Was kranke Menschen von Ameisen lernen können
Wenn man krank ist, sollte man sich selbst gut pflegen und Kontakte möglichst meiden, um niemanden anzustecken. Was nach mütterlichem Rat klingt, praktizieren Ameisen, wenn sie mit einem Krankheitserreger infiziert sind. Dieses Verhalten hilft tatsächlich, die Ausbreitung einer Krankheit zu vermeiden, berichtet Sylvia Cremer vom Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg.
Cremer und ihre Kollegen vom Helmholtz Zentrum München schreiben über ihre Arbeit in einem Sonderheft des Fachjournals „Philosophical Transactions of the Royal Society B“, das sich dem Zusammenhang von Sozialverhalten und Gesundheit bei sozialen Tieren widmet. Staatenbildende Insekten etwa haben ausgeklügelte Strategien entwickelt, um die Ausbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern. So können Bienen gleichsam einem „sozialen Fieber“ die Temperatur im Stock gemeinsam so erhöhen, dass Bakterien abgetötet werden. Bei Ameisen hat Cremer vor einigen Jahren festgestellt, dass Kolonien ein „soziales Immunsystem“ aufbauen, indem mit Pilzsporen befallene Tiere von den anderen geputzt werden. Die Artgenossen infizieren sich dabei auf sehr niedrigem Niveau mit dem Krankheitserreger, was wie eine „Impfung“ wirkt.
Bisher habe man gedacht, dass sich die anderen Ameisen besonders um ein krankes Tier kümmern und es häufiger als üblich mit ihren Mundwerkzeugen pflegen, die Wissenschafter nennen diese Tätigkeit „groomen“. „Man hat aber nicht gesehen, dass diese Asymmetrie im Groomen durch einen großen Teil dadurch zustande kommt, dass das kranke Tier selbst viel weniger seine Artgenossen putzt“, sagte Cremer im Gespräch mit der APA. Sie hat sich erstmals genau angeschaut, in welche Richtung sich das Verhalten ändert und wer mehr oder weniger tut. Sie beobachteten dazu Gartenameisen (Lasius neglectus), die mit Pilzsporen (Metarhizium) befallen waren. Der Pilz braucht ein paar Tage, bis er das Exoskelett der Ameisen durchdringen kann. Wird er vorher entfernt, bleibt die Ameise gesund. Die pilzbefallenen Tiere putzten sich selbst häufiger, zogen sich zurück und reduzierten das Putzen von gesunden Artgenossen drastisch. Die gesunden Tiere kümmerten sich dagegen weiter um das kranke Tier. „Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass das befallene Tier tatsächlich krank wird, und gleichzeitig kann es so zur sozialen Immunisierung der Kolonie kommen“, sagte Cremer.
Selbst pflegen
Mit theoretischen Modellen konnten die Wissenschafter schließlich zeigen, dass die beobachteten Verhaltensänderungen nach dem Kontakt mit Erregern die Ausbreitung der Krankheit in der Kolonie aufhalten. Die Wissenschafter konnten zwei Faustregeln aus dem Modell ableiten - und zwar unabhängig davon, wie ansteckend die Krankheit und wie hilfreich die soziale Pflege ist: Man sollte sich möglichst gut selbst pflegen und Kontakte zu gesunden Artgenossen möglichst reduzieren. Andere Hygienemaßnahmen, etwa die Frage, wie genau sich Gesunde um Kranke kümmern sollen, hänge sehr stark vom jeweiligen Krankheitserreger ab, betonte Cremer.
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