Anwalt für einen Tag: Wenn Teenager vor Gericht stehen

Schülerin Katarina Balazs hält am Wiener Handelsgericht vor Richterin und Richter ein leidenschaftliches Plädoyer.  
Moot Court: Wo junge Menschen die Justizwelt schon früh kennenlernen können.

Die Anspannung im Gerichtssaal ist greifbar. Zu hören ist nur aufgeregtes Getuschel und die gelegentlich scheppernd umfallende Trinkflasche. Dann wird es ganz still, die Plädoyers beginnen. Die Anwältin des Klägers erhebt sich und richtet das Wort an die Anwesenden: „Sehr geehrte Damen und Herren, werte Kollegen, hohes Gericht“. Acht Minuten dauert der eloquente Monolog, auf den der Anwalt der Gegenseite anschließend genauso routiniert antwortet. So weit, so normal für eine Verhandlung am Wiener Handelsgericht.

Und doch ist das Szenario mehr als ungewöhnlich: Niemand, weder auf Kläger- noch auf Beklagtenseite, ist älter als 18 Jahre. Im Publikum: lauter Schülerinnen und Schüler. Die einzigen, die sich offensichtlich auf ihren angestammten Plätzen befinden, sind die Richterin und der Richter im Vorsitz.

Simulation

Die Erklärung: Es handelt sich um einen „Moot Court“, eine fiktive Gerichtsverhandlung zu Trainingszwecken, wie sie an Universitäten seit vielen Jahren gang und gäbe ist. Nun ging der europaweit erste „Moot Court“ für Schülerinnen und Schüler über die Bühne.

Initiator der Veranstaltung ist Daniel Baier, Jurist und Lehrer an der JusHAK der Vienna Business School Schönborngasse: „Vor etwa drei Jahren hatten wir die Idee, als ein Highlight der fünfjährigen Schulzeit einen Moot Court zu veranstalten. Hier können die Schülerinnen und Schüler komplett in die Rolle von Kläger und Beklagten schlüpfen – mit allem, was dazugehört.“ Und das ist einiges: Die vierköpfigen Teams mussten umfangreiche Schriftsätze für Revision und Revisionsbeantwortung verfassen, sich in die Gesetzgebung einlesen, Expertenmeinungen einholen, Plädoyers erarbeiten und einstudieren. Acht Wochen dauerte die intensive Vorbereitung. Und dann standen sie schließlich vor Gericht und mussten ihren Fall – abwechselnd auf Kläger- und Beklagtenseite – vor echten Richterinnen und Richtern in mehreren Runden durchargumentieren und sich den Fragen der Gegenseite und des Gerichts stellen.

„Ich bin wirklich beeindruckt vom Mut der Schülerinnen und Schüler“, sagt Richter Peter Martschini. „Manche kommen der Qualität praktizierender Anwältinnen und Anwälte schon sehr nahe.“

Finale

Als vor der letzten Runde die Finalistenteams verkündet werden, ist der Jubel groß. Team Wien 1 tritt aufseiten des Klägers gegen Team Linz an. „Ihr schafft das, ok?!“, wird den Finalisten von Mitschülern laut Mut zugesprochen, bevor es ernst wird und alle in den Verhandlungssaal gerufen werden. Hier, in Raum 708, im 7. Stock des Handelsgerichts, geht es schließlich um die ganz großen Fragen.

Der Kläger wirft seinem ehemaligen Arbeitgeber vor, ihn einem Projekt zugewiesen zu haben, das ihn in seinem katholischen Glauben benachteilige. Es geht dabei um die Entwicklung eines Medikaments, das gegen durch Chemotherapie verursachte Übelkeit helfen solle. Es würde im Falle eines Atomkriegs aber auch die Einsetzbarkeit von Soldaten verbessern – unvereinbar mit seinen Grundsätzen. „Die christliche Kirche spricht auch vom gerechten Krieg“, argumentiert die Gegenseite.

Nachwuchstalente

Am Ende wird der Revision der Klagsseite nicht Folge gegeben, Team Linz entscheidet das Finale für sich. Katarina Balazs, die eingangs erwähnte, engagierte junge „Anwältin“ ist dennoch stolz auf sich – zu Recht. Die Aufregung in der Finalrunde war groß: „Ich war so nervös, dass meine Hände gezittert haben.“ Sie kann viel aus der Erfahrung mitnehmen, sagt sie: „Man muss dieses eine Ding finden, von dem man denkt: ,Wenn ich das dem Richter sage, dann gehts los, dann versteht er, was ich meine’.“

Als selbsterklärte „große Freundin des Diskutierens“ war sie auch bei den Zwischenfragen von Gericht und Gegenseite in ihrem Element. „Für mich persönlich wäre dieser Teil das Spannendste am Job. Wenn ich jetzt sofort unterschreiben könnte, nur das zu machen, ich wäre sofort dabei.“ Es wäre ein Gewinn für die Justizwelt.

Kommentare