und ewig auszulagern. Den Geist, die Gedanken – in übergeordneten Datenclouds für die Nachwelt.

Bedrohlich

Dennoch: Ist Unsterblichkeit überhaupt erstrebenswert? Wie wäre es ewig zu leben – ohne die Aussicht, alles wird eines Tages zu Ende sein?

Die Idee von Ewigkeit hat etwas Bedrohliches. Wer ewig Zeit hat, steht vor einem Kontinuum an Optionen. Wo bleibt da der Antrieb zum Tun? Die Uhr tickt nicht mehr, die Stunden symbolisieren nichts mehr – die lange Bank, auf die der unendlich lebende Mensch etwas schieben kann, wird länger. Und länger. Und die Zukunft, in die Dinge verfrachtet und gedrängt werden, immer reicher an "Müsste ich noch", "Sollte ich noch", "Plane ich eventuell".

Zurück auf die kleinste Zellebene: Von Geburt an sterben täglich Millionen von Zellen im Rahmen des programmierten Zelltodes. Dieser Prozess ermöglicht, dass der Körper gesund bleibt, ohne Zellsterben kein Leben – und keine Erneuerung. Umgelegt auf die Existenz jedes Einzelnen: Leben ist Sterben ist Leben. So ist das Spiel. Daher liegt es jenseits aller Vorstellungen, was Ewigkeit tatsächlich bedeuten würde. Aber vielleicht ist gerade die Knappheit an Zeitressource unser wichtigster Motor. Frei nach Goethe: "Der Tod ist der Kunstgriff der Natur, viel Leben zu haben."

Die Evolution braucht den Tod, damit sich folgende Generationen entwickeln können. Nicht umsonst verweisen große Philosophen und Denker darauf hin, wie wichtig es ist, gegenwärtig zu leben – stets mit einem Auge auf die Endgültigkeit des Endes. Im Angesicht des Todes gewinnt das Leben erst an Wert.

Abgesehen davon, dass so ein Non-Stop-Dasein langweilig werden kann, wie der britische Philosoph Steven Cave in "Unsterblich" (2012, S. Fischer) erwähnt: "Wer schon an einem regnerischen Sonntagnachmittag nichts mit sich anzufangen weiß, sollte seinen Traum vom ewigen Leben jedenfalls noch einmal überdenken".

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