Forscher blicken dem Zappelphilipp ins Gehirn
Zappelphilippe gibt es in fast jeden Klassenzimmer. Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gehört zu den häufigsten psychischen Störungen in der Schulzeit. Kinder mit ADHS treffen oft ungünstigere Entscheidungen als ihre nicht betroffenen Klassenkameraden. Forscher der Universität Zürich haben herausgefunden, dass dafür unterschiedliche Lern- und Entscheidungsmechanismen verantwortlich sind. Sie konnten nun die zugrundeliegenden Prozesse beschreiben und im Gehirn lokalisieren.
Welches Hemd ziehen wir morgens an? Nehmen wir den Zug oder das Auto zur Arbeit? In welchem Fastfood-Restaurant kaufen wir unser Mittagessen? Wir treffen täglich Hunderte verschiedener Entscheidungen. Auch wenn diese oftmals nur kleine Auswirkungen haben, so ist es für das persönliche Vorankommen längerfristig doch äußerst wichtig, möglichst optimale Entscheidungen zu treffen. Dies stellt Personen mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oft vor Schwierigkeiten. Es ist bekannt, dass vom Zappelphilipp-Syndrom Betroffene eher impulsive Entscheide tätigen: Sie wählen oft Angebote, welche eine zeitnahe, aber kleinere Belohnung bringen anstatt eine Wahl zu machen, bei der später eine größere Belohnung herausspringt. Nun zeigen Forschende des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes des Kantons Zürich, dass verschiedene Entscheidungsprozesse dafür verantwortlich sind, und dass diese in der Mitte des Stirnlappens ablaufen.
Mathematische Modelle helfen den Entscheidungsprozess verstehen
In der Studie wurden die Entscheidungsprozesse bei 40 Jugendlichen mit und ohne ADHS untersucht. Die Probanden spielten – liegend im funktionellen Magnetresonanz-Tomographen, der die Gehirnaktivitäten aufzeichnete – ein Spiel, bei welchem sie lernen mussten, welches von zwei Bildern mit häufigeren Belohnungen einher ging. Um die beeinträchtigten Mechanismen der ADHS-Betroffenen besser zu verstehen, wurden bei der Auswertung der Daten Lernalgorithmen angewendet, die ursprünglich aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz stammen. Diese mathematischen Modelle helfen, die genauen Mechanismen des Lernens und Entscheidens besser zu verstehen. «Wir konnten zeigen, dass die Jugendlichen mit ADHS nicht grundsätzlich Probleme mit dem Lernen von neuen Informationen haben, vielmehr wenden sie offenbar weniger differenzierte Lernmuster an. Das ist vermutlich der Grund, warum sie öfters suboptimale Entscheide fällten», sagt Erstautor Tobias Hauser.
Multimodale Bildgebung erlaubt Einblicke ins Gehirn
Um die Hirnprozesse zu untersuchen, welche diese Beeinträchtigungen hervorriefen, verwendeten die Autoren multimodale bildgebende Methoden, bei denen die Testpersonen mittels kombinierter Messung von funktioneller Magnetresonanz-Tomographie (fMRT) und Elektroenzephalographie (EEG) untersucht und sowohl die elektrische Aktivität als auch der Blutfluss im Gehirn gemessen wurden. Es zeigte sich, dass bei ADHS-Betroffenen ein Areal im medialen präfrontalen Kortex – einer Region in der Mitte des Stirnlappens – eine beeinträchtigte Funktion aufwies. Dieser Hirnteil ist stark in Entscheidungsprozesse involviert, insbesondere dann, wenn man zwischen verschiedenen Optionen auswählen muss und ebenfalls beim Lernen aus Fehlern. Eine veränderte Aktivität in dieser Region wurde bereits in anderen Zusammenhängen bei ADHS gefunden – nun konnten die Zürcher Forschenden auch den genauen Zeitpunkt dieser Beeinträchtigung feststellen. Sie trat bereits weniger als eine halbe Sekunde nach einer Belohnung auf, also zu einem sehr frühen Zeitpunkt.
Psychologe Tobias Hauser, der nun am Wellcome Trust Centre for Neuroimaging, University College London, forscht, ist überzeugt, dass die Resultate das Verständnis der Mechanismen des beeinträchtigten Entscheidungsverhaltens bei ADHS grundlegend verbessern. In einem weiteren Schritt sollten nun die involvierten Hirnbotenstoffe untersucht werden. «Wenn unsere Erkenntnisse bestätigt werden, so liefern sie wichtige Hinweise, wie man zukünftige therapeutische Interventionen gestalten könnte», so Hauser.
Kommentare